Der Ausbau eines Ring- und Tangentensystems in Leipzig war Zielstellung der 1992 vom Stadtrat beschlossenen Verkehrspolitischen Leitlinien. Mit dem Bau der Semmelweisbrücke 2012 und Fertigstellung der A 38 wurden das Tangentenviereck und der äußere Ring geschlossen und tragen seitdem viel zur Entlastung der Leipziger Wohngebiete und einer Forcierung und Verlagerung des Wirtschaftverkehres bei. Mit dem Beschluss des Stadtrates zum Flächennutzungsplan im Jahr 2012 ist der Ausbau des Mittleren Rings nicht mehr Ziel der Leitlinien.
So ist im Nordosten für den Abschnitt zwischen Essener Straße und Braunstraße (Querung Abtnaundorfer Park) und im Süden die Querverbindung von der B 2 in Connewitz zur Schönauer Straße in Großzschocher nicht mehr möglich. Auch für die „Westspange“ existieren keine technischen Lösungen für einen finanziell und ökologisch vertretbaren Straßenbau.
Es ist festzuhalten, dass der 1992 avisierte „Mittlere Ring“ in Teilstücken zu ca. 40 % fertiggestellt ist und für weite Teilabschnitte eine Bebauung gar nicht möglich ist.
Dennoch existieren Stimmen, die den Neubau einer Schnellstraße zwischen der Richard-Lehmann-Straße und der Paunsdorfer Straße fordern.
Folgende Argumente werden für diesen Neubau genannt:
a.) Für die aufgrund der Attraktivität der Stadt wachsenden Bevölkerung werden zusätzliche Straßen benötigt, um den Verkehr zu bewältigen.
b.) Wohngebiete müssen von Durchgangsverkehr entlastet werden.
c.) Bei einem Neubau der Trasse werden nur bislang nicht genutzte Brachflächen beansprucht. Die Eingriffe in die Parkanlagen sind zudem überschaubar.
Anhand der vorliegenden Zahlen und Fakten lässt sich ablesen, dass ein Straßenneubau die Probleme nicht löst, sondern teilweise sogar verschärft. Mit Vorlage der IHK-Studie „Zur Organisation des Stadtverkehrs in Leipzig unter besonderer Beachtung des Wirtschaftsverkehrs“ werden zudem weitere Erhebungen und Prognosen vorgelegt, die einer Rechtfertigung des Straßenneubaues entgegenstehen.
1. Zu optimistische Bevölkerungsprognose für Leipzig
Die „Bevölkerungsschätzung 2016“ des Amtes für Wahlen und Statistik Leipzig (S 16./17) geht in seiner „Hauptvariante“ davon aus, dass im Jahr 2030 ca. 720.000 Menschen in Leipzig leben werden.
Bereits Ende 2017 weisen die aktuellen Zahlen des Amtes für Wahlen und Statistik eine Unterschreitung der Prognose von 8.000 Einwohnern mehr pro Jahr aus.
Schätzung Ende 2016: 584.100 EW Ist Ende 2016: 579.500 EW
Schätzung Ende 2017: 598.300 EW Ist Ende 2017: 590.300 EW
Die tatsächliche Entwicklung liegt damit bereits jetzt deutlich unter der „unteren Variante“, die 2030 ca. 675.000 Einwohner annimmt.
Waren die konservativen Prognosen bis 2015 eine Ursache dafür, dass nun Kindergärten und Schulen fehlen, dürfen die jetzt schon als zu optimistisch erkennbaren Schätzungen nicht dazu führen, dass am Bedarf vorbei geplant wird.
2. Fehlende Flächen für Wohnungsneubau
Gemäß dem „Monitoringbericht Wohnen“ der Stadt Leipzig von 2016/2017 liegt der marktaktive Leerstand an Wohnungen bei knapp 10.000 Einheiten. Um die unter Punkt 1 genannte Prognose zu erfüllen, müssten bis 2030 zwischen 51.000 und 78.000 Wohnungen neu gebaut werden. Da im innerstädtischen Bereich die Flächen hierfür fehlen, können die Neubauten nur in den Stadtrandgebieten erfolgen. Die Erschließung dieser erfolgt durch Stichstraßen und den Autobahnring.
Die aktuelle Fortschreibung des Teilplanes Wohnungsbau der Stadt Leipzig (STEP W+S) weist lediglich 12.850 WE auf, von denen knapp die Hälfte kein Baurecht besitzt. Momentan werden in Leipzig jährlich knapp 3.000 WE errichtet, von denen die Hälfte aus der sich weiter reduzierenden und bald aufgebrauchten Leerstandsreserve stammt.
Das für 2017/2018 avisierte Wohnbauflächenkonzept der Stadt Leipzig muss zunächst beweisen, dass eine Ausweisung von Bauflächen ohne Verlust der für die Lebensqualität und Attraktivität der Stadt notwendigen Ressourcen möglich ist. Auch in Leipzig gibt es Grenzen des Wachstums!
3. Minimale Entlastung der Anwohner
Bereits das 2012 im Zuge der Überarbeitung des Stadtentwicklungsplanes von der Stadtverwaltung in Auftrag gegebene Fachgutachten „Zukunftsfähigkeit des Tangenten- und Ringkonzeptes, Verkehrsbündelung zum Schutz der Wohngebiete und die Bedeutung des Promenadenringes“ von Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jürgen Gerlach verneint den Trassenneubau, da sich für die Anwohner keine merklichen Änderungen in der Lärmbelastung ergeben.
„So sind Lärmreduzierungen erst dann spürbar, wenn Verkehrsmengen um die Hälfte abnehmen und sie werden wesentlich – nämlich als halb so laut empfunden – wenn die Verkehrsbelastung auf 10 % des ursprünglichen Wertes reduziert werden kann.“ Die Entlastung der Bereiche Holzhäuser Straße, Sommerfelder Straße und der Engelsdorfer Straße liegen nach der Studie bei nur ca. 40 %.
In der Studie der IHK „Zur Organisation des Stadtverkehrs in Leipzig unter besonderer Beachtung des Wirtschaftsverkehrs“ wird dieser Anteil sogar minimiert. So passieren von Süden kommend lediglich 6.360 Kfz/d (davon 160 Schwerlastverkehr) die Ludolf-Colditz-Straße im Bereich der Breslauer Straße (IHK Studie Anlage 4.9.c). Der Anteil der Anlieger, die gar nicht weiter nach Norden fahren, liegt mit über 4.100 KfZ/d bei über 65 %.
Bereits am Ende der Sommerfelder Straße ist der Transitverkehr aus Süden von 6.300 KfZ/d auf 3.355 KfZ/d durch abfahrende Anlieger reduziert. Trotz, bzw. gerade wegen der passierten Wohngebiete steigt die Belegung im Bereich der Kreuzung Sommerfelder Straße/Engelsdorfer Straße auf 7.850 KfZ/d (davon 410 SV) (IHK Studie Anlage 4.6.c).
Weitere 22,5 % der Autos fahren von der Sommerfelder Straße geradeaus in die Engeldorfer Straße (1.740 von 7.850). Der anwohnerbereinigte Durchgangsverkehr reduziert sich von 3.355 ebenfalls um ca. 22,5 % auf 2.600. Die nächste Reduzierung ergibt sich am Knoten Engelsdorfer Straße/Paunsdorfer Straße. Trotz der ca. 20 % „Geradeausfahrer“ wächst die Belegung durch die Anlieger aus Richtung Mölkau auf 8.000 KfZ/d (davon 490 SV) (IHK Studie Anlage 4.5.c), von denen ca. 22,5% geradeaus Richtung Zentrum fahren.
Nur den Knoten betrachtet, biegen maximal 4.300 Kfz der 7.850 KfZ aus der Sommerfelder Straße in die Paunsdorfer Straße ein. Der Anteil, der aus dem anwohnerbereinigten Durchgangsverkehr aus der Ludolf-Colditz-Straße herrührt, beträgt ca. 2.600 KfZ/d. Hiervon gehen noch ca. 400 KfZ der Anlieger des nächsten Streckenabschnittes ab.
Durch einen Straßenneubau würden die Anlieger am Knoten nicht einmal um 2.200 KfZ/d (entspricht ca. 35 %) entlastet.
4. Leistungsfähiges Straßennetz in Leipzig
Die Studien von Herrn Prof. Dr. Gerlach und die Studie der IHK (Seite 76) bescheinigen Leipzig ein leistungsfähiges Straßennetz. Da jede Leistungsfähigkeit auch einmal erschöpft ist, bleibt die Frage offen, wie viel Verkehr das Straßennetz noch verträgt. Vor Fertigstellung des Autobahnringes (August 2006) um Leipzig lag die Belastung im Betrachtungsraum des Mittleren Ringes Südost bei ca. 20 % mehr als heute (Ratsvorlage „Führung Mittlerer Ring Südost – Stand der Variantenuntersuchung v. 14.12.2005). Laut der IHK-Studie nahm die Belastung in der Sommerfelder Straße sogar von 22.000 auf 17.950 Kfz pro Tag ab.
5. Gleichbleibende Verkehrsbelastung von 2007 – 2015
Trotz eines Bevölkerungswachstums von 2007 (ca. 510.000 EW) bis 2015 (c. 570.000 EW) von ca. 12 % ist der KfZ-Verkehr an der am Trassenende liegenden Theodor-Heuss-Straße leicht zurückgegangen. Es ist nicht erkennbar, warum eine weitere wachsende Bevölkerung für ein Ansteigen des KfZ-Verkehrs sorgen sollte.
Der leichte Anstieg im Trassenbereich erklärt sich über den Umzug des LSI und den Neubau des Netto-Marktes im auf dieser Trasse liegenden Gewerbepark Sommerfelder Straße.
6. Nahezu gleichbleibende Verkehrsbelastung auch in Zukunft (2016 – 2030)
Gemäß Abbildungen 8.1./8.2./8.3. (Szenarien 1 bis 3: Relative Veränderung der Verkehrsstärken KfZ) der Studie der IHK „Zur Organisation des Stadtverkehrs in Leipzig unter besonderer Beachtung des Wirtschaftsverkehrs“ steigt die Verkehrsbelastung der Sommerfelder Straße im Bereich Holzhäuser bis Zweinauendorfer um weniger als 5,0 % und in den restlichen Abschnitten der Trasse um weniger als 10 %.
7. Kosten 200 Millionen Euro
Die Kosten für den 4,40 km langen angedachten Abschnitt des Mittleren Rings Südost belaufen sich gemäß der Kostenschätzung bei herkömmlicher Bauform auf über 200 Millionen Euro.
Trog- und Tunnellösungen sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.
Bereits der 2010 gebaute 2,2 km lange Abschnitt des Mittleren Ringes „auf der grünen Wiese” kostete 59,0 Mio €. Seitdem ist der Preisindex für Bauleistungen um 180 % gestiegen.
Eine Förderung durch Bund und Land ist für eine reine Kommunalstraße nicht sichtbar. Die Stadt Leipzig müsste die Kosten selber tragen. Geld, das bei der Sanierung der vorhandenen Infrastruktur und bei Investitionen in Bildung fehlt.
8. Keine Notwendigkeit für den Wirtschaftsverkehr
Die Studie der IHK „Zur Organisation des Stadtverkehrs in Leipzig unter besonderer Beachtung des Wirtschaftsverkehrs“ bescheinigt der Stadt Leipzig ein ausreichend ausgebautes Straßennetz, um den vorhandenen Wirtschaftsverkehr zu bewältigen (Seite 76). Weiter heißt es, „Die wichtigen Ziele können gut erreicht werden.“
Die weiter auf Seite 128/129 geäußerte Vermutung, ein Streckenneubau zwischen der Prager Straße und der B 6 würde für die Eisenbahnstraße „zumindest teilweise Entlastung“ bringen, wird leider nicht untersetzt und so bleibt unklar, warum die Konrad-Adenauer-Allee als parallel laufendes gut ausgebautes Teilstück Richtung Zentrum keine Entlastung bringt.
Das Ergebnis der auf Seite 130 geforderten Neubewertung der Notwendigkeit und Wirksamkeit des Mittleren Ringes bei wachsender Bevölkerung scheint zunächst ergebnisoffen, bei Betrachtung der Punkte 1 bis 21 dieser Aufstellung allerdings eindeutig.
9. Keine aktuelle Problemstelle beim Wirtschaftsverkehr
In der Studie der IHK „Zur Organisation des Stadtverkehrs in Leipzig unter besonderer Beachtung des Wirtschaftsverkehrs“ werden 20 (Seite 67 bis Seite 70) Haupt- und Nebenstrecken dargestellt, die von den Nutzern als „Problemstellen“ bezeichnet werden. Die Straßenbereiche im Südosten, bzw. im Trassenverlauf werden indes nicht als problematisch eingeschätzt.
10. Zukünftiger Verkehrsanstieg nur im Leipziger Norden
Die Studie der IHK „Zur Organisation des Stadtverkehrs in Leipzig unter besonderer Beachtung des Wirtschaftsverkehrs“ sieht die wesentlichen Steigerungen im Wirtschaftsverkehr im Wesentlichen in den Gewerbegebieten im Leipziger Nordraum und im Zentrum (Studie IHK Seite 113 und Abbildungen 6.2 bis 6.4)
11. Zusätzliche Umweltverschmutzung und Verschleiß durch Transitverkehr
Eine zusätzliche Straße zieht nur zusätzlichen Transitverkehr an! Neben den Abgasen und der Lärmemission steigt die Umweltbelastung in der Stadt Leipzig. Zudem fordert der zusätzliche Verkehr zusätzliche Mittel und Ressourcen für die Unterhaltung.
12. Zerstörung jahrhundertalter Wohnstrukturen
Durch den Neubau werden teilweise seit über 100 Jahre alte Wohnstrukturen zerstört und ihres Charakters beraubt (Güntzstraße, Hofer Straße, untere Schönbachstraße, hintere Theodor-Neubauer-Straße, Karl-Härting-Straße, Zweenfurther Straße, etc.).
13. Vernichtung von weiteren Erholungsgebieten im Leipziger Osten
Es werden nicht nur Menschen ihres Wohnumfeldes beraubt. Der Wegfall der Park- und Grünflächen führt zu einer Vernichtung von Erholungsgebieten im damit ohnehin unterversorgten Leipziger Osten! Der gesamte Parkbogen Ost und die erwünschte Stärkung des Radverkehrs werden konterkariert.
14. Vernichtung von Denkmälern
Der zu errichtende neue Damm für den Straßenneubau erreicht am Dammfuß eine Breite von 26 m. Der gesamte westliche Bereich des Stünzer Parkes würde diesem Bedarf zum Opfer fallen. Durch den Wegfall des Flächendenkmals Stünzer Park stirbt ein weiteres Stück Identität Leipziger Denkmalkultur.
15. Vernichtung von Kaltluftschneisen und Frischluftentstehungsgebieten
Die Vernichtung von Kaltluftschneisen und Frischluftentstehungsgebieten hat verheerende Auswirkungen auf das Stadtklima von ganz Leipzig.
16. Negative Auswirkungen auf das Grundwasser
Negative Auswirkungen auf das Grundwasser und damit auf die Wasserver- und -entsorgung sind ebenfalls zu erwarten.
17. Vernichtung seltener Tierarten
Viele im Stünzer Park lebende seltene Tierarten (u. a. Fledermäuse) werden durch den Straßenneubau bedroht.
18. Geändertes Mobilitätsverhalten
Gerade in Zeiten, in denen sich die Mobilitätsformen rasant dem Fortschritt anpassen (Car-Sharing/E-Mobilität/Mitnahmeplattformen), ist ein innerstädtischer Straßenneubau ein erfolgloses Mittel der Verkehrspolitik der 80iger Jahre – auf Kosten der dort lebenden Menschen.
19. Zu geringe Entfernung zum Tangentenviereck
Die geplante Trasse durch die Leipziger Park-, Wohn- und Grünanlagen liegt stellenweise nur 600 m vom bereits fertiggestellten Tangentenviereck entfernt. Viel zu wenig, um die bestehenden Verkehrsströme zu verteilen. Bei einem vom Bürgerverein Sellerhausen-Stünz unterbreiteten Trassenverlauf wäre die Straße weiter östlich stationiert.
20. Minimale Zeiteinsparungen
Durch Feldversuche wurde belegt, dass die Zeiteinsparung zwischen dem Status Quo und dem avisierten Trassenverlauf (bei Tempo 60 km/h) im Berufsverkehr maximal 3 Minuten beträgt.
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