Gibt es jetzt tatsächlich ständig Rückstaus in der Dresdner Straße, weil Anfang November endlich Radfahrstreifen zwischen Johannisplatz und Gerichtsweg aufgetragen wurden, wie Handwerkskammerpräsident Klaus Gröhn via LVZ behauptete? Eine Rückfrage bei der Stadt zeigt: Nein, das war nur temporär der Fall, weil sich eine Baustelle in der benachbarten Prager Straße mit der Auftragung der Radstreifen überschnitt. Das war so nicht geplant, teilt das Verkehrsdezernat mit.
Den Rückstau gibt es nicht mehr – er war bedingt durch die stadteinwärtige Sperrung der Prager Straße, die am Mittwoch, 15. November, fertiggestellt und wieder freigegeben wurde. Der Großteil des Kfz-Verkehrs, der sonst über die Prager Straße gerollt wäre, wählte in den letzten Monaten den Weg durch die Dresdner.
Seit Mittwoch, 15. November, können Autofahrer die Prager Straße zwischen Johannis- und Gutenbergplatz wieder in beiden Richtungen ohne Einschränkungen nutzen. Stadtauswärts rollt der Verkehr bereits seit Anfang August über die neue Fahrbahn. Eine ziemlich unübersehbare Stauursache, die man aber augenscheinlich im Hause LVZ gar nicht wahrgenommen hat.
Und die Auftragung des noch fehlenden Stücks Radfahrsteifen hat sich auch nicht, wie meist suggeriert, Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau kraft ihres Amtes ausgedacht. Die Maßnahme basiert auf dem 2012 vom Stadtrat beschlossenen Radverkehrsentwicklungsplan, dessen Ziel es eindeutig war, den Radverkehrsanteil in Leipzig von 14,4 Prozent (2008) auf ursprünglich 18 Prozent im Jahr 2020 zu erhöhen.
Das scheint zu funktionieren. 2015 erreichte der Radverkehr einen Anteil von 17,3 Prozent am Modal Split. Und zwar gerade deshalb, weil mittlerweile mehr eindeutig dem Radverkehr zugeordnete Wege entstanden sind, die auch von Radfahrern genutzt werden, die sich sonst nicht ins Verkehrsgewühl trauen.
Den Radverkehrsentwicklungsplan befürwortete im Juni 2012 übrigens fast der komplette Stadtrat. Es gab nur vier Gegenstimmen und vier Enthaltungen. Dorothee Dubrau hält sich also eindeutig an ein vom Stadtrat beschlossenes Arbeitspapier.
Zu dem es übrigens noch einen Änderungsantrag gab, den ebenfalls die Stadtratsmehrheit befürwortete: Die Erhöhung des Radverkehrsanteils auf 20 Prozent bis 2020. Was übrigens überhaupt nicht utopisch war: Im Innenstadtbereich lag der Radverkehrsanteil 2008 schon bei 22 Prozent. Von lächerlichen 5,8 Prozent Radwegeanteil im Jahr 1991 ist dieser im Modal Split über all die Jahre permanent gewachsen. Was man auch in der Dresdner Straße sehen kann – sie ist längst zu einer vielbefahrenen Radhauptroute Richtung Reudnitz geworden.
Und der nun offiziell aufgetragene Radstreifen soll noch ein zweites damals beschlossenes Ziel erfüllen: Die Senkung des Unfallrisikos für Radfahrer.
Unter den Handlungszielen, die schon 2002 beschlossen und 2012 bestätigt wurden, findet sich als Ziel Nr. 4: „Bei allen Straßenbaumaßnahmen im Straßenhauptnetz, gleich ob es sich um Umbau, Rekonstruktion oder Neubau handelt, sind die Belange des Radverkehrs zu beachten und, wenn irgend möglich, Radverkehrsanlagen vorzusehen oder geeignete Ersatztrassen auszuweisen.“
Der Abschnitt in der Dresdner Straße zwischen Johannisplatz und Gerichtsweg war der letzte ohne Radfahrstreifen. 2012 wurde dann ergänzend beschlossen: „Zur Nachrüstung von Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen sollen unter Berücksichtigung der jeweiligen verkehrlichen Einsatzbereiche und Flächenansprüche vorrangig Radfahrstreifen oder Schutzstreifen angelegt werden.“
Schon vor 2007 waren die ersten Abschnitte der Dresdner Straße mit Radfahrstreifen ausgestattet worden. 2016 kam der Abschnitt Gerichtsweg bis Kohlgartenstraße hinzu, so dass tatsächlich nur noch das letzte Stück bis zum Johannisplatz fehlte.
Aber da in Leipzig mit weiter wachsendem Kfz-Verkehr zu rechnen ist, wollen die Verkehrsplaner die Lage in der Dresdner Straße trotzdem genau beobachten. Sollte es sich zukünftig als eine für den ÖPNV problematische Stelle erweisen, könne man das mit einer entsprechenden Anpassung der Ampelschaltung am Gerichtsweg lösen, heißt es auf Anfrage. Was vor allem der Straßenbahn stadteinwärts helfen soll, damit sie ein paar Sekunden Vorlauf vor dem Kfz-Verkehr bekommen kann.
Ziemlich konsterniert auf die Rücktrittsforderung des Handwerkskammerpräsidenten reagierte man denn auch am Freitag, 17. November, in der Grünen-Fraktion. Erst recht, weil Klaus Gröhn augenscheinlich nicht einmal die eigene Studie der Wirtschaftskammern zur Lösung der Leipziger Verkehrsproblematik gelesen hat.
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Das Statement von Norman Volger, Fraktionsvorsitzender der Grünen:
Etwas mehr Weitsicht bitte, Herr Gröhn!
Es mag ja sein, dass ein Kammerpräsident nicht weitsichtig in die Zukunft schauen muss und nur auf das jetzt und heute blickt. Schließlich muss heute der Bauch gefüllt werden. Dass das aber die Meinung „der Wirtschaft“ und „der Handwerker“ sein soll, darf getrost bezweifelt werden.
Denn kluge Unternehmer wissen: Jeder Verkehr, bei dem es gelingt, ihn von der Straße auf andere Mobilitätsarten zu lenken, macht die Wege gerade für die Handwerkerschaft und die Lieferindustrie frei, die auf eine hohe und schnelle Mobilität mit dem Auto oder dem Lkw angewiesen sind. Der alte Los-Angeles-Slogan, jedes Individuum bekommt vier Reifen, ist überholt und von gestern.
Man muss auch von Herrn Gröhn nicht erwarten, dass er die IHK-Studie in seiner Komplexität gelesen und verstanden hat. Dass er aber aus einzelnen willkürlich und aus dem Zusammenhang gerissenen Passagen abzuleiten meint, dass es eine grundlegend andere Verkehrspolitik geben müsse, ist schon sehr im eigenen Sinne (fehl)interpretiert.
Man muss auch von Herrn Gröhn nicht erwarten, dass er sich mit den zahllosen nationalen und internationalen Versuchen auseinandersetzen muss, mit einem rigorosen Ausbau des Straßennetzes am Ende nichts erreicht zu haben als Megastaus, wie man gleichermaßen im Ruhrgebiet, Bangkok oder in Kuala Lumpur erleben kann. Auch nicht damit, dass es durchaus Städten gelungen ist, mit einer klugen Mischung und Neuordnung der Verkehrsmixe sogar die Straßen sehr großer Städte weitgehend für den Wirtschaft- und Touristenverkehr frei zu machen, wie z. B. in Münster, Kopenhagen, Melbourne oder Singapur.
Und schon gar nicht, dass sich viele Städte längst auf den Weg gemacht haben, ihre Probleme grundlegend anzugehen, wie Berlin, Paris oder Mexiko City.
Statt seine offenbar persönlichen Abneigungen gegen Frau Dubrau zu pflegen, möge Herr Gröhn vielleicht auch mal zur Kenntnis nehmen, dass die Verwaltung Beschlüsse des Stadtrates umsetzt, die Verwaltung im Ganzen handelt und entgegen seiner Auffassung eine Bürgermeisterin nicht in der Lage ist, eine von einer politischen Mehrheit losgelöste eigene Politik zu machen.
Zum Glück bestimmen nicht Leute wie Herr Gröhn die städtische Politik. Ansonsten wäre es wohl in Kürze so, dass er mit der von ihm geforderten 180 Grad Wende auch nur im nächsten Stau stehen würde.“
Verkehr in Leipzig: Wirtschaftskammern verschlafen Anschluss an gesellschaftliche Wirklichkeit
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