Am Donnerstag, 16. November, gab es in Grünau die erste Bürgerinformation zum Integrierten Stadtteilentwicklungskonzept Grünau (Stek). Das es offiziell noch gar nicht gibt. Erst in einer verwaltungsinternen Vorlage, wie Stefan Geiss, Abteilungsleiter im Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung, betont. Gut Ding will Weile haben. Gerade in Grünau.
Noch gilt dort das 2007 verabschiedete Entwicklungskonzept, das versucht, die Entwicklung bis 2020 zu beschreiben. Die ja bekanntlich etwas anders kam als erwartet. Man erinnert sich kaum noch, was für heftige Kämpfe es um dieses Konzept gab, denn darin beabsichtigte die Stadt noch die Definition eines Stadtumbaugürtels. Was nichts anderes bedeutete, als dass man die eher peripheren Teile des in den 1970er und 1980er Jahren erbauten Satelliten-Stadtteils zum organisierten Abriss freilenken wollte, um so wenigstens den Kernbestand in der Mitte langfristig zu stabilisieren.
Die Wohnungsgenossenschaften liefen Sturm. Denn auch wenn es aus Sicht von Leipzig-Mitte so aussieht, dass Grünau ein großer homogener Klops ist, sieht die Wirklichkeit dennoch ganz anders aus. Die großen Plattenbauten gehören 20 unterschiedlichen Besitzern. Oft teilen sich mehrere Besitzer einen Standort. Und dazu kam auch 2007 schon, dass auch in der Peripherie etliche Wohnblocks schon mit großem Kostenaufwand saniert worden waren. Der schöne Traum, die „überflüssigen“ Wohnhäuser mitsamt den Infrastrukturen (Schulen, Kitas, Supermärkten, Gleisen, Straßen, Versorgungsleitungen …) hübsch systematisch vom Rande her abzubauen, erwies sich als nicht umsetzbare Schnapsidee.
Zum Glück.
Denn zwar ging der Rückgang der Grünauer Einwohnerzahl bis 2010 weiter. Aber seitdem wächst auch dieser Leipziger Stadtteil mit seinem speziellen Ruf wieder.
Ein Ruf, der immer unverdient war. Aber da ist Grünau ja nicht allein im Leipziger Mediendschungel. Es ist immer leichter, einem ganzen Stadtteil ein Label zu verpassen, einen Frame, wie die Psychologen sagen. Das lässt sich dann immer wieder aufrufen und der Leser sitzt am Küchentisch und nickt: Ja, ja, diese Grünauer, hab ich doch immer schon gewusst.
Dabei steht jetzt schon fest, dass die Existenz des einst für 100.000 Einwohner geplanten Stadtteils bald Gold wert sein wird für die wachsende Stadt Leipzig. Denn genau das, was Grünau noch hat, geht in zentralen Stadtteilen immer mehr verloren: preiswerter Wohnraum.
Noch gibt es in Grünau einzelne Quartiere, in denen der Leerstand 7 bis 10 Prozent beträgt. An manchen Stellen sind es auch mehr als 20 Prozent. Aber das hat damit zu tun, so Stefan Geiss, dass etliche Wohnblocks zur Komplettsanierung freigelenkt werden. Praktisch alle Eigentümer in Grünau investieren seit ein paar Jahren wieder in die Sanierung ihrer Bestände.
Manche haben auch schon wieder neu gebaut oder spielen mit dem Gedanken, neu zu bauen. Da wird es kompliziert. Die „Bild“-Geschichte mit den bedrohten Wäscheplätzen thematisierte ja diese Angst, die in erster Linie ja die Sorge darum ist, dass ein wichtiges Stück Wohnqualität verschwindet, das Grünau tatsächlich noch von anderen Ortsteilen unterscheidet: das Vorhandensein großer Grünflächen vor den Fenstern. Denn auch wenn man kompakt und industriell gebaut hat, hat man dennoch viele Leitlinien des modernen Bauens berücksichtigt, die sich mit den Worten „Luft und Licht“ gut umschreiben lassen.
Da pfeift vielleicht der Wind. Aber da stehen auch längst wieder 30, 40 Jahre alte Bäume und Baumalleen. Grünau ist tatsächlich grün.
An manchen Stellen grüner als gewollt. Denn tatsächlich wurden einige Wohnblöcke ab 1990, als klar war, dass sich Leipzig zu entvölkern begann, nicht mehr verwirklicht. Und gerade die 16-stöckigen Punkthochhäuser wurden nach der Jahrtausendwende alle abgerissen, weil der Leerstand in ganz Leipzig astronomische Höhen erreicht hatte. Binnen zehn Jahren hatte die Stadt 100.000 Einwohner verloren. Das wurde auch in Grünau spürbar, wo vor allem junge Familien ihre Trabis vollpackten, um ihr Glück im Westen zu suchen. Manche wechselten auch ins Eigenheim oder ab 1998 in die zusehends sanierte Innenstadt.
Ergebnis: Die Bevölkerungszahl halbierte sich von über 85.000 auf gerade mal 40.000. Aber wie gesagt: Ab 2010 registrierten auch Leipzigs Statistiker, dass es wieder Zuzug gab, dass vor allem auch wieder Familien mit Kindern nach Grünau zogen und dort die Senioren nicht unter sich blieben. Noch ist Grünau ein Stadtteil mit großen Heterogenitäten – einmal einer hohen Altenquote, aber auch mit einem überdurchschnittlichen Anteil von Kindern und Jugendlichen, betont Geiss.
Was die Stadt bei einem unerwarteten Thema unter Druck bringt: Die vorhandenen Schulbauten müssen dringend saniert und wieder nutzbar gemacht werden. So wie der Schulkomplex um die Klinger-Schule, der für 40 Millionen Euro zu einem modernen Bildungscampus entwickelt werden soll. Eine Menge Geld. Und da wird das Problem sichtbar. Stadtumbau kostet Geld. 55 Millionen Euro an Städtebaufördermitteln wurden seit 1990 in Grünau eingesetzt. Davon entstanden zum Beispiel Sport- und Freizeitangebote. Aber tatsächlich ist es nicht viel Geld. Gerade dann, wenn man wichtige Investitionen wie das Bildungszentrum platzieren will, in dem die Bibliotheken, die Volkshochschule und weitere Bildungsangebote gebündelt werden sollen. „Anderswo haben solche Projekte einen unglaublichen Erfolg“, weiß Stefan Geiss. Gerade in Fördergebieten mit einer sozial eher benachteiligen Bevölkerung.
Und dass Grünau so ein kulturelles Zentrum braucht, darin ist man sich zumindest im Stadtteil einig. Im Stadtrat noch nicht. Immerhin muss der entscheiden, ob die Stadt die dafür benötigten Millionen aufbringt oder doch wieder nur die Hände hebt: Es reicht nicht. Die Vorlage für das Bildungszentrum sei (mal wieder) in Vorbereitung, sagt Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau.
Das, was am Donnerstag vorgestellt wurde, ist erst einmal der Entwurf für das Konzept, das bis 2030 den politischen Handlungsrahmen für Grünau geben soll. Die Verwaltung selbst hat schon etliche Workshops zum Thema hinter sich. Die Öffentlichkeitsbeteiligung begann am Donnerstag gerade erst. Jetzt wissen auch die Betroffenen, was sich die Planer in den sechs Themenfeldern (Bildung, Kultur/Freizeit/Sport, Gesundheit, Stadtraum/Wohnen und Klima, Freiraum und Mobilität sowie Lokale Ökonomie und Beschäftigung) vorstellen können.
Was an Wohnungsneubau passiert, werden letztlich die Grundstückseigentümer selbst entscheiden. Aber dass auch andere Bauformen als Platte möglich sind, sieht auch Geiss so. Selbst Stadthaus-Quartiere oder Neubauten im mittleren Preissegment seien möglich. Was sogar gut wäre für die soziale Durchmischung des Stadtteils, betont Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau. Denn heute seien gerade in Grünau schon Segregationserscheinungen festzustellen. Die Tatsache, dass hier noch Wohnungen im preiswerten Segment zu finden sind, sorgt natürlich dafür, dass Menschen mit niedrigen Einkommen hierher ziehen. Aber auch viele Migranten sind in Grünau gelandet – im Grunde aus demselben Grund.
„Damit müssen wir jetzt umgehen“, sagt die Baubürgermeisterin, „und kluge Lösungen finden, wie wir das Miteinander organisieren und die nötigen Unterstützungsangebote vorhalten.“
Und dabei gehen die Stadtplaner sogar davon aus, dass die Bevölkerungszahl sich bis 2030 stabilisiert und gar nicht so exorbitant steigt wie in Leipzig insgesamt – von derzeit 43.600 vielleicht auf 45.000 Einwohner, vielleicht auch 50.000. Da steckt eine Menge Vorsicht in der Planung, auch wenn nicht zu überhören ist, wie wichtig die (noch) freien Bauflächen in Grünau sind: Von 632 Hektar gelten rund 50 Hektar als sofort wieder bebaubare Grundstücksfläche. Meist sind es grüne Wiesen, wo vor ein paar Jahren Plattenbauten abgerissen wurden. Und da kann sich auch Dorothee Dubrau durchaus auch wieder Punkthochhäuser vorstellen.
Die Besitzer der Wohnungsbestände zögern noch, konzentrieren sich erst einmal auf Sanierung. Aber wenn Leipzig weiter so wächst, wird auch in Grünau so einiges passieren. Und manches wird in den nächsten Wochen ganz bestimmt auch als Anregung aus der Bevölkerung kommen. Im Januar oder Februar 2018, so denkt die Baubürgermeisterin, könne man dann das fertige Stadtteilentwicklungskonzept für Grünau dem Stadtrat zur Beschlussfassung vorlegen.
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