Das ging dann alles sehr flott auf einmal, als OBM Burkhard Jung am 26. September verkündete: Leipzig will in einer Hauruck-Aktion 13 zusätzliche Kindertagesstätten für 45 Millionen Euro aus dem Boden stampfen. Und das auf zwölf stadteigenen Flächen. Doch auf einer gibt es ein kleines Problem: Sie wurde der Stadt nur unter einer Bedingung vermacht: Sie muss Grünfläche bleiben. Die Dölitzer gingen folglich auf die Barrikaden.

Sie gründeten eine Initiative, schrieben auch gleich an alle Stadtratsfraktionen. Seit Donnerstag ist das Thema heiß umkämpft.

Denn logischerweise prallen hier zwei elementare Interessen aufeinander: Die wachsende Stadt braucht nicht nur Grüninseln, sondern auch dringend mehr Kita-Plätze. Rund 1.500 bis 2.000 werden auch dann noch fehlen, wenn das normale Kitabauprogramm bis 2018 durchgezogen wird. Die 13 Kitas sollten in einem Ruck 1.800 neue Plätze schaffen. Und so ist auch der Stadtrat zerrissen.

Die Linken finden, man solle trotzdem bauen. Die Grünen haben einen Änderungsantrag gestellt: Die Dölitzer Kita in der Eigenheimstraße soll erst mal aus dem Paket genommen werden.

Die Linksfraktion jedenfalls will in den bis zur Ratsversammlung am 18. Oktober stattfindenden Sitzungen der beteiligten Ausschüsse (Soziales und Jugendhilfe) versuchen, die rund um den Kitabau in der Eigenheimstraße aufgetauchten Unstimmigkeiten aufzuklären. Derzeit mobilisiert eine Bürgerinitiative gegen den Bau der Kita für 120 Kinder, die Teil eines Programms für den Bau von insgesamt 13 Kindertageseinrichtungen in Leipzig ist.

„Wir brauchen diesen Standort in Dölitz genau wie die 12 anderen, um den Bedarf an Kinderbetreuungseinrichtungen in Leipzig zu decken“, sagt Juliane Nagel, Stadträtin im Leipziger Süden und lange wohnhaft in der Eigenheimstraße. „Im Frühjahr diesen Jahres gab es 2.000 Bedarfsanzeigen für Kindertagesbetreuung, die nicht gedeckt werden konnten. Auch durch den anhaltenden Geburtenboom werden die geplanten 13 neuen Kitas längst nicht reichen. Es liegt auf der Hand, dass die Stadtverwaltung den bedarfsgerechten Ausbau der Kita-Infrastruktur zu lange hat schleifen lassen. Auch darum stehen wir jetzt vor einer ad-hoc-Entscheidung.“

Einige der Einwände der Anwohnerinnen und Anwohner der Siedlung um die Eigenheimstraße in Dölitz nimmt die Linksfraktion durchaus ernst. So wird das Thema der Schenkung der Fläche sowie die Frage der durch den Neubau notwendig werdenden Baumfällungen bei den bis zur Ratsversammlung anstehenden Ausschusssitzungen zur Debatte gestellt werden, verspricht die Stadträtin. Auch eine bessere Anbindung des neuen Standortes mit dem öffentlichen Nahverkehr sollte ehrlich zur Diskussion gestellt werden. Die Stadtverwaltung müsse hier plausible Antworten liefern.

Denn eine Sorge der Dölitzer ist natürlich der zu erwartende Autoverkehr. Die Eigenheimstraße ist aber tatsächlich eine schmale Anliegerstraße. Das sorgt ganz allein schon für Konflikte. Und junge Eltern, die von der Straßenbahnhaltestelle am Straßenbahnhof Dölitz kommen, haben nicht nur einen ziemlich langen und einsamen Weg, der Asphaltweg ist auch noch die reinste Holperstrecke.

Juliane Nagel: „Schlussendlich ist die Linksfraktion aber der Meinung, dass die aufgeworfenen Fragen um den Neubau der Kita Eigenheimstraße konstruktiv aufgelöst werden und nicht zur Komplett-Ablehnung des Vorhabens führen sollten. Denn: Auch der Stadtteil Dölitz wächst und verjüngt sich und schließlich steht die Versorgung der Kinder im gesamten Süden auf der Tagesordnung. Solidarität mit Eltern und Kindern aus anderen benachbarten Ortsteilen stünde auch den DölitzerInnen gut zu Gesicht.“

Nicht zuletzt bleibe auch mit dem Kitaneubau ein Teil der Freifläche für die öffentliche Nutzung bestehen. Dafür wolle Die Linke sich einsetzten.

Die Grünen sind da skeptischer.

Die Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen wird in diesem Zusammenhang beantragen, eine Entscheidung hinsichtlich der für den Bau einer „Leipzig-Kita“ vorgesehenen Liegenschaft „Eigenheimstraße – Gemarkung Dösen, Flurstück 87“ vorerst und bis zur Klärung von offenen Fragen zurückzustellen.

„Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unterstützt die Weichenstellung für einen zügigen Kita-Neubau, denn klar ist, dass Leipzig dringend Kitaplätze in Größenordnung braucht! Auch wir sprechen uns deshalb für eine deutliche Beschleunigung von Planungs- und Bauprozessen aus. Die in der Sammelvorlage der Verwaltung vorgeschlagenen Kita-Neubauten korrigieren nun in einem ersten Schritt die Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit, als die Stadtverwaltung trotz des Wissens um die hohe Nachfrage aufgrund knapper Kassen, fehlendem Personals und mangelhafter verwaltungsinterner Abstimmungsprozesse jahrelang Kita- und Krippenplätze unterhalb des eigentlichen Bedarfs geschaffen hat“, erklärt dazu Stadtrat Michael Schmidt, familienpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion.

Von den zwölf benannten kommunalen Grundstücken, die von der Verwaltung zur Bebauung mit Kindertagesstätten ausgewählt wurden, stehen derzeit freilich mindestens vier als Grünflächen der Öffentlichkeit zur Verfügung und werden ohne erkennbare Kompensation wegfallen. Ohne Kompensation heißt: Es wird keine Ersatzgrünfläche dafür an einem anderem Ort geben.

„Dies zeigt die große Not, vor der die Stadt bei der Suche nach geeigneten und überhaupt zur Verfügung stehenden kommunalen Grundstücken für die dringend benötigten Kita-Neubauten und ihrer Freiflächen steht. Hier müssen neue Wege gefunden werden, wie und wo künftig Kitas gebaut werden und wie dies auch für private Bauherren und Vorhabenträger wieder attraktiver gemacht werden kann“, sagt Schmidt. „Unsere Fraktion fordert daher neben der Evaluierung der Kitabaukosten die Erstellung einer Zukunftsstudie, die die Zielstellung flächensparendes, ökologisches und stadtbegrünendes Bauen und Nutzen sowie vertikale Nutzungsmischung und innovative Nutzungskombinationen von Gebäuden und Freiflächen beinhaltet und als Grundlage einer zukunftsgerichteten Strategie zum künftigen Neubau von Kindertagesstätten in der Stadt Leipzig dienen soll.“

Plakate an den Bäumen: Rettet unsere Wiese! Foto:Ralf Julke
Plakate an den Bäumen: Rettet unsere Wiese! Foto: Ralf Julke

Dass Leipzig überhaupt so eine Not hat, geeignete Standorte für Kitas (und auch Schulen) zu finden, liegt an der jahrelang vertrödelten Liegenschaftspolitik. Viel zu spät wurde das strategische Liegenschaftsmanagement gestartet – zu einem Zeitpunkt nämlich, als vorausschauende Investoren schon fast alles aufgekauft hatten, was in Leipzig an Flächen verfügbar war.

„Auch wenn sich ganz aktuell eine vereinzelte Bebauung öffentlicher Grünflächen aufgrund anzunehmender fehlender Alternativflächen nicht wird verhindern lassen, muss dies zumindest gründlich abgewogen sowie den Anwohnerinnen und Anwohnern erklärt und vermittelt werden“, fordert Schmidt. „Im Fall der Eigenheimstraße stehen viele offene Fragen der Initiativgruppe Johannishöhe im Raum, die aufgearbeitet werden müssen, bevor eine abschließende Entscheidung zum Grundstück getroffen wird. Anderenfalls wird man für einen dortigen Kita-Neubau nicht das nötige Verständnis, sondern Ablehnung und Demokratieverdrossenheit ernten.“

Stadtrat Tim Elschner, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Fraktion, gibt außerdem zu bedenken: „Eine integrierte, an strategischen Zielen ausgerichtete Stadtentwicklung findet ihren Niederschlag in den unterschiedlichsten Ansprüchen an Fläche. Die Konkurrenz der Nutzungsansprüche hat sich in unserer wachsenden Stadt erkennbar für jeden verschärft. Die heftige Diskussion im letzten Jahr um die Zukunft des Otto-Runki-Platzes ist nur ein Beleg dafür! Der Umstand, dass nun vier Fachliegenschaften des Amtes für Stadtgrün und Gewässer für den Bau von Kitas herangezogen werden müssen, zeigt außerdem deutlich, dass der Bestand an geeigneten kommunalen Grundstücken dafür endlich und begrenzt ist. Dies erfüllt unsere Fraktion mit großer Sorge vor dem Hintergrund, dass bis 2030 mindestens 40 Kita-Neubauten notwendig sind. Einmal mehr wird deutlich, dass sich ein strategisches Flächenmanagement und eine strategische Stadtentwicklung wechselseitig bedingen. In der Vergangenheit hat es hieran gefehlt, indem die Stadtverwaltung die Neuausrichtung der strategischen Liegenschaftspolitik fahrlässig auf die lange Bank geschoben hat und es hierfür erst eines Beschlusses des Stadtrates bedurfte.“

Die Sorge ist wohlberechtigt. Elschner sieht deutlichen Bedarf, die verantwortliche Fachstelle in der Verwaltung neu zu justieren. Denn was nutzen alle Millionen, wenn die Stadt keine Flächen (mehr) hat?

„Weil Fläche in unserer Stadt zunehmend ein knappes Gut ist, bedarf es seitens der Stadt deshalb einmal mehr einer angemessenen strategischen Grundstücksreserve, die es auch in Zukunft ermöglicht, den zentralen Aufgaben der Daseinsvorsorge nachzukommen und Stadtentwicklung nachhaltig zu betreiben. Es ist also höchste Zeit, die aktive Liegenschaftspolitik als ein Instrument strategischen Flächenmanagements endlich neu darauf auszurichten, um die Steuerungs- und Strategiefähigkeit unserer Stadt zu bewahren!“, sagt Elschner. „Hinsichtlich neuer Kita-Standorte bedarf es deshalb einer konsequenten und gewollten Flächenbevorratung sowie einer Anwendung der Grundsätze der kooperativen Baulandentwicklung.“

Und dazu kommt dann die Frage, ob man all jene Projektentwickler, die sich die wirklich großen Filetstücke im Stadtinneren gesichert haben, zur Kooperation gewinnen kann, auch die nötigen Sozialeinrichtungen mitzubauen.

Elschner: „Weil insbesondere in den innenstadtnahen und nachfragestarken Quartieren derzeit eine Vielzahl von Wohnungsbauvorhaben geplant und realisiert werden, ist die Stadtverwaltung des Weiteren aufgefordert, private Projektentwickler und Bauherren bei der Integration von Kindertagesstätten im Sinne einer gestapelten Nutzungsmischung zielführend zu unterstützen. Die gezielte Integration von Kindertagesstätten in die unteren Etagen mit zugeordneten Freiflächen würde die Schaffung von Betreuungsplätzen gerade in den Quartieren ermöglichen, in denen keine städtischen Liegenschaften mehr verfügbar sind, aber eine hohe Nachfrage besteht.“

Der Änderungsantrag der Grünen.

Nachtrag, 13. Oktober 2017: Stadträtin Juliane Nagel (Die Linke) wies unsere Redaktion darauf hin, dass die Stadtverwaltung in einer Ausschusssitzung ausgeführt hat, dass es keine Vereinbarung mit dem Stifter des Geländes gäbe, dieses nicht bebauen zu dürfen.

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Es gibt 3 Kommentare

Nach jahrelang vertrödelter Planung und KiTa-Politik wird nun der Bürger wieder genötigt und notfalls entmündigt; die ‘KiTaplätze sind ja alternativlos und dringlich. Und der Bürger wolle ja auch, dass seine Kinder irgendwo untergebracht werden’.
Prinzipiell kann man eine Wiese dafür hergeben. Da ich aber genau folgende Problematik oft gelesen habe, möchte ich nicht dafür plädieren:
Wie viele Bäume wurden als Ersatz oder prinzipiell neu gepflanzt? Immer zu wenig, wie man nachlesen kann.
Wo werden diese gepflanzt? An der äußersten Peripherie der Stadt, dort, wo keiner was davon hat.
Wann sind diese so groß, wie die gefällten Exemplare? In zig Jahren – toll!

Stadt lebt – auch in wachsenden Orten – davon, dass Grünflächen Erholung und Attraktivität bringen! Gerade in Zeiten, wo Umweltgrenzwerte gerissen werden.
Vom zusätzlichen KiTa-Verkehr mal abgesehen: dieser liegt so was von auf der Hand!

Wenn die Schenkungsbedingungen in diesem Fall auch noch ignoriert werden: Genau so verprellt man die Bürger. Sich über deren Reaktion dann wundern ist nicht erlaubt!

Darf denn die Stadt sich einfach über die Auflage hinwegsetzen, die bei Schenkung der Fläche gemacht wurde?
Wenn ja, wäre das in meinen Augen ein Skandal.

So sehr ich den Bedarf an Kitas, Schulen und Co nachvollziehen kann, aber die Auflage bei der Schenkung wurde ja sicher nicht ohne Grund gemacht.

Davon abgesehen ist ein kleiner Fehler im Artikel, denn ich glaube das vom Straßenbahnhof Angerbrücke keiner so weit laufen würde, sondern eher der Straßenbahnhof Dölitz gemeint ist.

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