Für FreikäuferDa waren wir schon ein bisschen erschrocken, als der Bürgerverein Gohlis uns am Freitag, 22. September, seine Verwunderung mitteilte zur geplanten Schließung der Speedskating-Anlage im Gohliser Norden. „Nicht erst seit dem neuen Integrierten Stadtentwicklungskonzept (INSEK) wissen wir, dass sich Gohlis Nord im Vergleich zu Gohlis Mitte und Süd weniger dynamisch entwickelt hat“, meinte der Bürgervereinsvorsitzende Matthias Judt aus diesem Anlass.
„Jetzt werden sogar Teile von Gohlis-Nord durch die Stadt zu Beobachtungsgebieten erklärt, da aufgrund der zunehmenden Zahl von ALG-II-Haushalten und der Überalterung ein Abhängen gegenüber dem restlichen Gohlis droht. Die erfolgte Schließung der Speedskating-Anlage wird diese Entwicklung eher noch beschleunigen“, sagt Judt. „Der Gohliser Norden ist leider mit sozialer Infrastruktur gerade für Jugendliche unterversorgt. Die neue Speedskating-Anlage wurde erst im Januar 2015 eröffnet und ist aufgrund der Überdachung die einzige dieser Art im Leipziger Raum. Die entsprechende Abteilung hat über 120 Mitglieder. Dies ist ein Pfund für Gohlis, das weit über den Stadtteil hinausstrahlt. Wir setzen daher auf klärende Gespräche zwischen den beteiligten Akteuren und würden uns auch als Schlichter anbieten.“
Ob nun ausgerechnet eine Speedskating-Anlage Gohlis-Nord mit Leben erfüllt, darf bezweifelt werden.
Aber Recht hat der Bürgerverein natürlich: Irgendetwas müsste hier passieren.
Dass Gohlis-Nord zum Aufmerksamkeitsgebiet (nicht Beobachtungsgebiet) erklärt werden soll, hat – laut dem von Matthias Judt erwähnten Integrierten Stadtentwicklungskonzept (INSEK) – folgenden Anlass: Aufmerksamkeitsgebiete „weisen im Unterschied zu den fachübergreifenden Schwerpunktgebieten vereinzelte, kleinräumige Problemlagen auf. Diese erfordern eine kontinuierliche Beobachtung und können bei einer weiteren Verschlechterung der Rahmenbedingungen, verbunden mit einer Überlagerung von Problemen, zu einer Einstufung als fachübergreifender Schwerpunktraum führen. Ziel ist, dies zu verhindern. Hierfür können punktuell geeignete, fachbezogene Fördermittel und Instrumente bzw. kommunale Mittel eingesetzt und ggf. stadtteilbezogene Managementstrukturen aufgebaut werden.“
Neben Teilen von Gohlis-Nord will man insbesondere Lößnig, Kleinzschocher und Altlindenau diese Aufmerksamkeit angedeihen lassen.
Gohlis-Nord hat tatsächlich das Problem, dass es lange Jahre völlig abseits der Stadtpolitik lag. Andere Ortsteile wuchsen schneller, sorgten für Schlagzeilen, zwangen zu früheren Lösungen.
Was übrigens im benachbarten Gohlis-Mitte schon zu der städtischen Klage führt, das Bevölkerungswachstum sei auf einmal unterdurchschnittlich. Dabei gehört Gohlis-Mitte zu den am schnellsten zugewohnten Ortsteilen in Leipzig – ideal gelegen zwischen City und Nordraum, mit dem Auto ist man in beiden Richtungen schnell irgendwo. Was übrigens zu den berühmten Rückstaueffekten auf der Georg-Schumann-Straße, der Lindenthaler und der Lützowstraße führt: Ganz viele Leute wollen morgens und abends ganz schnell mit dem Auto in die eine oder andere Richtung. Nicht die Straßen sind das Nadelöhr (auch wenn die CDU-Fraktion das seit 2012 refrainartig wiederholt), sondern die Kreuzungen.
Das aber ist genau der Effekt, wenn man die Mobilität eines sich rasant füllenden Ortsteils einfach jahrelang unterschätzt hat.
Und in Gohlis-Nord?
Da fängt der Zuzug jetzt gerade an und scheint erst einmal vor allem ein Ausweich zu sein, denn obwohl der Ortsteil schon im Schnitt 6,4 Jahre älter ist als der Stadtdurchschnitt, die Altenquote sogar um 27 Prozent über dem Stadtdurchschnitt liegt, sind in den letzten Jahren vor allem Senioren und Familien mit Kindern dorthin gezogen, weil augenscheinlich das Mietpreisniveau noch relativ kulant ist. Das ist die Sorge, die augenscheinlich die Verwaltung im INSEK umtreibt: „Sozioökonomische Entwicklung beobachten und mit kleinteiligen präventiven Maßnahmen im Bereich Bildung und Soziales begleiten“.
Wird natürlich nicht klappen. Wenn Menschen mit geringen Einkommen anderswo verdrängt werden, landen sie alle irgendwann am Stadtrand. Die alten Strategien der Stadt funktionieren so nicht mehr. Deswegen werden die richtig großen Randgebiete (Paunsdorf, Mockau-Nord und Grünau) im INSEK auch besonders betrachtet. Gohlis-Nord ist sozusagen die stillere, nicht ganz so problematische Form davon. Aber wenn man genau hinguckt, gibt es außer dem „Stadion des Friedens“ hier wirklich wenig, was Aufenthaltsqualität bietet.
Und dass die Stadtplaner den Effekt, den sie im INSEK erwähnen mit deutlichem Anstieg der Einwohnerzahlen, selbst nicht erst nehmen, zeigen dann solche Aktionen wie bei der um ein Jahr verschobenen Straßenbahnhaltestelle in der Virchowstraße.
Der Altersdurchschnitt sinkt übrigens, weil jetzt eben auch viele Familien mit Kindern hinziehen.
Rund um die Bremer Straße will man den Wohnungsbestand verdichten. Grüne Wegebeziehungen will man gestalten, von neuen Kitas und Spielplätzen ist freilich nicht die Rede. Aber gerade das wird gebraucht werden. Genauso wie ein Ausbau des ÖPNV-Angebots. Sonst werden noch mehr Autofahrer die Kreuzungen in Gohlis-Mitte verstopfen.
Die Meldung des Bürgervereins erinnert also daran, dass es hier einen klassischen Fall von Ortsteil gibt, bei dem jetzt die Strukturen für die nächsten zehn Wachstumsjahre entstehen müssen. Offiziell hat der Ortsteil in diesem Jahr die Einwohnerzahl von 1991 wieder erreicht und wird bis 2020 noch einmal ungefähr 1.000 Einwohner dazubekommen auf die zuletzt 8.500.
Höchste Zeit also, dass man die Existenz des Ortsteils wahrnimmt und ein paar mehr Ideen entwickelt, als im INSEK zu lesen sind.
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Ein anderer Punkt, der durchaus mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, ist die Schließung des Wackerbades in der Max-Liebermann-Straßen.