Kann er nun loslassen? Seinen großen Traum, selbst zu bestimmen, wo das Leipziger Freiheitsdenkmal nun stehen soll, durchzudrücken? So richtig klangen die jüngsten Äußerungen von OBM Burkhard Jung, die er wieder via LVZ in die Welt schickte, nicht so. „Für die Gestaltung des Matthäikirchhofs erhofft sich Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) einen großen Aufschlag. Optimal wäre aus Sicht des Stadtchefs ein zentraler Gedenkort an dieser Stelle“, hieß es dort am 16. September.
Da bleibt er hartnäckig, obwohl er – nachdem es auf seine erste Äußerung hin zu diesem Thema zu Jahresbeginn heftig Gegenwind gab – dann die Stiftung Friedliche Revolution beauftragte, die Steuerung für das Denkmalsprojekt zu übernehmen. Dass das Agieren der Verwaltung für das Scheitern des ersten Denkmalprojekts verantwortlich war, gibt er zumindest indirekt zu.
Aber dass er nicht loslassen wollte, machte dann seine Doppelvorlage zur Neugestaltung des Matthäikirchhofs deutlich. Ordentlich war der Wunsch des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen, hier ein zentrales Archiv für die sächsischen Akten aufzubauen, verquirlt mit dem innigen Wunsch, gleichzeitig einen Gedenkort für die Friedliche Revolution draus zu machen, also die Denkmalsidee irgendwie damit zu verbinden.
Das fand dann auch die CDU-Fraktion überhaupt nicht zielführend. Sie beantragte die Trennung beider Projekte in zwei verschiedene Stadtratsvorlagen. Dem wolle er nun nachkommen, gestand Burkhard Jung laut LVZ zu.
Aber es war so typisch für ihn: Immer mehr versucht der Oberbürgermeister alle Entscheidungen in der Stadt allein zu fällen und die Stadtpolitik allein auf seine Person zuzuschneiden und damit das Spiel der demokratischen Entscheidungen auszuhebeln, bei dem auch im Widerstreit der Stadtratsinteressen gangbare Lösungen gesucht und gefunden werden. Ohne Stadtrat kann er nicht regieren.
Ohne Stadtratszustimmung wird es auch keine einvernehmliche Entscheidung zum Matthäikirchhof geben, bei der es eben nicht nur um eine städtebauliche Neugestaltung des durch den Stasi-Bau verunstalteten Areals geht, sondern auch um einen Aspekt, an den jetzt Thomaspfarrerin Britta Taddiken mit einem Offenen Brief erinnert: Wie wird an die einst dort stehende Matthäikirche erinnert?
Und war da nicht noch was? Wurde die Matthäikirchgemeinde in DDR-Zeiten nicht kalt enteignet, ohne dafür je entschädigt zu werden? Eine Frage, die sich sicher klären lässt, denn ganz so hartnäckig beharrt sie nicht auf dem Grundstücksanspruch.
Aber dass in einer würdigen Form an die gesprengte Kirche erinnert wird, hält sie für wichtig.
Der Offene Brief von Pfarrerin Britta Taddiken an Oberbürgermeister Burkhard Jung zur Umgestaltung des Matthäikirchhofes:
Lieber Oberbürgermeister Jung,
gerne möchte ich mich von Seiten der Kirchgemeinde St. Thomas in das Nachdenken über die Neugestaltung des Matthäikirchhofes einbringen bzw. Ihnen unsere Mithilfe und Mitdenken anbieten. Auf dem jetzigen Areal des Matthäikirchhofes hat sich bis zum 4. Dezember 1943 die Matthäikirche befunden, die dem wohl schwersten Bombenangriff auf Leipzig zum Opfer gefallen ist. Diese Kirche war nicht nur durch ihren Status als eine der vier Leipziger Hauptkirchen in der Bach-Zeit von besonderer Bedeutung, sondern sie war die Gemeindekirche des gesamten Waldstraßenviertels. Am 21. April 1948 wurden die Kirchgemeinden St. Thomas und St. Matthäi zur St. Thomas-Matthäi-Gemeinde vereinigt. Dies entsprach einerseits einem Gebot der Vernunft: Eine Gemeinde hatte ihre Kirche verloren, die andere einen Großteil ihrer Gemeindeglieder (das Gemeindegebiet der Thomaskirche erstreckte sich seinerzeit vom Bayerischen Bahnhof bis zur Feuerwache und vom Reichsgericht bis zum Hauptbahnhof – nach dem 4. Dezember 1943 ein riesiges Trümmerfeld!).
Andererseits muss man aber eines klar sagen: Die Matthäigemeinde wurde nach dem Abbruch der Ruine der Matthäikirche schlichtweg enteignet, Grund und Boden „holte“ sich der Staat. Dafür hat es meines Wissens nie einen Ausgleich in irgendeiner Form gegeben. Ich halte es insofern für angemessen, dass bei der Neugestaltung des Matthäikirchhofs auch für die Matthäikirche eine würdige Form des Gedenkens gefunden wird, die über die jetzige abseits gelegene kleine Gedenkstätte hinausweist. Denkbar wäre etwa, den Grundriss der Matthäikirche auf dem Areal des Matthäikirchhofs in baulicher Weise hervorzuheben bzw. zumindest auf dem Boden umrisshaft festzuhalten. Ich denke, es ist jetzt an der Zeit, alle Stimmen zu hören, bevor Gestaltungsprozesse welcher Art auch immer in Bewegung gesetzt werden. Deshalb erlaube ich mir, diesen Brief an Sie auch anderen zur Kenntnis zu geben.
Herzliche Grüße
Ihre Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche
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Eine entsprechende Extra-Vorlage, der Stiftung Friedliche Revolution die Erarbeitung eines Verfahrensvorschlags für den neu zu startenden Denkmalswettbewerb zu übertragen, hat die Verwaltung Anfang September vorgelegt. Er soll in der Ratsversammlung am 18. Oktober abgestimmt werden.
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