Die Pläne für den Matthäikirchhof werden konkreter. Die Dezernate Kultur und Stadtentwicklung und Bau haben jetzt eine gemeinsame Vorlage eingebracht, in der es um die Zukunft des Matthäikirchhofs und die Etablierung eines „Forums für Freiheit und Bürgerrechte“ geht. Was OBM Burkhard Jung angekündigt hat, wird jetzt auch zur Beschlussreife gebracht.

Es sei denn, die Fraktionen im Stadtrat sagen jetzt „Nein“. Kann ja auch passieren. Denn vorangetrieben hat Jung das Projekt erst mal ohne Stadtrat. Die Idee kam übrigens aus Berlin. Dort hat man nämlich ein Problem: Wohin mit den ganzen alten Stasi-Akten in den Ländern? Bislang sind die dezentral in den einstigen Bezirkstädten untergebracht. Aber um Standortkosten zu sparen, sollen sie in den Ländern zentralisiert werden.

Oder mit den Worten der jetzigen Vorlage: „Der Deutsche Bundestag hat im Sommer 2016 beschlossen, den Transformationsprozess der Stasiunterlagenbehörde aus dem Amt des Bundesbeauftragten einzuleiten. Es soll ein Konzept zur dauerhaften Sicherung der Stasi-Akten durch Überführung des Stasi-Unterlagen-Archivs in das Bundesarchiv erarbeitet werden. Damit einhergehend ist die Umstrukturierung der Stasiunterlagenbehörde notwendig, um eine archivgerechte Lagerung zu garantieren und sie bestmöglich in die bestehende Erinnerungslandschaft einzubetten. Im Ergebnis von Sondierungsgesprächen des derzeitigen Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR, Roland Jahn, mit den Ländern, sollen die Akten jeweils an einem Standort in den Bundesländern konzentriert werden. Die Beantragung vor Ort zur Akteneinsicht bleibt davon unberührt. Leipzig ist einer von 12 Archivstandorten der Stasiunterlagenbehörde, an denen derzeit in den östlichen Bundesländern mehr als die Hälfte der ca. 111 km Akten aufbewahrt werden. Dem BStU geht es dabei nicht nur um eine den Erfordernissen gerecht werdende Aufbewahrung der Akten (keine der Außenstellen verfügt derzeit über eine archivgerechte Lagerung), sondern auch um die zeitgemäße Vermittlung von Grundwissen zum MfS, zu den Stasi-Akten und dem Archiv und zum Prozess der Aktenöffnung.“

Und der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn fand, in Leipzig gäbe es da ja eigentlich ideale Voraussetzungen. 2016 nahm er deshalb Kontakt zum Oberbürgermeister von Leipzig auf, „um über seine Ideen zu informieren“. Jung fand die Idee wohl gut und beauftragte „in Absprache mit den genannten Vereinen und Einrichtungen den ehemaligen Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums und einschlägig mit dem Thema Vertrauten, Professor Rainer Eckert, mit der Erstellung eines Gutachtens über die Möglichkeiten, am Standort Matthäikirchhof, einen herausragenden Ort der Gedenkkultur und Geschichtsvermittlung zu etablieren. Professor Eckert bescheinigt in dem Gutachten dafür hervorragende Möglichkeiten“.

Der Parkplatz hinterm Stasi-Neubau. Foto: Ralf Julke
Der Parkplatz hinterm Stasi-Neubau. Foto: Ralf Julke

Die erwähnten Einrichtungen sind das Bürgerkomitee Leipzig e.V. als Träger der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V., die Stiftung Friedliche Revolution und das städtische Schulmuseum, alle schon im Bereich Runde Ecke aktiv. Ihnen und Teilen der Stadtverwaltung wurde im Sommer 2016 das Gutachten präsentiert. Sie sollten sich Gedanken machen, wie man künftig das zusätzliche Archiv für die Stasi-Unterlagen integrieren könnte. Das wird nicht ohne Inanspruchnahme des alten Stasi-Neubaus gehen.

Man braucht nicht nur ein weiteres Lagergebäude, der Komplex soll sich – so das Ergebnis eines Workshops der Beteiligten im Frühjahr – zu einem „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ (Arbeitstitel) weiterentwickeln.

Alles noch ohne Beteiligung von Stadtrat und Bevölkerung. Was schon verblüfft. Immerhin ist gerade dem Stadtplanungsdezernat klar, dass man es hier mit einem wertvollen Stück in City-Lage zu tun hat.

„Der Bereich Matthäikirchhof und angrenzende Grundstücke haben eine Gesamtgröße von ca. 1,6 ha. Er steht fast ausschließlich im Eigentum der Stadt Leipzig. Die Potentialfläche ist heute überwiegend mit dem Gebäude des sogenannten Stasi-Neubaus bebaut; weitere Teile werden als Parkplatz genutzt. Es handelt sich um die letzte größere Potentialfläche innerhalb des Promenadenringes“, heißt es jetzt in der Vorlage für den Stadtrat.

„Unter der rein hypothetisch vorgenommenen städtebaulichen Annahme, dass 60 % der Potentialfläche baulich genutzt werden und unter der Annahme einer Geschossflächenzahl (GFZ) von durchschnittlich 3,5 bis 4,0 können ca. 33.000 bis 38.000 qm oberirdische Geschossfläche realisiert werden. Welche Geschossfläche zur Unterbringung der verschiedenen Einrichtungen des ‚Forums für Freiheit und Bürgerrechte‘ (Arbeitstitel) tatsächlich benötigt wird, kann derzeit nur sehr grob abgeschätzt werden. In dem Gutachten von Professor Dr. Rainer Eckert wird von einer Geschossfläche von ca. 14.000 qm ausgegangen. Von der gesamten Baufeldgröße (ca. 1,6 ha) werden je nach städtebaulicher Ausgestaltung für die Unterbringung der verschiedenen Einrichtungen zwischen ca. 2.000 m² und ca. 4.700 m² benötigt.“

Man braucht also eigentlich nur ein Teil des Geländes oder des Stasi-Neubaus.

Was zumindest die Befürchtung, der ganze hässliche Klotz würde erhalten, etwas dämpft. Ausgeräumt ist sie nicht.

Zufahrt zum Innenbereich des alten Stasi-Komplexes. Foto: Ralf Julke
Zufahrt zum Innenbereich des alten Stasi-Komplexes. Foto: Ralf Julke

Denn: „Die genaue städtebauliche Lösung einschließlich der Entscheidung über den Erhalt, Teil-Erhalt und Nicht-Erhalt des sogenannten Stasi-Neubaus soll aufgrund der herausragenden Bedeutung des Standortes für die Stadtentwicklung von Leipzig durch einen international offenen Architekturwettbewerb gefunden werden. Die geschichtliche Bedeutung der verschiedenen Bestandsgebäude wird in den Auslobungsunterlagen umfassend dargestellt.“

Das beruhigt nicht wirklich. Wie viel an dem Riesenklotz ist tatsächlich „geschichtlich bedeutend“? Und was kostet der Erhalt? Und wie sehr verhindert das tatsächlich eine architektonisch gelungene Lösung für den Matthäikirchhof, der als erlebbares City-Areal derzeit praktisch nicht existiert?

Aber ein Hoffnungsschimmer ist auch, dass jetzt, wo schon die wichtigsten Pflöcke eingeschlagen sind, auch ein bisschen Bürgerbeteiligung passieren soll.

Im Text der Vorlage: „Nach ausführlicher Diskussion wurde u. a. festgelegt, dass der weitere Prozess der Entwicklung des Standortes zwischen der Stadt Leipzig und den Vertretern der genannten Einrichtungen und Vereine, die bereits vor Ort agieren sowie denen, die perspektivisch dort angesiedelt werden sollen, kooperativ verlaufen soll und deren VertreterInnen intensiv in alle Prozesse einbezogen werden. Im gesamten Verfahren soll es Möglichkeiten der Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung geben. Die Stadt Leipzig sieht in dem Areal Matthäikirchhof beste Möglichkeiten, dort einen national und international herausragenden Ort der Geschichtsvermittlung und politischen Bildung zu etablieren, mit dem sich Leipzig als Stadt der Friedlichen Revolution von 1989 dauerhaft einprägt.“

Und so nebenbei erklärt nun die Vorlage übrigens auch, dass das geplante Forum doch nicht das neue „Freiheitsedenkmal“ werden soll, auch wenn beides thematisch immer wieder vermengt wird und mit der Stiftung Friedliche Revolution ein Akteur auch in beiden Projekten federführend ist.

Die geplanten Entwicklungsphasen für das Projekt:

„Projektphase 1 – Konzeptentwicklung und Abstimmung

In dieser Projektphase sind zwischen den Beteiligten auf Basis der Entwicklungsperspektiven im Positionspapier vom März 2017 (ANLAGE 1) die Projektstrukturen zu erarbeiten, das inhaltliche Konzept zu konkretisieren, die Rahmenbedingungen zu ermitteln und die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten einschließlich der Finanzierungszuständigkeit festzulegen. Ergebnis der Projektphase 1 ist der Entwurf einer umfassenden Vereinbarung. Diese bedarf auf Seiten der Stadt Leipzig einer Beschlussfassung durch den Stadtrat.

Projektphase 2 – Planungsphase

Kernbestandteil dieser Projektphase ist die Durchführung eines internationalen Realisierungswettbewerbs für das zu errichtende Bauvolumen des ‚Forums für Freiheit und Bürgerrechte‘ (Arbeitstitel) mit städtebaulichem Ideenteil für die verbleibenden Flächen (Zweiphasiger Wettbewerb). Dieses Verfahren ist auch bei der ähnlich strukturierten Aufgabe der Errichtung des Museums der bildenden Künste mit der umgebenden Randbebauung gewählt worden. Im Anschluss an den Wettbewerb erfolgt die Bebauungsplanung (sofern erforderlich) und die Objektplanung für die Gebäude.

Projektphase 3 – Baudurchführung

Durchführung des Bebauungsplanverfahrens.“

Und wo es um die Kosten geht, verrät die Vorlage zumindest, warum man das Ganze lieber in kleiner Runde zur Reife brachte und die Leipziger lieber nicht mit einbezog: Es gibt wieder einmal Finanzierungszusagen vom Bund.

Oder im Wortlaut der Vorlage: „Bereits zum jetzigen Zeitpunkt steht fest, dass für die Umsetzung des herausragenden Projektes von einer hohen finanziellen Beteiligung aller Träger des Projektes ausgegangen werden muss.“

Die Vereine können diese finanziell hochbelastbaren Träger ja nicht sein. Sie hängen ja selber am Fördertopf. Bleibt nur der Bund. Konkrete Zahlen zu den Kosten könne es zum Zeitpunkt noch nicht geben, betont die Vorlage.

Die wieder so eine Art Zwei-Fliegen-mit-einer-Klatsche ist, denn die nächste Stadtratsentscheidung zum Freiheitsdenkmal ist auch gleich noch mit hineingeschrieben worden, obwohl sie damit nichts zu tun hat.

Dazu gleich noch mehr.

Die Beschlussvorlage „Entwicklungsoption Areal Matthäikirchhof – Etablierung eines ‚Forums für Freiheit und Bürgerrechte‘“.

Das Workshop-Ergebnis.

Der Lageplan.

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