Auch wenn es einige Teile der Leipziger Politik irritiert und die Ganzrechtsaußen von „Kriminalität“ lamentieren, geht es beim besetzten DB-Objekt in der Arno-Nitzsche-Straße 41 um mehr – nämlich um eine Diskussion, die Leipzigs Politik nicht wirklich zu führen bereit ist: die über Freiräume für Menschen, die nicht das Geld haben, sich Haus und Grund zu kaufen. Kann man so etwas friedlich lösen?
So neu sind die Vorgänge um die Arno-Nitzsche-Straße 41 nämlich nicht. Seit Jahren steht das Gebäude der Deutschen Bahn leer. Tatsächlich steht es sogar so versteckt, dass die meisten Leipziger zuvor nie davon gehört haben, geschweige, es gesehen. Ganz ähnliche Gebäude gab (und gibt) es im Leipziger Westen. Einige haben ebenso spektakuläre Besetzungen erlebt. Einige wenige sind dann auch zu neuen, experimentellen Wohnorten geworden, andere wurden zu Hotspots der „Westkultur“. Wieder andere wurden nur solange geduldet, bis der zumeist neue Besitzer darin hochpreisigen Wohnraum unterbringen konnte und die alten Bewohner vertrieb.
Letzteres ist mittlerweile die Regel. Die Freiräume, die die deindustrialisierte Stadt nach 1990 geboten hat, schmelzen, verwandeln sich immer mehr in höherpreisige Wohnanlagen.
Und trotzdem ziehen immer wieder junge Leute los und in leerstehende Gebäude ein, für die sie sich sehr wohl eine andere Nutzung vorstellen können.
So wie die Gruppe junger Menschen, die 2016 in der Arno-Nitzsche-Straße 41 das sogenannte „Black Triangle“-Kollektiv gründeten. Erst seitdem ist das Schicksal des 1905 gebauten, historischen Gebäudekomplexes wieder in das Bewusstsein der Leipziger Öffentlichkeit gerückt. Vorher schien es überhaupt nicht zu existieren.
Aber in den letzten Wochen hat nun auch die Bahn irgendwie Bedarf gefühlt, ihre Rolle als Hausherr wahrzunehmen und die ungebetenen Gäste zu exmittieren. Nebenher verschärften die beiden Leipziger Law-and-Order-Parteien den Ton und forderten auch die Stadt auf, tätig zu werden.
Was sich vom Couchtisch aus immer gut macht. So schürt man Handlungszwänge, muss sich aber über Gründe und Inhalt des Problems keine Gedanken machen. Nicht zufällig ähnelte es der Rhetorik, mit der nach den Hamburger Krawallen versucht wurde, auch gleich mal tabula rasa im Schanzenviertel und mit der dortigen „Roten Flora“ zu machen.
Auch so kann man Elemente, die im bürgerlichen Stadtleben scheinbar stören, beseitigen lassen.
Aber dabei wurde fast vergessen, dass das über 100 Jahre alte Gebäude ein begehrter Freiraum ist, der seit Jahren – nur bemerkt vom ansässigen Kleingartenverein – vermoderte, kommentiert die Leipziger Linke die schrille Musik. „Das ohne Zweifel abgewirtschaftete Gebäude ist nicht nur für die Instand-BesetzerInnen erhaltenswert, sondern bietet einen eigenen Beitrag zur kulturellen Pluralität in Leipzig. Die Instandbesetzung seit Mitte 2016 hat gezeigt, dass Menschen mit Eigeninitiative und Engagement gewillt und fähig sind, an diesem Ort soziokulturelle Stadtteil- und Integrationsarbeit zu leisten.“
„Uns ist vollkommen bewusst, dass auch diese Besetzung formal-juristisch den Tatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllt, wenn die Deutsche Bahn als Eigentümerin des Grundstückes diesen Vorgang anzeigt“, sagt Adam Bednarsky, Vorsitzender der Leipziger Linkspartei, dazu. „Ebenso problematisch ist die Nichtnutzung und das scheinbare verfallen lassen des Objektes. Die jeweiligen Instanzen der Stadt Leipzig im Bereich der Kultur-, Liegenschafts- und Wohnungspolitik sollten daher auf einen gemeinsamen Weg mit dem Kulturkollektiv setzen und als Mittler zwischen dem Eigentümer, der Deutschen Bahn und den aktuellen NutzerInnen fungieren und einen friedlichen Ausgleich der Interessen herbeiführen.“
Und während die meisten Forderungen nach „hartem Durchgreifen“ wieder mal von Akteuren kommen, die niemals vor Ort waren, sieht Bednarsky durchaus Potenzial in dem Gebäude.
„Wir nehmen wahr, dass die Form kultureller Aktivität des ‚Black Triangle‘ auch von den allermeisten Nachbarn positiv angenommen wird und die Beschwerdelage sehr gering ist. Es ist bemerkenswert, wie das Kollektiv ‚Black Triangle‘ unter schwierigen örtlichen Bedingungen mittels Konzerten, Vorträgen, Kinovorstellungen und Workshops Leben ins alte Gemäuer bringt“, betont er. Und er geht auch darauf ein, dass der Ruf Leipzigs als Stadt der Möglichkeiten auch und gerade mit solchen Initiativen zu tun hat. „Generell besitzt unsere Stadt Leipzig durch die jahrelange Akzeptanz und Unterstützung von subkulturellen Initiativen und die ‚Freie Szene‘ eine Attraktivität, die als ‚weicher Standortfaktor‘ mit für den aktuellen Aufschwung verantwortlich ist und die es zu fördern gilt. Viele nunmehr etablierte Projekte unserer Stadt waren ursprünglich in einer ähnlich schwierigen rechtlichen Situation. Jenseits der Wahlkampfrhetorik, welche die Ordnungskeule auf deutschlandweit geachtete Klubs wie das Conne Island oder das Werk II draufschlagen lässt, muss allen Parteien bewusst sein, dass die Attraktivität von Leipzig nicht zuletzt von einer urbanen Subkultur lebt, die im unkommerziellen Raum entsteht.“
Und Sören Pellmann, der Vorsitzende der Linksfraktion im Stadtrat, ergänzt: „Der Leerstand des Gebäudekomplexes der letzten Jahre ist angesichts des – offenkundig – hohen Bedarfs an Wohn- und Kulturraum in Leipzig nicht nur schade, sondern hat auch dazu beigetragen, dass große Teile der Anlage am verfallen sind. Wir sollten uns freuen, dass LeipzigerInnen bereit sind, in Eigeninitiative einen kulturellen Mehrwert für die Vielfalt unserer Stadt zu leisten. Die Stimmen, die nun nach einer Räumung der friedlichen Instandbesetzung in der Arno-Nitzsche-Straße 41 rufen, halten wir aus den genannten Gründen für unangebracht.“
Wollte Leipzigs Verwaltung nicht gerade erst selbst helfen bei der Suche nach neuen Probenräumen für Bands und Ateliers für bildende Künstler? Manchmal scheint die eine Hälfte der Stadtpolitik nichts mit dem zu tun zu haben, was die andere Hälfte tut.
Woran Juliane Nagel, Stadträtin und Landtagsabgeordnete der Linken, erinnert: „Die NutzerInnen haben frühzeitig mit der Bahn Kontakt aufgenommen und konkrete Vorschläge für ein Nutzungskonzept und die Übernahme durch einen Verein auf den Tisch gelegt. Ohne Inbesitznahme wäre das, was geschaffen wurde – Atelier-, Band-, Sporträume, Sauna oder Kino – nicht möglich geworden. Die permanente Unsicherheit, geräumt zu werden, raubt Energie für kreative und gesellschaftspolitische Projekte. Dem sollte endlich ein Ende gesetzt werden, statt Drohungen müssen Lösungen auf den Tisch.“
Und während die Hardliner baldigste Räumung fordern (und was dann?), fordert Die Linke alle Beteiligen auf, den Dialog zu suchen und über zum Beispiel einen Nutzungsvertrag sowie die legalisierte Weiternutzung des Geländes durch das Kulturkollektiv „Black Triangle“ zu verhandeln. „Eine Eskalation des Konfliktes schadet der Stadtgesellschaft.“
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