Es wird bestimmt gute Gründe geben, warum Planungsdezernat und Umweltdezernat das neue zu öffnende Stück Pleißemühlgraben direkt am Goerdelerring entlangführen wollen. Und möglicherweise wäre das auch das Ergebnis einer gut moderierten Bürgerbeteiligung gewesen. Doch Leipzigs Verwaltung zeigt gerade einmal wieder, wie man Bürgerbeteiligung zum reinen Alibi macht. Denn entschieden wird hinter verschlossenen Türen.
Das erfuhr CDU-Stadträtin Sabine Heymann eigentlich schon im Dezember. Da waren die Pläne zur Komplettsanierung der Hauptfeuerwache schon bekannt. Die soll im ersten Quartal 2018 starten und 19 Millionen Euro teuer werden. Und weil man unter Zeitdruck steht, hat man einfach mal so geplant, dass mit einer Öffnung des alten Pleißemühlgrabens, der eigentlich hinter der Feuerwache fließt, nicht mehr zu rechnen ist.
Was – wie gesagt – Sabine Heymann verblüffte. Denn die Stadt hatte noch großspurig angekündigt, es würde eine Bürgerbeteiligung zur Öffnung des Pleißemühlgrabens geben. Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal sprach sogar noch von drei Varianten.
Aber schon im Dezember 2016 war von den drei Varianten nur noch eine geblieben. Und die Bürgerbeteiligung war auf geladenes Fachpublikum zusammengeschnurzelt.
Oder mit der Antwort des Planungsdezernats auf Heymanns Frage „Wenn nicht: Auf welchem Weg wird dann die Öffentlichkeit beteiligt, um die Entscheidung zu eben diesen Eckpunkten, wie die Trasse des zu öffnenden Pleißemühlgrabens vorzubereiten?“
Antwort: „Die Frage trifft nicht zu (siehe Antwort auf Frage 1).“
Auf Frage 1 hatte das Planungsdezernat schon einmal festgestellt, dass man verwaltungsintern die alte Streckenführung schon stillschweigend einkassiert hatte: „Der Hof auf der Rückseite der Hauptfeuerwache wird ganzflächig für die Aufgaben der Feuerwehr benötigt und steht daher in diesem Abschnitt für eine Öffnung des Pleißemühlgrabens in seinem historischen Verlauf nicht zur Verfügung.“
Was besonders den Förderverein Neue Ufer verblüffte, der nun seit über 20 Jahren um die Öffnung der historischen Mühlgräben kämpft und die Öffnung des alten Pleißemühlgrabens für eine einmalige Chance hält, das Gebiet des alten Naundörfchens wieder erlebbar zu machen.
Aber wie ist das mit der versprochenen Bürgerbeteiligung?
Die Antwort der Stadtverwaltung: „Im Rahmen des Verfahrens zur Offenlegung des Pleißemühlgrabens wird die Stadtverwaltung intensiv durch die Leipziger Bürgerschaft unterstützt. Maßgeblich erfolgt dies u. a. durch den Förderverein ‚Neue Ufer‘ e. V., der bereits während der Erstellung der Planung LP 1/2 für die Offenlegung des Pleißemühlgrabens an der Hauptfeuerwache durch das Amt für Stadtgrün und Gewässer beteiligt wurde. Auf Initiative des Fördervereins ‚Neue Ufer‘ e. V. wird als erste Stufe eines zweistufigen Öffentlichkeitsverfahrens mit dem Stadtplanungsamt, dem Amt für Stadtgrün und Gewässer und der Branddirektion ein Bürgerbeteiligungsverfahren in Form einer moderierten Anhörungsveranstaltung Anfang 2017 durchgeführt. Zu dieser Veranstaltung werden neben den beteiligten und ortsansässigen Vereinen, z. B. Waldstraßenviertel e.V., auch Anlieger und betroffene Grundstückseigentümer, z. B. IHK, LWB, sowie die interessierte Fachöffentlichkeit geladen. Auf der Grundlage dieser ersten Stufe der Bürgerbeteiligung erstellen das Stadtplanungsamt und das Amt für Stadtgrün und Gewässer eine gemeinsame Beschlussvorlage zur Festlegung der Vorzugstrasse des Pleißemühlgrabens. Diese wird als s. g. ‚2. Stufe‘ der Öffentlichkeitsbeteiligung ab April 2017 ins Gremium-Verfahren gegeben und dem Stadtrat zur Beschlussfassung vorgelegt.“
Wie gesagt: Diese Auskunft erfolgte im Dezember 2016. Und das, obwohl die Verwaltung für sich schon beschlossen hatte, dass der „Hof der Hauptfeuerwache“ für eine Öffnung des Pleißemühlgrabens nicht zur Verfügung stehen soll.
Wozu dann noch eine Bürgerbeteiligung, fragte sich auch der Verein Neue Ufer, der seine Einbeziehung nicht wirklich als echte Bürgerbeteiligung begreift, eher als Feigenblättchen. Denn er plädiert für eine Öffnung des alten Grabenverlaufs.
Und die 2. Stufe der Öffentlichkeitsbeteiligung war ja selbst nach Darstellung des Planungsdezernats gar keine. Man wollte den Verwaltungsvorschlag nur ins übliche Stadtratsverfahren geben. Da scheint derzeit auch ein nicht-öffentliches Papier dieser Art herumzuschwirren. Man hat sichtlich seine Mittel, Öffentlichkeit bei solchen gravierenden Entscheidungen auszuschließen, verfeinert.
Dass auch gestandene Stadträte das Spiel mitspielen, machte Linke-Stadtrat Siegfried Schlegel am Dienstag, 26. Juli, mit einer Wortmeldung deutlich.
„Entgegen immer wieder erneuerter Behauptungen haben der Verlauf des Pleißemühlgrabens und die Einmündung des Elstermühlgrabens im Bereich Goerdelerring schon 1994 (!) beim Architektenwettbewerb für ein Bürohochhaus Goerdelerring, bei dem Schlegel als Sachpreisrichter der Jury angehörte, eine gewichtige Rolle gespielt“, teilt er nun mit. „Das musste auch so sein, da sich erst aus dem verbindlichen Flussverlauf Umfang und Lage der bebaubaren Fläche ergeben konnten. Deshalb gab es auch für einen Entwurf, den Pleißemühlgraben aus dem Hinterhof kommend mitten durch das Hochhaus durch eine Öffnung zu führen, keine Zustimmung. Unmittelbarer Anlass zur Grundsatzentscheidung des Gewässerverlaufs ergibt sich vordringlich aus der Sanierung und baulichen Erneuerung der Hauptfeuerwache, welche als innerstädtischer Stützpunkt eine große Rolle spielt und neue Nutzungsanforderungen stellt. Neben einem Hubschrauberlandeplatz wird auch eine Durchfahrt für die Lösch- und Rettungsfahrzeuge benötigt.“
1994 wurde freilich nichts beschlossen. Das Hochhaus entpuppte sich als eines der vielen Eintags-Gewächse, das bald still und heimlich wieder verschwand. Das Jahr macht nur deutlich, wie viel Zeit für eine gute Bürgerbeteiligung gewesen wäre.
Genutzt hat sie niemand. Im Gegenteil: Mit dem Schnellentschluss zur Hauptfeuerwache 2016 hat im Grunde das Umweltdezernat „Nägel mit Köpfen“ gemacht und quasi in Eigenregie festgelegt, dass es keine Mühlgrabenöffnung hinter der Hauptfeuerwache geben wird. Auf einmal war Zeitdruck da – die Zeit für Öffentlichkeitsbeteiligung vertan.
Und auch wenn Siegfried Schlegel so stolz darauf ist, dass seine Fraktion gern mitdebattiert, wenn „kulturhistorisch und städtebaulich wertvolle Lösungen entstehen, die eine moderne urbane Entwicklung der Innenstadt und der jeweiligen Stadtteile befördern.“ Die Entscheidungen sind augenscheinlich gefallen. Es liegt nur noch eine Variante auf dem Tisch – die direkt am Goerdelerring – noch dazu nicht-öffentlich.
Da ist es dann reine Selbstberuhigung, wenn Schlegel beteuert: „Nachdem zeitgleich der Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau sowie der Stadtbezirksbeirat vorab informiert wurden, muss nun die breite Bürgerbeteiligung beginnen.“
Worüber denn eigentlich, wenn mit dem Beschluss zur Hauptfeuerwache schon alles entschieden ist?
Die Antwort auf Sabine Heymanns Anfrage vom Dezember 2016.
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Es gibt 5 Kommentare
@olaf
Das von Ihnen als Beweis einer etwaigen Pro-Leipzig-Kampagne verlinkte Buch gibt die Meinung des Autors Wolfram Sturm wieder, welche nicht in allen Aspekten von allen Mitgliedern des Vereins Pro Leipzig geteilt wird. Eine Fertigstellung des Elster-Saale-Kanals befürworte ich persönlich z.B. nicht, andere vielleicht. Es ist ja nicht so, dass vor jeder Herausgabe eines Buches ein “Vereins-Politbüro” sämtlichen Inhalten 100% zustimmen müsste, ehe es erscheinen darf. Sie können ja auch Ihre gegenteilige Position argumentativ untermauern und wenn Sie publikationswürdig und -fähig ist, kann Sie dann bei Pro Leipzig erscheinen. Wir wollen ja eine breitgefächerte Bürgerbeteiligung fördern und freuen uns über die Zusendung qualitativ hochwertiger Manuskripte.
Aber nochmal zum eigentlichen Thema: Es geht hier um den Pleißemühlgraben. Der ist nun mal nicht schiffbar. Also wohin zielt Ihr Vorwurf?
M. Liebmann
@ Michael Liebmann
Von der Elster an die Alster….
Inzwischen von der Whyra, Zwenkauer und Störmthaler See an die Alster.
Dieses Buch soll dem wohl Nachdruck verleihen.
http://m.lvz.de/Leipzig/Lokales/Pro-Leipzig-zeigt-in-neuem-Buch-Das-schiffbare-Leipzig-in-vier-Jahrhunderten
@Olaf
Unlängst haben Sie schon fälschlicherweise dem Verein “Neue Ufer” unterstellt, er würde Motorschifffahrt auf dem Pleißemühlgraben propagieren, nun wiederholen Sie diese Behauptung unserem Verein gegenüber. Wo und an welcher Stelle hat Pro Leipzig so etwas jemals gefordert? Das ist auch insofern Unsinn, als ein einziger Blick in die bereits freigelegten Teile des Pleißemühlgrabens verrät, dass Wasserstand und Brückenhöhen so niedrig sind, dass nicht einmal Paddler dort agieren können, geschweige denn Motorboote.
Michael Liebmann
Vorstand Pro Leipzig e.V.
“Eine Öffnung des Pleißemühlgrabens im historischen Verlauf bietet aus Sicht des Vereins die einmalige Chance, im Bereich des ehemaligen Naundörfchen zentrumsnah eine öffentlich zugängliche Oase der Ruhe, abgeschirmt vom städtischen Verkehr, zu schaffen.”
Der Verein” Pro Leipzig” ist offensichtlich ein Verfechter schiffbarer Verbindungen. Da diese immer motorisiert sind, erschließt sich nicht so ohne Weiteres, wie mit einer solchen Nutzung eine “Oase der Ruhe” zu schaffen sein soll?
Verlauf der Pleißemühlgraben-Debatte zeigt: Bürgerbeteiligung in Leipzig wird ignoriert
Der Verein Pro Leipzig spricht sich eindeutig für eine Öffnung des Pleißemühlgrabens im historischen Verlauf im Bereich des ehemaligen Nauendörfchens aus – so wie vom Verein Neue Ufer vorgeschlagen. Zudem plädiert er für eine Neugestaltung des Fleischerplatzes (Vorplatz der Feuerwehr und der IHK) mit dem Ziel, dort den ruhenden Verkehr in einem unterirdischen Parkhaus unterzubringen und auf dem Platz zumindest im Vorfeld der IHK Aufenthaltsqualität zu schaffen bzw. vorhandene Grünbereiche möglichst zu erhalten. Zudem warnt der Verein vor einer weiteren Verbreiterung des Goerdelerringes (etwa durch eine Ausdehnung des Bahnkörpers der Straßenbahn) und damit einer Beschneidung der Fläche des Fleischerplatzes.
Eine Öffnung des Pleißemühlgrabens im historischen Verlauf bietet aus Sicht des Vereins die einmalige Chance, im Bereich des ehemaligen Naundörfchen zentrumsnah eine öffentlich zugängliche Oase der Ruhe, abgeschirmt vom städtischen Verkehr, zu schaffen. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, für Fußgänger und Radfahrer eine neue Verbindung zwischen westlichen und nördlichen Vorstadtbereichen entlang eines attraktiven Uferweges zu gestalten. Eine Aufwertung der Flächen am Naundörfchen und des öden Hofes der Hauptfeuerwache könnte sowohl der Verbesserung der Wohnqualität der Anwohner dienen als auch Gäste der Stadt zum Aufenthalt einladen – jenseits des Trubels der Innenstadt und doch fußläufig erreichbar.
Das seit Jahren geplante Hochhaus an der Spitze zwischen Goerdelerring und Ranstädter Steinweg soll einen neuen städtebaulichen Akzent setzen. Mit einer Teilunterquerung des Gebäudes durch den freigelegten Pleißemühlgraben könnte es zudem eine neue architektonische Attraktion der Stadt werden.
Die von der Stadtverwaltung geplante – und offenbar schon entschiedene – Neuverlegung des Pleißemühlgrabens entlang des Goerdelerrings, so die Überzeugung des Vereins, käme einer Vergeudung von Steuergeldern gleich. Der Fluss würde zum Wehrgraben mit geringem Abstand zum Straßenverkehr degradiert und könnte kaum Aufenthaltsqualität bieten (siehe Gestaltung des Elstermühlgrabens am Ranstädter Steinweg).
Der Verein Neue Ufer und sein Vorläufer, das Stadt-Kultur-Projekt, setzen sich seit 1990 engagiert und kompetent für ein attraktives Leipzig entlang der stadtnahen Gewässer ein. Dabei geht es dem Verein nicht allein darum, die verrohrten Mühlgräben wieder freizulegen. Ihm geht es vor allem darum, in welcher Qualität und Nachhaltigkeit dies geschieht. Seit über zwei Jahrzehnten erbringen die Mitstreiter des Vereins wertvolle Leistungen im vorplanerischen Bereich, um sich anschließend meist einen Arschtritt der Verwaltung und einiger Stadträte, die jeweils „schon anders entschieden“ haben, einzufangen. Ähnliche Erfahrungen sammeln momentan auch die Mitglieder der Initiative Leipziger Architekten (ein Zusammenschluss mehrerer Leipziger Vereine und Verbände, u. a. von Pro Leipzig), die sich für eine urbane Gestaltung des künftigen Wilhelm-Leuschner-Platzes engagieren. Genau genommen sind das deutliche Indizien dafür, dass Bürgerbeteiligung in Leipzig nicht erwünscht ist, schon gar nicht auf Augenhöhe, allenfalls als Begleiterscheinung bei der Verkündung von Verwaltungsstandpunkten, bestenfalls als Versammlung egoistischer Nörgler. Viele, die sich seit Jahren für ihre Stadt engagieren, wenden sich immer öfter resigniert ab. Ist aber die Bürgerbeteiligung einmal im Eimer, folgt ihr dorthin die Demokratie bald auf den Fuß. Wenn jetzt Stadtrat Schlegel zum Thema Pleißemühlgraben fordert: „Nun muss die breite Bürgerbeteiligung beginnen“, obwohl er genau weiß, dass die Würfel bereits gefallen sind, dann kann einem tatsächlich bange um Demokratie und Bürgerbeteiligung in dieser Stadt werden.
Dr. Thomas Nabert
für den Pro Leipzig e. V.