Es war schon teilweise burschikos, was sich da in den letzten Jahren vor den Ausgängen des Hauptbahnhofs Leipzig abgespielt hat. Kleine Gruppen von Menschen mit Hund, Decke und Sammelbecher hatten die Überdachung zu einer Art Daueraufenthaltsplatz gemacht. Manchmal nicht ganz leise, gern auch mit viel Alkohol. Der Centerleitung war das augenscheinlich ein Dorn im Auge. Jetzt wird es Thema im Leipziger Stadtrat.

Denn das Centermanagement hat sich etwas Besonderes einfallen lassen, um die Campierenden zu vertreiben. Eigentlich ist es nicht neu. Anderswo hat man augenscheinlich mit klassischer Musik schon unerwünschte Gäste vertrieben.

Oder mit den Worten von Juliane Nagel, Stadträtin der Linken: „Seit mindestens Mai 2017 wird der Außenbereich der Westhalle des Leipziger Hauptbahnhofs mit klassischer Musik beschallt. Sukzessive hat sich die Zahl der dort daueraufhältigen Personen reduziert, faktisch bis auf Null. Es entsteht der Eindruck, als wenn die Musikbeschallung die Vertreibung der Personen (TrinkerInnen, ggf. Wohnungslose etc.) intendiert und als ‚subtiles‘ ordnungspolitisches Mittel eingesetzt wird, wie es auch in anderen Städten Deutschlands immer wieder vorkommt (zum Beispiel in Hamburg und Berlin auf U-Bahnhöfen gegen Drogenkonsumierende, in der Innenstadt von Essen gegen Jugendliche, in Hannover im Bereich einer Bank und in Naumburg gegen TrinkerInnen).“

Was schon verblüfft: Orgelmusik als Abschreckung für Menschen, die dann wohl mit klassischer Musik nichts anfangen können. Oder mit der Dauerberieselung durch dieselbe. Die auch nicht gerade leise ist. Auch sonst erhabene Musik kann – auf diese Weise eingesetzt – wohl recht nervtötend sein.

Aber ob das alles so rechtens ist, daran zweifelt Juliane Nagel.

Und möchte im Leipziger Stadtrat nun folgende Fragen beantwortet bekommen:

„Welche Intention ist mit der Beschallung des Außenbereichs der Westhalle des Hauptbahnhofs verbunden? Wann und mit welcher Begründung wurde eine Genehmigung für diese Beschallung eingeholt?

Wie bewertet die Stadt Leipzig die Beschallung öffentlicher Räume mit klassischer Musik als ordnungspolitisches Mittel?

Welche dauerhaften Konflikte und Problemlagen – im Hinblick auf die öffentliche Ordnung, aber auch im Hinblick auf soziale Probleme – sind aus Sicht der Stadtverwaltung im Außenbereich des Leipziger Hauptbahnhofes wahrnehmbar?

Welche Konflikt- und Problemlösungsstrategien sieht die Stadtverwaltung und welche wurden bereits angewandt?“

Dass es am Hauptbahnhof immer wieder Probleme mit Alkohol und Drogen gibt, ist bekannt. Aber die betroffenen Menschen einfach zu vertreiben, löst das Problem ja nicht. Genauso wenig, wie der Verfolgungsdruck der Polizei auf die Drogenszene in der Eisenbahnstraße das Problem gelöst hat – Dealer und Süchtige weichen aus, suchen sich neue Plätze. Die Sucht aber verschwindet nicht. Sie bleibt sogar im öffentlichen Raum. Man kann auf die Antworten der Stadtverwaltung gespannt sein.

Wenn dann immer mehr Straßen und Plätze in Leipzig mit Beethoven oder Haydn beschallt werden, darf man sicher sein, dass eine Drogenpolitik gescheitert ist, die vor allem auf Verdrängung setzt.

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Es gibt 6 Kommentare

Hat Frau Nagel diese Fragen auch bei der widerrechtlichen Beschallung diverser ungenutzter Bauten, Parks oder des Auwalds mit nicht so “erhabener Musik” für rechtswidrige Partys gestellt?
Hat Frau Nagel mit Angehörigen der Betroffenen über deren Empfinden und deren Vorstellungen zur “Problemlösung” gesprochen? Nur, um mal ein Gefühl für die Sachlage zu bekommen?
Wenn Angehörige von Betroffenen (in vielen Fällen) mit dem “Problem” schon nicht ungehen können, wie mag es hierzu erst bei Außenstehenden aussehen?

Mir drängten sich die Fragen auf, weil sich bei mir der Eindruck einstellte, daß es nicht wirklich um die Betroffenen geht.

Aha, und ein Problem, was man nicht sieht, ist ja auch bekanntlich nicht da. Hauptsache sie ist schön sauber und ordentlich, diese Realität.

PS: Der wichtigen Arbeit der Bahnhofsmission sind solche schwachsinnigen Verdrängungskonzepte sicherlich auch durchaus zuträglich.

Ich wußte gar nicht, dassich da gar nicht bin.^^
Wenn das nicht die Realität ist, die ich täglich erlebe, was ist es dann?

Es wird keiner gezwungen, Drogen zu nehmen oder zu saufen! Es gibt natürlich auch Menschen, die durch Schicksalsschlag obdachlos werden, aber hier ist von einem anderen Klientel die Rede. Sabine, kommen Sie endlich mal in der Realität an!

“Diese Leute wollen ja so leben…”

Wie kommen Sie denn auf diese lustige Idee?

Ich finde es sehr gut, dass dort klassische Musik gespielt wird und daraufhin diese Assis weg sind. Vor dem Bahnhof sah es schlimm aus, richtig eklig. Auch wenn ein Mensch obdachlos ist, muss er sich nicht benehmen wie ein Ferkel. Es gibt ja auch Obdachlosenunterkünfte. Diese Leute wollen ja so leben, denen kann man weder Arbeit, noch eine Wohnung aufschwatzen, sie müssen das selber wollen. Das Drogenproblem wird nie gelöst werden! Es gibt auch gut Betuchte, die Drogen nehmen! Und Alkohol ist auch eine Droge und zu DDR-Zeiten wurde sehr viel gesoffen, sogar teilweise während der Arbeitszeit. Traurig, aber wahr!

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