Und nun zum Bahnhofsviertel. Was ist da los? Hat Leipzig da ein Problem? Hat es überhaupt ein Bahnhofsviertel? Da rätselten auch die Journalisten, als Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal das Projekt „Sicherheit im Bahnhofsviertel“ am 18. Juli mit der Vorstellung des Geschäftsberichts des Präventionsrats für 2016 erwähnte. Aber ein Blick ins Detail zeigt: Eigentlich überrascht eher, dass es solche Projekte nicht schon früher gab.

Natürlich hängt es damit zusammen, dass die Bahnhofsumfelder der großen Städte Transitorte sind. Hier kommen alle an, Reisende, Touristen, Geschäftsleute, Familien und junge Leute. Die Bahnhöfe und ihre Vorplätze sind die Visitenkarten der großen Städte. Meistens liegen sie mittendrin, sind es nur wenige Schritte bis ins Herz der Stadt.

Aber die Züge bringen auch die Pendler her, die Tagesreisenden und allerlei Volk, das sich einfach darüber freut, dass Züge die Herzen aller großen Städte direkt miteinander verbinden.

Weshalb es kein Zufall war, dass sich rund um die Bahnhöfe nicht nur große Hotels ansiedelten, sondern auch allerlei eher misstrauisch beäugte Gewerbe. Wenn Leipzig in einigen Bereichen für Sachsen extrem hohe Straftatenzahlen aufweist, dann hat das mit Leipzigs idealer Lage im Verkehrsnetz zu tun. Und ein Blick auf den Vorplatz zeigt, dass die verträumten und provinziellen Zeiten, dass man in der dortigen Grünanlage noch gemütlich sitzen, Zeitung lesen und ungestört sein konnte, vorbei sind.

Leipzig ist längst in der Bundesliga der Großstädte angekommen. Und der Bahnhofsvorplatz ist zum typischen Gewimmel für öffentliches Leben geworden. Natürlich kritisch beäugt von Polizei, Ordnungsdienst und braven Bürgern. Was sind das für Leute, die sich da treffen und regelrecht italienisches Plaza-Leben entfalten? Ist das normal?

Und grundlegend beschäftigt sich auch das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgeschriebene Programm, um das es jetzt gehen soll, mit dem Thema Sicherheit: „Forschung für die zivile Sicherheit 2012 bis 2017“ heißt es. Das jetzt für Leipzig maßgebliche Projekt fällt ins Themenfeld „Zukünftige Sicherheit in Urbanen Räumen“. Da ahnt man schon: Es geht um mehr als Bahnhof und Bahnhofsviertel.

Denn: Bahnhofsquartiere laden regelrecht ein dazu, sich mit den Qualitäten von besonders frequentierten urbanen Räumen zu beschäftigen. Oder mit der Formulierung aus dem Geschäftsbericht: „In diesem Vorhaben sollen Vorschläge erarbeitet werden, die dabei helfen, Bahnhöfe und ihr Umfeld sicherer zu machen, ohne dabei die spezifischen Charakteristiken urbaner Räume preiszugeben.“

Eben nicht einfach mit Polizisten aufzumarschieren und die dortigen Menschenansammlungen zu vertreiben. Oder mit Musik, wie das aktuell an den Bahnhofsvorhallen passiert. Der Reflex ist verständlich: Menschen, die mit Hund, Angel, Sammelbüchse und oft ziemlich laut auf öffentlichen Plätzen ihren Tag verbringen, die verwirren und stören erst einmal.

Urbanes Leben in der Grünanlage vorm Hauptbahnhof. Foto: Ralf Julke
Urbanes Leben in der Grünanlage vorm Hauptbahnhof. Foto: Ralf Julke

Aber das Wichtige an dem Projekt ist, dass man es nicht zu einem Polizeiprojekt macht. Sondern zu einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt, in dem zwei Hochschulen im Verbund arbeiten: die Universität Tübingen und die Universität Wuppertal. Was schon einmal ausschließt, dass mit regionaler Brille geschaut wird. Denn angelegt ist das Projekt so, dass alle Städte was draus lernen können sollen. Soziologen, Kriminologen und Geographen sind mit eingebunden.

„Mit dem Projekt soll ein Präventionskonzept entwickelt werden, das es Kommunen erlaubt, Bahnhöfe und ihr Umfeld sicherer zu gestalten, ohne dabei die spezifischen Charakteristika urbaner Räume preiszugeben“, betont denn auch das Fachgebiet Bevölkerungsschutz, Katastrophenhilfe und Objektsicherheit an der Bergischen Universität Wuppertal, das für das Forschungsprojekt extra Wissenschaftler geworben hat, die die nötige Qualifikation mitbringen.

„Die Bahnhofsviertel stehen im Zentrum zahlreicher Stadtentwicklungsmaßnahmen, die verschiedene Aspekte von Sicherheit berühren. Die Auswirkungen von Aufwertungsmaßnahmen auf Sicherheit und Sicherheitswahrnehmung zu untersuchen, um unterschiedlichen Akteuren fachliches Wissen und anwendungsbezogene Hinweise für die Stadtentwicklung und die Umsetzung von Präventionsstrategien anzubieten, ist die Zielsetzung des Wuppertaler Teilvorhabens.“

Projektbeginn war im Juni. Die Projektlaufzeit beträgt drei Jahre und endet am 31. Mai 2020. Und weil man auch Städte braucht, wo man an das nötige Beobachtungsmaterial kommt, hat man sich drei Studienpartner ins Boot geholt: Düsseldorf, Leipzig und München. Drei Großstädte also, die eher nicht für das typische Bahnhofsviertel bekannt sind, wie man es etwa aus Frankfurt kennt.

Und was will man konkret untersuchen? Eine ganze Menge: Effekte der Gentrifizierung, Sicherheitswahrnehmungen und -erwartungen in der Bevölkerung und kleinräumige Sozial- und Kriminalitätsdaten. Es werden Experteninterviews und moderierte Workshops durchgeführt. Leipzig will die ganze Sache über die AG Innenstadt im Kriminalpräventiven Rat koordinieren, was natürlich schon mal zeigt, wo Leipzigs Ordnungsdezernat die Sache gern hinsteuern möchte. Damit bekommen die Innenstadthändler und City-Gastronomen ein ziemlich starkes Gewicht. Ob das so günstig ist, wird man sehen.

Wahrscheinlich ist man gut beraten, noch ganz andere Akteure mit ins Boot zu holen. Denn gerade das hier nicht beteiligte Frankfurt hat derzeit wieder eine nicht ganz unwichtige Debatte über die Verdrängung von Personengruppen, die man irgendwie nicht im Stadtbild haben möchte – denen man aber auch eher selten wirkliche Angebote macht.

Auf eine nicht ganz einfache Weise wird hier auch ein Aspekt der Gentrifizierung sichtbar. Der Wunsch nach einer schönen Postkarten-Empfangssituation kommt ganz offensichtlich in Konflikt mit der Suche nach einer zivilen Lösung für einige ungelöste soziale Probleme.

Man kann gespannt sein, was 2020 als Ergebnis vorgelegt wird.

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Weder Bahnhof, noch Vorplätze, noch angrenzende Parks sind Suchtberatungsstellen. Wenn es um dieses Klientel gehen sollte, ist mit dem Erhalt Status quo Niemandem gedient. Weder den Betroffenen, noch denjenigen, die der Anblick, aus welchen Gründen auch immer, berührt. Das hat mit Gentrifizierung auch nichts zu tun. Niemand hat im Vorgarten oder im Flur Betrunkene, Fixer oder Obdachlose untergebracht. Niemand. Aus gutem Grund. Denen mit Wegschauen auch nicht geholfen ist. Mit drüber schauen genau so wenig. Und Hilfe ist an diesem Ort nicht möglich.

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