Seltsames geht vor in Leipzigs Innenstadt. Noch vor wenigen Jahren beteuerte einem jeder Planer, den man fragte, wie wertvoll die letzten verbliebenen Grundstücke der Innenstadt für die Stadtentwicklung seien. Deswegen sei jeder Vorschlag, hier zum Beispiel Schulen oder Kindergärten zu bauen, viel zu voreilig. Warten sei besser. Aber nun lösen sich diese Grundstücke vor den Augen der Leipziger in Luft auf.
Von Schulen und Kitas ist dort längst keine Rede mehr. Aber Verwaltungsspitze und Landesregierung haben schon ihre Pläne festgezurrt, die so gar nicht mit dem achtsamen Umgang mit wertvollen Flächen zu tun haben.
An der Windmühlenstraße/Wilhelm-Leuschner-Platz wird demnächst über den Willen der Landesregierung (insbesondere des Finanzministeriums) entschieden, den Südteil des Geländes zwischen Windmühlen- und Brüderstraße komplett an den Freistaat zu verkaufen, damit dort das Leibniz-Institut für Länderkunde seinen neuen Standort bekommt. Völlig offen ist, was nun mit den 40 Prozent Wohnungsanteil werden soll, den die vom Stadtrat beschlossenen Leitlinien vorsehen.
Und am Matthäikirchhof scheint es schon emsige Gespräche zwischen Verwaltung und Regierung gegeben zu haben, den alten Stasi-Neubau zur Unterkunft für das neue sächsische Stasi-Archiv zu machen. Was sich ja so gut mit Burkhard Jungs Idee vertrüge, hier einen großen Demokratie-Campus zu schaffen.
Von der Idee war die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat schon im März alarmiert. Denn das würde bedeuten, dass ein wichtiges Stück Innenstadt dauerhaft nicht mehr für eine lebendige Quartierentwicklung zur Verfügung stünde.
Das hat die Linksfraktion jetzt in einen eigenen Stadtratsantrag gegossen, in dem sie sich wünscht: „Unter breiter Einbeziehung der Bürgerschaft wird ein Nutzungs- und städtebauliches Konzept für ein multifunktionales vitales Zentrumsquartier ‚Matthäikirchhof‘ mit Gemeinbedarfseinrichtungen entwickelt, das in den kommenden Jahren schrittweise umgesetzt wird. Dabei sollen Erfahrungen des beim Eutritzscher Freiladebahnhof in Zentrum Nord praktizierten kooperativen Bauleitverfahrens einfließen und weiterentwickelt werden.“
Denn am Eutritzscher Freiladebahnhof hat Leipzigs Stadtplanung schon gezeigt, wie weit man kommt, wenn man mit dem Investor und Entwickler des Geländes frühzeitig ins Gespräch kommt und für das entstehende Stadtquartier auch gemeinsame Lösungen für die dann benötigten sozialen Infrastrukturen (wie Kitas und Schulen) findet. In diesem Fall in der Kapazität auch über den neuen Stadtteil hinaus, denn die Bedarfe im benachbarten Gohlis und in Eutritzsch sind hoch.
Und eigentlich ist es in der Innenstadt genauso. Seit Jahren ringt der Stadtrat darum, dass bei jedem Bauprojekt auch Wohnungen mit vorgesehen sind und auch wieder echte Menschen in der City wohnen – die dann logischerweise auch wieder soziale Angebote brauchen. Deswegen gab es ja die Vorschläge zu Kitas und Schulen am Matthäikirchhof. Die sich dann aber als nicht mehr umsetzbar erweisen, wenn hier „höhere Instanzen“ schon wieder ihre politischen Interessen durchgedrückt haben.
„Die Vielfalt von Funktionen und Nutzungen hat auch Leipzigs Attraktivität bestimmt. Es gibt kein Stadtquartier im Stadtzentrum, das nicht vielfältige Funktionen aufweist. Das widerspiegelt sich bei zahlreichen Gebäuden auch in der Vertikalität, was nicht nur von der Bürgerschaft, sondern auch von Politik und Verwaltung so gewollt ist“, betont die Linksfraktion in ihrem Antrag.
Und dann erinnert die Faktion an die Vorgeschichte des Areals und wie es überhaupt erst in die Obhut der Stadt kam: „Es ist das letzte größere Bauareal innerhalb des Zentrumsringes. Neben einem Schulgebäude in Zentrum Nord hatte die Stadt das Areal des Matthäikirchhofs gegen das Areal der ehemaligen DHfK, der heutigen sportwissenschaftlichen und der erziehungswissenschaftlichen Fakultät getauscht.“
Und noch etwas macht dieses Fleckchen Innenstadt so besonders: „Auch vor dem Hintergrund, dass dieses Aral einst die Wiege unserer heutigen Großstadt war, muss es der Stadt lieb und teuer und für seine Bürgerinnen und Bürger sowie für Gäste vielfältig erlebbar sein, also ein multifunktionales vitales Zentrumsquartier. Deshalb muss bei der Entwicklung des Quartiers von Anbeginn an die breite Bürgerschaft einbezogen werden und der Diskussionsprozess in der unteilbaren Verantwortung von Stadtverwaltung und Stadtrat liegen. Es dürfen keine Nutzungen vorbestimmt bzw. von außerhalb vorgegeben sein.“
Und was am Eutritzscher Freiladebahnhof gelungen sei, böte sich hier ebenfalls an: „Das bereits gestartete Modell des kooperativen Bauleitverfahrens auf dem ehemaligen Eutritzscher Freiladebahnhof kann für eine Neubebauung ein gutes Vorbild sein. Deshalb können die bisher vorgeschlagenen Nutzungen nur Anregungen sein. Neben Wohnen in oberen Geschossen sowie Einzelhandel und Gastronomie in den Erdgeschosszonen sollten Kultur-, Bildungs- und Kindereinrichtungen zwischen Ringgrün und Großer Fleischergasse kein Tabu sein.“
Und wohnen sollte man da auch wieder können, so wie zu jener Zeit, als die Matthäikirche noch stand, die im Bombenhagel des 2. Weltkriegs zerstört wurde.
„In attraktiver innerstädtischer Lage und im städtischen Eigentum befindlich, muss ein mindestens 30 %iger Wohnflächenanteil für geförderte Sozialwohnungen selbstverständlich sein“, so die Linke. „Eine städtebauliche Herausforderung ist die Gestaltung des Übergangs zum Richard-Wagner-Hain als Teil des Ringgrüns. Im Rahmen des Wettbewerbsverfahrens zum Richard-Wagner-Denkmal war durch die Jury empfohlen worden, einen platzwandartigen Hintergrund zu schaffen. Das Areal bietet die Möglichkeit, auch baulich Richard Wagner als Sohn der Stadt würdig neu zu verorten. Freiheit und Demokratie einer lebendigen Stadt sollen vor allem gelernt und gelebt werden.“
Das war dann noch eine kleine Spitze, die den bislang eher obrigkeitlichen Umgang mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal betrifft.
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