Bei der LVZ war man sich schon ganz sicher: Jetzt kommt das größte neue Wohnquartier für das wachsende Leipzig endlich in die Pötte. Zur Ratsversammlung am Mittwoch, 21. Juni, liegt die Vorlage der Stadtverwaltung zum Bauquartier am Bayerischen Bahnhof auf dem Tisch. Dazu zwei Änderungsanträge. Einer möchte gern neue Wege beschreiten, einer wünscht sich das Alte.

Das ist dann die CDU-Fraktion, die augenscheinlich derzeit ihre Seele als Autofahrerpartei wieder entdeckt und dafür plädiert, dass auch die künftigen Bewohner der Stadt eifrig Auto fahren und die Mobile auch schön am Haus abstellen können.

Gestört hat sich die CDU an der Tatsache, dass sich die Stadt und die BBH Entwicklungs GmbH, eine Tochter der Stadtbau AG, darauf geeinigt haben, das neue Quartier mit seinen bis zu 3.000 neuen Wohnungen als „autoarmes Quartier“ zu entwickeln.

„Bisher konnte die Verwaltung nicht klar definieren, was unter dem Schlagwort ‚autoarmes Quartier‘ zu verstehen ist, d. h. ob das ebenerdige Parken im öffentlichen Verkehrsraum des Quartiers durch eine ausreichende Kapazität an Tiefgaragen/Quartiersgaragen vermieden oder ob wie im Fall des Krystallpalast-Areals die notwendige Zahl von Stellplätzen reduziert werden soll. In letzterem Fall drohen für die umliegenden Bestandsquartiere dieselben Probleme, wie sie bereits im Änderungsantrag zum Bebauungsplan Nr. 426 hinreichend beschrieben wurden“, meint die CDU-Fraktion und wünscht sich den Änderungspunkt: „Die nach den Richtwerten der Sächsischen Bauordnung notwendige Zahl von Stellplätzen wird in Form von Tiefgaragen/wohnungsnahen Quartiersgaragen errichtet.“

Augenscheinlich kann man sich nicht vorstellen, dass Menschen in ein autoarmes Quartier ziehen, die es tatsächlich bevorzugen, weitgehend auf ein eigenes Auto zu verzichten, lieber eine Leihautostation im Quartier haben wollen und ordentliche Radwege oder gar einen Straßenbahnanschluss.

Bislang ist die Entwicklung autoarmer Quartiere in Leipzig noch gar nicht in Gang gekommen – und schon wird wieder gebarmt, dass man keinen Platz für Autos habe.

Nur zur Ergänzung: Vorerst geht es nur um das Areal nördlich der Kurt-Eisner-Straße, auch wenn in Einzelpunkten schon darüber hinaus gedacht wird: „Dabei konzentrierte sich die Arbeitsgruppe auf die Flächen nördlich der Kurt-Eisner-Straße/Semmelweisstraße. Dort können zur Abdeckung des rasant wachsenden Wohnungsbedarfs kurz- bis mittelfristig bis zu 3.000 Wohnungen mit der notwendigen Infrastruktur und ein öffentlicher Stadtpark als ‚doppelte Innenentwicklung‘ entstehen“, heißt es in der Vorlage der Verwaltung. „Das Areal südlich der Kurt-Eisner-Straße/Semmelweisstraße wurde zunächst ausgeklammert, da derzeit dort vorrangig eine gewerbliche Nutzung in Ergänzung zum MDR und der Media City und ein Standort für eine mindestens dreizügige Grundschule an der Kurt-Eisner-Straße angedacht sind.“

Der Grünen-Antrag ist wesentlich umfangreicher, versucht aber die in einem einjährigen Mediationsverfahren zwischen der BBH und Vertretern städtischer Ämter gefundenen gemeinsamen Formeln noch zu ergänzen.

Denn mit den ersten Schritten am ehemaligen Eutritzscher Freiladebahnhof hat die Stadt ja mit der CG Gruppe gemeinsam ein zukunftsfähiges Instrument gefunden, mit dem man solche neuen Stadtquartiere so entwickeln kann, dass die Stadt ihre sozialen Infrastrukturbedürfnisse im neuen Wohngebiet verankert sieht und der Investor schon frühzeitig Klarheit darüber hat, dass seine Pläne von der Stadt und ihren Bürgern auch akzeptiert werden.

Selbst die LVZ weist ab und zu darauf hin, dass die schönen neuen Luxuswohnquartiere, die in den letzten Jahren in Leipzig entstanden, echte Schwierigkeiten haben, Mieter zu finden. Die Einkommensschicht, die in der Lage ist, Mieten von 10 Euro und mehr je Quadratmeter zu zahlen, ist dünn. Die Hauptnachfrage besteht nach Wohnungen im Leipziger Normal-Niveau um die 5 Euro. Die Entwickler neuer Wohngebiete können also mit reger Nachfrage rechnen – aber nicht unbedingt im Luxus-Wohn-Bereich.

So viel zur wachsenden Stadt Leipzig: Sie wächst nach wie vor auf einem vergleichsweise niedrigen Einkommensniveau. Und diese Botschaft ist auch bei den Immobilienentwicklern angekommen.

Was die Grünen dazu bewegt, das nun schon einmal eingeführte Instrument der kooperativen Baulandplanung für die künftigen neuen Stadtquartiere zum Standard zu machen, auch am Bayerischen Bahnhof.

„Der Oberbürgermeister wird beauftragt, die ‚Durchführungsvereinbarung zum Siegerentwurf des Wettbewerbsverfahrens zum Bayerischen Bahnhof aus 2011‘ (Grundlage) in Bezug auf die in der Konzeption ‚Baurecht‘ vorgesehenen B-Plangebiete weiter vertiefend im Sinne einer ‚kooperativen Baulandentwicklung‘ mit dem Vorhabenträger insbesondere mit nachfolgenden Maßgaben zu verhandeln“, lautet gleich der erste Absatz in ihrem Änderungsantrag.

Denn in vielen Teilen ist die jetzt zu beschließende „Durchführungsvereinbarung (Grundlagen) zum Siegerentwurf des Wettbewerbsverfahrens zum Bayerischen Bahnhof aus 2011“ vom 21. Oktober 2016 zwischen der Stadt Leipzig und der BBH Entwicklungs GmbH noch reine Absichtserklärung.

Aber gerade damit räumt sie die möglichen Konflikte nicht aus der Welt. Denn die Wünsche der Stadt an die Gestaltung dieses neuen Stadtquartiers sind ja damit nicht aus der Welt. Was schon beim ersten Unterpunkt deutlich wird. Denn wenn man in Leipzig mit einem komplett hochpreisigen Wohnquartier nicht zum Erfolg kommt, braucht es auch einen Anteil preiswerter Wohnungen:

„30 % der Bruttogeschossfläche, die für Wohnen im Geschosswohnungsbau vorgesehen sind, sollen als mietpreis- und belegungsgebundener Wohnungsbau entsprechend der jeweils geltenden Förderrichtlinie des Freistaates Sachsen (aktuell RL gebundener Mietwohnraum – RL gMW vom 22.11.2016) errichtet werden. Voraussetzung ist, dass entsprechende Fördermittel zur Verfügung stehen. Eine Übertragung der Verpflichtung auf Dritte soll mit Zustimmung der Stadt möglich sein.“

Und auch das leidigste aller Themen gehört aus Grünen-Sicht hinein: Wenn die Stadt nicht das nötige Geld hat, noch mehr Kitas und Schulen zu bauen, aber im Stadtrat längst beschlossen ist, dass man private Investoren dafür gewinnen will, dann ist das gerade am Bayerischen Bahnhof angesagt. Und wie man der Vereinbarung entnehmen kann, überlegt die BBH schon, eine weitere Grundschule zu bauen – in diesem Fall südlich der Kurt-Eisner-Straße, auch wenn erst einmal die gemeinsamen Interessen im nördlichen Bereich festgezurrt werden sollen.

Und dann steht noch ein Unterpunkt drin, der im Grunde bündelt, was hier seit 2013 gelaufen ist an Verstimmungen und lang andauernden Sprachlosigkeiten.

„In Bezug auf die Durchführung dieser noch abzuschließenden Vereinbarung soll zwischen den Vertragsparteien eine Erklärung abgeschlossen werden, mit dem Ziel, dass beide vertrauensvoll zusammenarbeiten wollen und sich außerdem rechtzeitig darüber in Kenntnis setzen, sobald sich Störungen bei der Durchführung abzeichnen. Beide Vertragsparteien sollen ihre Bereitschaft erklären, zielorientiert an der Lösung eventuell auftretender Probleme mitzuwirken. Einigkeit soll darüber hergestellt werden, dass entsprechend der Bedeutung und Komplexität des Vorhabens eine zügige Bearbeitung der einzelnen Aufgaben durch die jeweils zuständige Partei erfolgen soll.“

So recht ist bis heute nicht zu verifizieren, woher die Dissonanzen rührten, die die Gespräche zwischen Stadt und Investor zeitweilig zum Erliegen brachten. Übrigens ein Fakt, der von einigen Fraktionen politisch ausgenutzt wurde, um allein die Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau unter Beschuss zu nehmen, obwohl an diesen Unstimmigkeiten mehrere Dezernate und Ämter beteiligt waren. Da haben einige charismatische Akteure ganz sicher die Chance gesehen, sich selbst zu profilieren und Misshelligkeiten zu schüren, die am Ende die Stadtgesellschaft teuer zu stehen kommen.

Und auch das Vertrauen mit dem Käufer der Areale nicht stärkten, von dem man ja nun dringend benötigte Flächen brauchte, die man dann vorsichtig aus dem Paket herauslösen und zum Ankauf durch die Stadt vorbereiten musste – wie das Gelände am Dösner Weg, wo zwei neue Schulgebäude entstehen sollen – außerdem noch eine Sporthalle nebenan. Alles nur zu berechtigte Interessen. Auch die Stadtbau AG wusste 2013 beim Kauf des Geländes, was die Stadt hier dringend vorhatte. Nur verlaufen die Vereinbarungsprozesse sehr dissonant, wenn das Vertrauen fehlt und auch nur einer der beiden Partner das Gefühl hat, dass der andere seine Wünsche ohne Rücksicht durchsetzen möchte.

Übrigens ist auch die Durchführungsvereinbarung nur der erste Schritt. So schnell, wie die LVZ Wohnquartiere sprießen sieht, geht es auch hier nicht. Im Gegenteil. Das nötige Vertrauen wird gerade im nächsten Schritt erst richtig gebraucht.

Da geht es nämlich um die „Planungs- und Entwicklungsvereinbarung (Städtebaulicher Vertrag) zum Bebauungsplan bzw. B-Plangebiet“. Diese sei – so heißt es im Änderungsantrag der Grünen – „zwischen den Vertragsparteien mit den oben genannten Punkten a. – g. abzuschließen und dem Stadtrat zur Beschlussfassung bis spätestens zum Ende des IV. Quartals 2017 vorzulegen.“

Sachverhalt zur Durchführungsvereinbarung.

Der Änderungsantrag der Grünen.

Änderungsantrag der CDU-Fraktion.

Die neue LZ Ausgabe Juni 2017, ist seit Freitag, 16. Juni 2017 im Handel

Die Leipziger Zeitung Nr. 44: Über die Grenzen hinaus

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar