Es kam am Mittwoch, 26. April, dann doch so, wie es OBM Burkhard Jung am Dienstag schon befürchtet hatte: Leipzig drohte eine Niederlage vor Gericht, was die Stickoxidbelastung in der Harkortstraße betrifft. Wieder hatte, wie 2010 schon, die Firma Strobel Immobilien GmbH geklagt, der das Haus Harkortstraße 10 gehört. Damals ging es um die Feinstaubbelastung. Diesmal um die messbar zu hohen Stickoxidwerte.
Womit man mittendrin im Dilemma der deutschen Großstädte ist, die allesamt mit überhöhten Stickoxidwerten zu kämpfen haben. Die Stickoxide stammen zum größten Teil aus dem Kfz-Verkehr, haben eine Menge mit den Tricksereien der großen Dieselautobauer zu tun. Und die großen Städte haben kaum eine Handhabe, das Problem in den Griff zu bekommen – außer, was schon Stuttgarts OBM Fritz Kuhn ankündigte, mit Dieselfahrverboten ab 2018. Etwas, was die Großstädte eigentlich nicht wollen. Das betonten die Mitglieder des Präsidiums des Deutschen Städtetages am Dienstag, 25. April, extra, als sie in Leipzig ihre Forderung nach der Einführung der Blauen Plakette bekräftigten.
Das wäre wenigstens ein Steuerinstrument, „mit dem wir wenigstens die älteren Dieselfahrzeuge aus unseren Städten bekämen“, sagte OBM Burkhard Jung.
Aber das Instrument werden sie wohl nicht bekommen. Die Bundesregierung folgt den Länderverkehrsministern, die sich dem verweigern.
So dass die Verhandlung am Verwaltungsgericht auch schon symbolisch war. Denn wenn Straßenanrainer aufgrund zu hoher Luftbelastung klagen können, kommen die Städte unter Zugzwang. Leipzigs Verwaltung vermied lieber den Urteilsspruch und bot von sich aus eine Übergangsregelung an. Nachdem seit 2011 aufgrund der hohen Feinstaubbelastung schon die Durchfahrt von Lkw ab 12 Tonnen durch die Harkortstraße untersagt ist (was dazu führt, dass sie seitdem eine andere Straße, nämlich die Karl-Tauchnitz-Straße, belasten), gilt jetzt für die nächsten zwei Jahre ein Durchfahrtsverbot für alle Lkw ab 3,5 Tonnen.
Eigentlich zur Verzweiflung des OBM, denn damit wird das Problem ja nicht gelöst, sondern nur anderen Menschen direkt vor Fenster und Haustür verfrachtet.
Aber dahinter steckt auch die Kritik am 2009 beschlossenen Luftreinhalteplan, mit dem die Verwaltung verkündete, die Luftbelastung in Leipzig mindern zu wollen. Doch der wurde bis heute nur bruchstückhaft umgesetzt. Und an entscheidender Stelle ist er zahnlos.
Das ist der Punkt, an dem der Kläger einhakte, oder wie es der Anwalt des Klägers, Sven Kreuter, formulierte: „Die Stadt Leipzig hat im Jahr 2009 einen Luftreinhalteplan beschlossen, auf dessen Grundlage unter Anderem die Umweltzone in Leipzig eingeführt wurde. Für die Harkortstraße war dort ein Durchfahrtsverbot für Fahrzeuge mit einem Gesamtgewicht über 12 t vorgesehen, welches im Dezember 2010 umgesetzt wurde. Die Stadt Leipzig ging im Luftreinhalteplan aus dem Jahr 2009 davon aus, dass unter Berücksichtigung der im Luftreinhalteplan vorgesehenen Maßnahmen ab dem Jahr 2011 der Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid eingehalten werden kann. Tatsächlich wird der Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid in der Harkortstraße nicht eingehalten. Für das Jahr 2015 wurden vom Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie – je nach Streckenabschnitt – bis zu 49,4 μg/m³ Stickstoffdioxid prognostiziert.“
Die Stadtverwaltung Leipzig hat nun angekündigt, dass innerhalb der kommenden sechs Wochen die Harkortstraße für Kraftfahrzeuge über 3,5 t gesperrt wird.
Aber wie soll es dann weitergehen? Es kann ja keine Lösung sein, wenn das Problem der erhöhten Luftbelastung einfach nur in andere Straßen verlagert wird.
Volker Holzendorf, Direktkandidat der Grünen im Wahlkreis Leipzig-Nord zur Bundestagswahl im Herbst, begrüßt diese Maßnahme: „Stickoxide, die hauptsächlich durch Dieselfahrzeuge ausgestoßen werden, gefährden die Gesundheit der Anwohner, Fußgänger und Radfahrer an verkehrsreichen Straßen. An der Harkortstraße haben private Messungen eines anerkannten Institutes deutlich erhöhte Werte nachgewiesen. In unmittelbarer Umgebung der Harkortstraße liegen mit der Mensa Peterssteinweg, der Albertina sowie dem geisteswissenschaftlichen Zentrum Ziele, die hauptsächlich zu Fuß oder mit dem Rad aufgesucht werden. Passanten sind beim Überqueren der Harkortstraße einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Insofern begrüße ich die kurzfristige Maßnahme der Stadtverwaltung, weise aber darauf hin, dass dies lediglich ein Herumdoktern an den Symptomen ist.“
Auch er sieht die Gefahr, dass das Problem lediglich in andere Straßen verlagert wird, beispielsweise die Karl-Tauchnitz-Straße, deren Anwohner bereits seit längerem für eine Lärmminderung kämpfen. Ziemlich erfolglos, weil die Verwaltung wieder darauf verweist, dass die Karl-Tauchnitz-Straße die Ausweichstrecke für Lkws ist, die nicht mehr durch die Harkortstraße dürfen. Auch ist sie Teil des umstrittenen Tangentenvierecks, mit dem der City-Ring vom Kfz-Verkehr entlastet werden soll.
Aber das ersetzt keinen wirksamen Luftreinhalteplan. Und wie Burkhard Jung angedeutet hat, wird der neue Luftreinhalteplan in einigen Punkten deutlich schärfer formuliert sein als der von 2009, der übrigens ursprünglich gar keine Umweltzone enthalten sollte. Schon damals versuchte Leipzigs Verwaltung der Härte des Problems in lauter windelweichen Maßnahmen aus dem Weg zu gehen. Nur mit der nachträglichen Aufnahme der Umweltzone wurden erste Sanktionen wegen Verstößen gegen die Feinstaubgrenzwerte überhaupt vermieden.
Wenn der OBM jetzt verzweifelt ist, dann hat das auch mit acht Jahren Vertrödelung eines Themas zu tun, das dringend eine Lösung braucht. Auch wenn die Großstädte selbst am eigentlichen Problem nicht schuld sind. Mittlerweile weiß ja die Welt, wie beim Schadstoffausstoß der Dieselautos getrickst wurde.
„Solange die Autoindustrie nicht in der Lage ist, saubere Autos herzustellen, gibt es nur Verlierer: An erster Stelle die Menschen, deren Gesundheit massiv verletzt wird. Daneben die Stadtverwaltungen, die wegen europäischer Vorgaben ein Problem lösen müssen, zu dem sie nicht in der Lage sein können, weil die rechtlichen Rahmenbedingungen seitens der Bundesregierung nicht zur Verfügung gestellt werden“, sagt Volker Holzendorf. „Aber auch die Autoindustrie, die mit Schummelsoftware eine Abgasreinigung nur vorgaukelt und damit an dem Ast sägt, auf dem sie selber sitzt und letztlich der Industriestandort Deutschland, der durch mangelnde politische Vorgaben seiner Innovationsfähigkeit beraubt wird.“
Auch er setzt seine Hoffnung darauf, dass es die schwerenötige Bundesregierung noch hinbekommt, die Blaue Plakette einzuführen, so, wie es sich der Deutsche Städtetag wünscht.
„Durch die sofortige Einführung der sogenannten Blauen Plakette, die nur Fahrzeuge erhalten, die die strengen Abgasgrenzwerte der Euronorm 6 einhalten oder die Verringerung des Verkehrsaufkommens, beispielsweise durch Pförtnerampeln, können gerichtlich angeordnete Fahrverbote in den deutschen Städten – wie in der Harkortstraße in Leipzig – künftig verhindert werden“, sagt Volker Holzendorf noch.
Denn es ist eigentlich absehbar, dass das Durchfahrtsverbot für Lkw in der Harkortstraße nicht viel bringt. 760 Lkw ab 3,5 Tonnen werden hier am Tag gezählt – dazu über 22.000 Pkw, von denen mindestens ein Drittel Dieselfahrzeuge sind. Da kann man gespannt sein, was 2018 im neuen Luftreinhalteplan stehen wird, der sowieso schon mit zweijähriger Verspätung kommt, weil man nicht wirklich damit gerechnet hatte, dass die Autoindustrie bei den Dieselabgasen derart umfassend getrickst haben könnte.
In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer
https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/04/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
Keine Kommentare bisher
2 Probleme werden offenbar:
Die Stadt Leipzig hat nicht mal den Wischi-Waschi-Luftreinehalteplan umgesetzt; oft kritisiert, siehe Baumpflanzungen o.ä. – da muss sich der OBM schon an die eigene Nase fassen!
Die Kfz-Industrie kann tun und lassen was sie will, mit dem Segen der aktuell gewählten Bundesregierung. Die sich akut gegen eine schärfere Überwachung auf Europaebene ausspricht. Weil – ist ja alles ok zurzeit…
Wenn die blaue Plakette genau solche Laborgrenzwerte wie die anderen Plaketten hat, ist dies rausgeworfenes Geld.