Traurig waren Daniele Kolbe und Holger Mann am Mittwochabend, 25. Januar, ganz bestimmt nicht. Die ganze Republik diskutierte seit 24 Stunden über Sigmar Gabriels Vorstoß, Martin Schulz nicht nur zum neuen Parteivorsitzenden, sondern auch zum SPD-Kanzlerkandidaten zu machen. Und die beiden SPD-Abgeordneten waren sichtlich heiterer Dinge. Noch dazu, wo das „Jedermanns“ feierlich eröffnet wurde.

Und das auch noch in der Georg-Schumann-Straße 133, einem der tristesten Abschnitte dieser größten und längsten Magistrale der Stadt, die Gohlis mittendurch zerschneidet, aber seit 2011 unübersehbar am Erwachen ist. Ein Erwachen mit Widersprüchen. Aber selbst Leipzigs Statistiker haben es mitbekommen: Hier haben sich in den letzten Jahren die Häuser gefüllt, die Einwohnerzahlen sind deutlich gewachsen – und Kita- und Schulplätze sind Mangelware geworden.

Dass sich der Landtagsabgeordnete Holger Mann (SPD) ausgerechnet jetzt entschloss, ein Bürgerbüro in der „Schumi“ zu eröffnen, hat genau damit zu tun. Viel zu lange war auch Gohlis jenseits der städtischen Aufmerksamkeit, wurde auch von SPD-Mitgliedern eher nur über die Verkehrsprobleme auf der Georg-Schumann-Straße diskutiert, als über die Tatsache, dass diese Straße mit Einrichtung des Magistralenmanagements und der Sanierungsprojekte für diesen Bandwurm durch den Leipziger Nordwesten tatsächlich eine Veränderung erfahren hat.

Wichtige Abschnitte haben sich belebt, Betreiber von Supermärkten prügeln sich um noch verfügbare Standorte und von „Armutsäquator“ redet hier niemand mehr. Die Straße ist kein Aschenputtel mehr. Aber sie litt auch lange Zeit darunter, dass sie im politischen Diskurs der Stadt praktisch keine Rolle spielte. Die Bürgervereine waren überaltert und drohten sogar ganz in Ruhestand zu gehen, wie es dem Bürgerverein Gohlis ging. Und selbst die Rathausfraktionäre fuhren lieber schnurstracks durch, um schnell ins Rathaus zu kommen.

Das hat sich geändert. Der Bürgerverein Gohlis hat sich einmal komplett gehäutet. Und seit der wilden Debatte um die von der Ahmadiyya-Gemeinde geplante kleine Moschee sind auch einige Parteien munter geworden, haben sich – wie die SPD – intensiv für einen „Dialog für Gohlis“ eingesetzt.

Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe (SPD) zum Wahlkampf und Martin Schulz. Video: L-IZ.de

Das Bürgerbüro hat also einen gewissen Vorlauf. Und es setzt auch für die SPD ein Zeichen, die hier im Gohliser Ortsbild lange Zeit nicht sichtbar war. Dabei war das selbst mal ein Hauptanliegen von Sigmar Gabriel, dem Bundesvorsitzenden der SPD, der mit seinen meist nicht abgesprochenen Aktionen seine Genossen oft genug heftig überrascht hat: Sie sollten rausgehen und kämpfen, Gesicht zeigen und dahin gehen, wo es lärmt – und auch stinkt.

Das darf man im Zusammenhang mit der Georg-Schumann-Straße durchaus sagen. Noch ist der Verkehr hier nicht wirklich im Fluss und der Traum einer wirklich lebendigen Magistrale, die sich zum Beispiel mit der „KarLi“ vergleichen kann, noch ein Traum in dutzenden unfertigen Abschnitten. Hier fehlen noch hunderte Bäume. Die meisten Bürgersteige laden nicht zum Verweilen und Flanieren ein. Und bevor hier eine spannende Gastro-Szene Fuß fast, dominieren nach wie vor Pizza-Läden, Döner-Buden und Eckkneipen die Straße.

Stefan Kausch und Holger Mann bei der Eröffnungsfeier fürs „Jedermanns“. Foto: Michael Freitag
Stefan Kausch und Holger Mann bei der Eröffnungsfeier fürs „Jedermanns“. Foto: Michael Freitag

Aber Änderungen fangen damit an, dass die Bürger vor Ort wieder einbezogen werden, Kontakt finden und mitreden können. Deswegen habe man das Bürgerbüro auch ganz bewusst „Jedermanns“ genannt, betont Holger Mann, der die SPD als Landtagsabgeordneter in Dresden vertritt. Unterstützt wird er von Daniela Kolbe, die als Bundestagsabgeordnete in Berlin sitzt, gleichzeitig auch Generalsekretärin der SPD in Sachsen ist und sich am Mittwoch richtig freuen konnte über bundesweit 200 neue Parteieintritte in die SPD binnen 24 Stunden. Denn mittlerweile kriegen ja auch junge Bundesbürger mit, dass es nun einmal die Parteien  sind, die Politik gestalten. Da muss man entweder mitmachen und selbst dafür sorgen, dass sich was ändert – oder andere sorgen dafür, dass was geändert wird. Und das nicht unbedingt im Sinn der jungen Generationen.

Das fällt natürlich auf an diesem Mittwochabend, auch weil vor allem SPD-Aktive aus verschiedenen Verbänden der Einladung zur Eröffnung des Bürgerbüros gefolgt sind, dazu etliche Stadtteilaktive – der Laden ist rappelvoll: Es sind nicht mehr die nun grauhaarig gewordenen Aktiven der ersten Stunden, die das Bild dominieren. Es sind vor allem junge Leute, die auch selbst ihr Scherflein beigetragen haben, dass das Bürgerbüro jetzt eingerichtet werden konnte, denn auch die Ortsvereine aus Nord und Nordwest haben mitgeholfen, die Räume herzurichten.

40 m² Ladenlokalfläche sollen jetzt für Veranstaltungen aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft zur Verfügung stehen, betont Holger Mann. Das Büro soll Anlaufstelle und Treffpunkt für jede und jeden sein. Auch für die nicht parteigebundenen Bürger. Wenn hier Veranstaltungen zu brennenden aktuellen Themen stattfinden, sei das genau das, was man wolle. Deswegen auch der Name „Jedermanns“.

Landtagsabgeordneter Holger Mann (SPD) zu den Vorhaben im „Jedermanns“. Video: L-IZ.de

Zugleich habe die SPD damit nach vielen Jahren wieder einen festen Anlaufpunkt und Veranstaltungsräume im Leipziger Norden. Und setze auch ein Zeichen in diesem Stadtgebiet, das so langsam munter wird und sich neu erfindet. Gerade an der „Schumi“ mit ihren noch deutlich sichtbaren Bruchstellen. Und ein Ort für Kultur und Kunst soll das „Jedermanns“ werden. Was gleich zur Eröffnung sichtbar wurde mit großformatigen Fotos von Bernhard Berres und Ruth Habermehl. Die man an den Öffnungszeiten natürlich auch besichtigen kann.

Drei Tage in der Woche will Stefan Kausch, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bürgerbüro, absichern, dass das „Jedermanns“ geöffnet ist und die Bürger hier einen Ansprechpartner finden.

Alles Andere soll es dann geben, wenn die geplanten Veranstaltungen feststehen.

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