Am Dienstag, 13. Dezember, meldete die Stadt Leipzig „Projekt Lebendige Luppe wird erweitert“. Eine Meldung, die eigentlich ein Jahr zu spät kommt. Denn dass das Projekt erweitert werden muss, um überhaupt nennenswerte Hochwassereffekte in die Burgaue zu bekommen, war 2015 schon klar. Noch nicht klar war freilich, wie sehr so eine Entscheidung den Kostenrahmen überschreitet.

Im April 2016 hat übrigens das Bundesamt für Naturschutz die neue Entwicklung schon bestätigt. Mit 75 Prozent Fördersumme ist es der Hauptgeldgeber für das Projekt und erwartet – mit Recht – auch einen echten Effekt zur Wiederbelebung der Aue. Den hätte es mit dem 2012 geplanten Wasserdargebot von 0,5 m³/s bis 2,5 s einfach nicht gegeben. Nur ein einziger Wasserlauf hätte etwas mehr Wasser bekommen und nur kleine Teile der Aue hätten vielleicht mal ein bisschen Überschwemmung bekommen.

2015 war klar, dass man ein deutlich größeres Fließsystem mit Wasser beschicken muss, um die Aue zu retten. Das Wort „retten“ ist wirklich angebracht und die Warnung kommt in der jetzigen Vorlage auch vor. Was zwingend nötig ist, sind größere und regelmäßigere Überschwemmungen, die tatsächlich größere Teile der Aue unter Wasser setzen. „Verbesserung der Auendynamik“ muss das Ziel sein. Das geht mit Kleckerbewässerung einfach nicht.

„Im Vergleich zu der Machbarkeitsstudie, die auf der Grundlage des Stadtratsbeschlusses von 2012 erstellt wurde und die uns bisher als Planungsgrundlage diente, soll der naturnahe Trassenverlauf der Lebendigen Luppe entsprechend der höheren Wassermengen angepasst werden“, versuchte Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal das Ganze am Dienstag zu umschreiben.

Aber um so etwas zu erreichen, braucht es auch zusätzliche ingenieurtechnische Arbeiten. Geeignete Ein- und Ausleitstellen für die höheren Wassermengen müssen ermittelt und geplant werden. Bislang gibt es nur die Willensbekundung und die ersten – ebenfalls nicht billigen – Modellierungen möglicher Wasserbeschickungen. Außerdem müssen ungeeignete Durchlass- und Brückenbauwerke planerisch und bautechnisch an die neuen Anforderungen angepasst werden, also umgebaut werden. Was man bei der sparsamen Beschickung von 2012 nicht gebraucht hätte.

So gesehen: ein erstaunlicher Wandel in der Sicht auf das Projekt. Und die berechtigte Frage: Warum hat man dann 2015 nicht den Mut gefunden, das Ganze wirklich groß und nachhaltig zu denken?

Vorhandene und historische Gewässerläufe sollen für die Lebendige Luppe genutzt werden, aber deutlich mehr als noch 2012 geplant. Das Netz soll verzweigter sein und auch mehr (Hoch-)Wasser aufnehmen. In der Vorlage heißt es dazu: „Die maßgebliche Erweiterung des Projektumfanges gegenüber dem Planungsbeschluss aus 2012 besteht in der zusätzlichen Nutzung kleinerer Hochwasserereignisse (einjähriges bis fünfjähriges Hochwasser mit einem maximalen temporären Durchfluss bis ca. 30 m³/s) zur flächigen Flutung der Aue unter Aufrechterhaltung der Polderfunktionen zur Erreichung einer wirksamen Auendynamik in den Hartholzauenwaldbereichen (ca. 30 km²) mit Ziel des Erhalts und Förderung des national bedeutsamen Lebensraumtypes Hartholzauenwald und anderer naturschutzfachlich bedeutsamer Lebensräume.“

Und: „Der Einfluss der höheren Wassermengen auf den Polder muss planerisch geprüft, abgebildet und die Unschädlichkeit für den Hochwasserfall nachgewiesen werden.“

Ohne Zustimmung der Landestalsperrenverwaltung geht nichts.

Am Dienstag, 13. Dezember, kamen dann in der Dienstberatung des OBM auch die neuen Kostenabschätzungen zur Sprache.

Was dann in der kurzen Meldung der Stadt so klang: „Die fachübergreifende Gesamtplanung der insgesamt rund 1,32 Millionen teuren Erweiterung stellt sich mit der Beteiligung von Politik und Öffentlichkeit als stark dynamischer Prozess dar. So soll das zwölf bis 18 Monate dauernde Planfeststellungsverfahren bis Ende 2017 begonnen worden sein, damit der erste von vier Bauabschnitten bis Ende 2019 realisiert werden kann.

Was so eher irritierend ist.

Denn tatsächlich hat sich die Kostenprognose für das Gesamtprojekt und alle vier Bauabschnitte gegenüber 2012 um über 5 Millionen Euro erhöht – von 10,3 auf 15,5 Millionen Euro. Die 1,3 Millionen beziehen sich jetzt erst einmal nur auf die notwendigen Erweiterungen in der Planung. Ohne Planung kein Bau. In der Planung stecken auch die notwendigen aufwendigen Modellierungen. Denn in den „Kostenerhöhungen sind auch Mehraufwendungen im Bereich der besonderen Leistungen enthalten, die hauptsächlich im Bereich der Vermessungsleistungen, der Grundlagenermittlungen, in der VOF-Verfahrensunterstützung und innerhalb der hydraulischen Modellierung liegen“, heißt es in der Vorlage.

Und ob es bei den prognostizierten Baukosten bleibt, ist auch noch offen: „Ungeeignete Durchlass- und Brückenbauwerke müssen an die neuen Anforderungen planerisch und bautechnisch angepasst  werden. Die Kosten für diese Bauwerke können zum gegenwärtigen Planungsstand nicht benannt werden, denn sie sind innerhalb der nächsten Planungsschritte zu ermitteln.“

Wirklich wissen, was alles kostet, wird man wohl erst im Frühjahr 2017. „Das  Planfeststellungsverfahren soll voraussichtlich nach Einreichung aller notwendigen Unterlagen bis Ende 2017 beginnen. Der erforderliche zeitliche Rahmen des Planfeststellungsverfahrens wird auf mindestens 12 bis 18 Monate geschätzt. Die Realisierung eines 1. Bauabschnittes soll bis Ende 2019 erfolgen. Der Realisierungszeitraum für alle vier Bauabschnitte ist bis 2025 vorgesehen.“

Wobei noch unklar ist, wo der 1. Bauabschnitt beginnen soll. Denn der ursprüngliche Anknüpfungspunkt lag im Bereich der Kleinen Luppe bei Leutzsch. Mittlerweile ist aber ein Einlass von der Nahle her in der Nähe des Nahleauslassbauwerks angedacht. Das Erfassungsgebiet hat sich also verkürzt – dafür soll dann mehr Wasser in die Burgaue strömen.

Und dann gibt es da ein kleines Problem: Leipzig hat keine Alternative. Die hätte es haben können, wenn es wirklich den Mut gehabt hätte, die gesamte Nordwestaue für eine Öffnung zu prüfen. Nur das wäre wirklich nachhaltig. Aber das sollte nicht sein.

Deswegen ist das jetzt modifizierte Projekt „Lebendige Luppe“ auch eine Art Strohhalm, damit überhaupt etwas passiert: „Mit einer Ablehnung kann dieses Projekt nicht mehr fortgeführt werden, da die erforderlichen Planungsleistungen nicht beauftragt werden können“, heißt es in der Vorlage, die ab Januar im Stadtrat diskutiert werden soll. Denn der muss noch zustimmen, damit das Geld auch fließen kann. „Eine längere Projektunterbrechung bzw. ein Projektabbruch führt zum Verlust der Fördermittel und Veralterung der Planungsunterlagen sowie auch zum Reputationsverlust, da ein bundesdeutsch und sächsisch bedeutsames Projekt zur Umsetzung der Nationalen Strategie zum Erhalt und zur Entwicklung der biologischen Vielfalt nicht mehr fortgeführt wird. Weiterhin hätte ein Projektabbruch für die Hartholzaue unübersehbare Folgen. Alternative, vergleichbare Projekte zur Rettung des Hartholzauenwaldbestandes sind nicht vorgesehen. Daher kann davon ausgegangen werden, dass der seit Jahren andauernde Prozess der Austrocknung der Aue und damit die Umgestaltung der typischen Artenzusammensetzung weiter voranschreitet und unter Umständen irreversible Folgen hat.“

Besonders das Wort „Reputationsverlust“ ist schön gewählt.  Es erklärt so einfach, warum die Beteiligten sich nicht trauen, über andere Alternativen zu reden.

Die Vorlage des Umweltdezernats zum Projekt Lebendige Luppe.

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