Hat Leipzigs Auenwald überhaupt eine Chance, jemals wieder ein von natürlichen Hochwassern durchspülter echter Auenwald zu werden? Die Frage stand ja wieder im Raum, seit sich die befragten Leipziger in der „Bürgerumfrage 2015“ deutlich für die Wiederherstellung natürlicher Überflutungsgebiete aussprachen. Natürlich hat das Konsequenzen. Darüber redet nur keiner. Zumindest nicht ernsthaft.

50 Prozent der Befragten hatten der Aussage zugestimmt, dass man „Flutungsgebiete für ökologischen Hochwasserschutz schaffen“ solle, 61 Prozent stimmten der Aussage zu, dass „Schutzgebiete für Tiere und Pflanzen“ geschaffen werden sollten.

Der Fragenkomplex wiederholte sich noch einmal in der Frage nach der Wichtigkeit.

84 Prozent der befragten Leipziger finden die „naturnahe Gestaltung von Flüssen und Bächen“ wichtig und eher wichtig, 79 Prozent die Schaffung von „Überschwemmungsflächen und Auen“.

Was auch die Statistiker der Stadt dann in der Aussage bündelten: „Die Leipziger Bürgerinnen und Bürger ziehen natürliche Maßnahmen zum Hochwasserschutz dem Deichbau vor.“ Nur dass es ja in Leipzig nicht um neuen Deichbau geht, sondern um die Revitalisierung eines Auenwaldes, der jetzt seit fast 100 Jahren von seinen natürlichen Gewässern abgeschnitten ist.

Zwei kleine Projekte

In zwei Projekten versucht ja jetzt die Stadt, irgendwie wieder so ein paar kleinere Überschwemmungen in den Auenwald zu bekommen – das eine ist das Projekt „Lebendige Luppe“, in dem über eine regulierte Deichöffnung und den Burgauenbach ein gesteuertes Nässungssystem in der nördlichen Burgaue geschaffen werden soll. Da muss die Stadt noch intensiv mit der Landestalsperrenverwaltung verhandeln, wie viel Wasser und an welcher Stelle es aus der Nahle entnommen werden darf. Zu diesem Projekt gehört ja auch die künstliche Wassereinleitung aus der Weißen Elster in das Gebiet an den Papitzer Lachen, die schon im letzten Jahr hergestellt wurde.

Zukunftsmusik ist noch die Schlitzung der Deiche am Elsterflutbett, um künftig auch regelmäßige Flutungen im Ratsholz im südlichen Auenwald zu bekommen, wo derzeit noch künstliche Vernässungen als Pilotprojekt für begrenzte Zeiträume laufen.

Kann man die Nordaue öffnen?

Als 2014 intensiv über das Projekt „Lebendige Luppe“ diskutiert wurde, fragten auch die Leipziger Naturschutzverbände an, warum nicht intensiver wieder über die Wiederherstellung eines wirklich natürlichen Hochwasserregimes im nördlichen Auenwald nachgedacht werde.

Denn alle Versuche, jetzt wieder künstlich Wasser in den Wald zu bekommen, sind teuer und auch nicht wirklich nachhaltig. Nach wie vor wirken Nahle und Neue Luppe wie Trichter, die das Grundwasser aus den angrenzenden Auen absaugen. Die Deiche, die hier erst 2011 und 2013 hohe Belastungen aushalten mussten, verhindern hingegen die Überschwemmung der Aue. Für die Neue Luppe sind jetzt zumindest neue, künstliche Hindernisse als Einbauten geplant, die verhindern sollen, dass sich der Kanal immer tiefer in den Untergrund fräst. Denn durch die Kanalisierung funktioniert die Neue Luppe nicht mehr wie ein Fluss, bildet weder Mäander noch Sandbänke, lädt also auch kein wertvolles Schwemmmaterial ab, wie es ursprünglich erst die Entstehung des Leipziger Auenwaldes ermöglicht hat.

Tonnen von Schwemmmaterial im Elsterbecken. Foto: Ralf Julke
Tonnen von Schwemmmaterial im Elsterbecken. Foto: Ralf Julke

Das Schwemmmaterial bleibt schon im Elsterbecken hängen und muss jedes Jahr mit einem riesigen Aufwand von der Landestalsperrenverwaltung abgebaggert oder abgesaugt werden. Auch das ist nicht nachhaltig. Weswegen Leipzigs Verwaltung und die LTV die Wiederfreilegung der Alten Elster mittelfristig auf den Plan gesetzt haben. Dann würden die Wassermassen der Weißen Elster mit dem ganzen Schwemmmaterial nicht mehr ins Elsterbecken stürzen, sondern über die Alte Elster Richtung Elsteraue fließen. Was zumindest die Frage aufwirft: Wozu wird dann die Neue Luppe überhaupt noch gebraucht, außer als Hochwasserableiter?

Aber schon damals prallten die Meinungen aufeinander, wurde auf entsprechende Änderungsvorschläge der Naturschutzverbände sofort mit heftiger Abwehr aus den verantwortlichen Abteilungen der Stadt reagiert. Sofort standen Hochwasserschutz und Auenwaldrevitalisierung wieder als völlig unvereinbar nebeneinander. Die Fronten waren heftig und – unüberwindlich.

Aber wieso eigentlich?

Liegt es nicht in der Entscheidungskompetenz einer Stadt, die Art des Hochwasserschutzes auf ihrem Gebiet zumindest zu beeinflussen?

Kann man die Aue anders denken?

Wir haben extra das zuständige Umweltministerium angefragt, ob das rechtlich überhaupt möglich ist. Wir haben Fragen und Antworten ungekürzt unter den Text gesetzt. Ein klares „Nein“ wird man darin nicht finden, nur – jetzt von Landesebene gespiegelt – eine Bestätigung der verschiedenen Hindernisse, die derzeit ein anderes Hochwasserregime in der Elsteraue politisch nicht opportun machten. Das größte Hindernis – so benennt es auch das Ministerium – sind natürlich die „betroffenen Schutzgüter in diesen Bereichen“. Dazu zählen nicht nur Bauten wie die Domholzschänke oder Schlobachs Hof, die mitten im Überschwemmungsgebiet stehen, sondern auch diverse Kleingartenanlagen, Straßen und Hochspannungsleitungen.

Die müssten entweder zurückgebaut oder hochwassersicher gemacht werden. Erst dann kann die Aue auch dauerhaft für Hochwasser wieder geöffnet werden.

Und ein vorerst unlösbares Problem scheint die Rolle der Burgaue als Polder zu sein. Die LTV steuert hier den Hochwasserscheitel für die flussabwärts gelegenen Anrainer – in diesem Fall insbesondere von Halle. Das Umweltministerium betont, dass der Effekt des Polders 2013 nachweisbar war – die Umweltverbände bestreiten das. Rund 10 Millionen Kubikmeter Wasser wurden im Juni 2013 kurzfristig über das Nahleauslasswerk in die Burgaue geleitet und haben den Scheitel des Hochwassers in der Neuen Luppe kurzfristig gesenkt. Dauerhaft natürlich nicht, denn wenn das Wasser durch die Burgaue gerauscht ist (und Schlobachs Hof und Domholzschänke umspült hat), fließt es ja wieder zurück in die Neue Luppe und damit in die Weiße Elster.

Der Streit geht also darum, ob der Effekt des Nahleauslasswerkes nachhaltiger ist als eine Komplettöffnung der Nordaue, die von Leipziger Naturschutzverbänden als eigentlich nachhaltige Lösung betrachtet wird, die nicht nur Raum für natürliche Überschwemmungen schafft, sondern auch dem Auenwald wieder auf natürlichem Wege seine Hochwasser bringt. Ohne eine Höherlegung der Sohle der Neuen Luppe funktioniert das natürlich auch nicht. Auch das betont das Umweltministerium. Auch eine Öffnung der Aue braucht vorher einige Investitionen, die bislang noch niemand beziffert hat.

Die kompletten Fragen und Antworten zur möglichen Deichöffnung:

  1. Kann Leipzig den Rückbau bzw. die Rückverlegung von Deichen in der Elsteraue selbst beantragen? Würde es dabei Zustimmung oder gar Unterstützung durch das SMUL bekommen?

Deiche als öffentliche Hochwasserschutzanlagen an Gewässern 1. Ordnung sind rechtlich in der Bau- und Unterhaltungslast beim Staatsbetrieb Landestalsperrenverwaltung, so dass ein solcher Antrag nicht bei der Stadt Leipzig läge. Für die Deiche in der Elster-Luppe-Aue, die eine öffentliche Hochwasserschutzfunktion haben, wurde bereits vor Jahren, unter anderem mit der Stadt Leipzig als untere Wasserbehörde, die wassergesetzlich vorgeschriebene Unterhaltung, Sicherung und Schadensbeseitigung abgestimmt. Dabei waren die bei Hochwasser andernfalls betroffenen Schutzgüter in diesen Bereichen zu berücksichtigen – und gleichzeitig auch der Fakt, dass die historisch umverlegten bzw. neu angelegten begradigten Gewässer, insbesondere die Neue Luppe und die Nahle, wesentlich zu tief für ein effizientes und naturnahes Überflutungsregime angelegt sind.

  1. Gerade wird ja mit hohem Aufwand versucht, wieder ein bisschen Wasser in die Burgaue zu bekommen …

Bei den für die Burgaue angedachten Maßnahmen mit Wasserausleitungen aus vorhandenen Gewässern muss vor allem erst die Verfügbarkeit und die Zulässigkeit in Bezug auf die Gewässerökologie – Stichwort: Wasserrahmenrichtlinie – geklärt werden.

…auch mit der Begründung, die LTV würde einer Öffnung des Deichsystems an der Stelle nicht zustimmen. Ist das Hochwasserschutzkonzept so starr? Würde Leipzig für solche Komplettöffnung von Überflutungsflächen im Auenwald die Zustimmung des SMUL bekommen?

Zu Zuständigkeiten, bisherigen Verfahrensweisen und Randbedingungen dafür siehe hierzu die Antwort zu 1. Wie gesagt, mit der Öffnung des Deichsystems gäbe man den von vielen Betroffenen weiterhin erwarteten vorhandenen Hochwasserschutz auf, ohne aber ökologische Flutungen erreichen zu können.  Eine 2Öffnung des Deichsystems2 würde daher keine 2Komplettöffnung von Überflutungsflächen2 bewirken. Die Erhaltung von Hochwasserschutzanlagen in der Elster-Luppe-Aue zu Zwecken des öffentlichen Hochwasserschutzes ist begründet und es werden diese Anlagen auch so genutzt, siehe auch die Hochwasserereignisse im Januar 2011 und im Juni 2013. Dem entspricht auch, dass der Oberbürgermeister nach dem Hochwasser 2013 die LTV zur nachhaltigen Schadensbeseitigung an den Hochwasserschutzanlagen aufgefordert hat.

  1. Tatsächlich müssten – um den Auenwald nachhaltig zu erhalten – weite Teile der abgedeichten Waldflächen freigegeben werden. Steht dem das Hochwasserschutzkonzept des Freistaats entgegen?

Siehe hierzu obige Antworten, ergänzend: Einerseits würde die angesprochene „Freigabe der abgedeichten Waldflächen“ bei den für ökologisch wesentliche Flutungen benötigten kleineren Hochwassern aufgrund der Tieflage der Gewässer nichts bringen. Andererseits ist die schon im Hochwasserschutzkonzept vorgeschlagene Sicherung der Polderfunktion der Burgaue und der Nutzen für die Unterlieger bei größeren Hochwasserereignissen wasserwirtschaftlich nachgewiesen und dies hat sich beim Hochwasser 2013 bereits bewährt. Des Weiteren sind im Hochwasserschutzkonzept bzw. im Maßnahmenprogramm zum Hochwasserrisikomanagementplan aber auch Deichschlitzungen im Bereich des Ratsholzes enthalten und geplant, für die aktuell das Genehmigungsverfahren läuft. Außerdem läuft ein Genehmigungsverfahren für tatsächlich wasserwirtschaftlich machbare Maßnahmen zur Wiedervernässung im Bereich der Nordaue. Es gibt also durchaus geplante Maßnahmen, die dem Ziel der Wasserzuführung zum Auwald entsprechen.

  1. Wurde die Leipziger Elsteraue überhaupt schon einmal als natürliche Retentionsfläche geprüft – und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Diese Prüfung ist im Zuge vorangegangener Untersuchungen erfolgt mit dem oben auszugsweise erläuterten summarischen Ergebnis, dass aufgrund der gegebenen Randbedingungen und unter Berücksichtigung aller Anforderungen keine Herstellung der natürlichen Überschwemmungsflächen machbar ist.

  1. Oder ist die Bereithaltung der Burgaue als Polder für die LTV zwingend – also auch alternativlos?

Die Polderfunktion der Burgaue und der Nutzen für die Unterlieger bei größeren Hochwasserereignissen ist wasserwirtschaftlich nachgewiesen und dies hat sich beim Hochwasser 2013 bereits bewährt

  1. Und welche Schritte müsste / könnte Leipzig gehen, wenn es die Elsteraue tatsächlich wieder zum natürlichen Überschwemmungsgebiet machen möchte?

Um ein natürliches Überschwemmungsgebiet der Elster-Luppe-Aue (und dabei muss man wasserwirtschaftlich das Gesamtsystem im Raum Leipzig einschließlich der Zuflüsse betrachten, nicht nur isoliert die Burgaue!) zu erreichen, müssten zunächst alle wesentlichen schutzbedürftigen Nutzungen in diesen Bereichen einschließlich der Verkehrsinfrastruktur verschwinden oder überflutungsangepasst hergestellt werden, es müssten das gesamte Gewässersystem des sogenannten Gewässerknotens Leipzig einschließlich Elsterbecken völlig verändert werden und dabei die fast vollständig veränderten ursprünglichen Gewässerläufe wiederhergestellt werden, die aber in großem Umfang durch vorhandene Siedlungsgebiete eingeschränkt sind.

In eigener Sache – Eine L-IZ.de für alle: Wir suchen „Freikäufer“

Eine L-IZ.de für alle: Wir suchen „Freikäufer“

 

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Sowohl die Stadt Leipzig (mit allen Kommunen des sogenannten Grünen Rings Leipzig), als auch der Freistaat Sachsen sind sich in einem Punkt einig, wesentlich einig, übereinstimmend, also so einig, daß nicht mal ein Seidenblatt dazwischen paßt:
Der Wasser”tourismus” muß gefördert werden!
Auf Biegen und Brechen. Dafür werden Millionen Euro im hohen dreistelligen Bereich aus allen möglichen Töpfen, von der Tagebausanierung bis zur ILE-Förderung, zur Verfügung gestellt.
Und diesem motorisierten Wassertourismus sind natürliche Flußläufe einfach im Wege.
Alles andere ist lösbar.
Doch dieser politische Entschluß zur Förderung eines motorisierten Wassertourismus ist gefaßt. Vor langer Zeit und gegen den mehrheitlichen Willen der Bürger. Die mit dem Charta 2030-Prozess regelrecht verhöhnt wurden. Denn die Entscheidungen waren schon alle getroffen. Und zwar gemeinsam von Leipzig und dem Freistaat.
Das steht einer Auenvitalisierung im Wege.
Für einen Gewässerausbau für eine motorisierte Nutzung ist Geld vorhanden. Da wird sogar ein sinnfreies Schiffshebewerk und eine Kanalverlängerung gebaut. Für einen natürlichen Hochwasserschutz, verbunden mit einer Auenvitalisierung, ist demgegenüber angeblich kein Geld da!
Falsch, das Geld ist da! Die politischen Entscheidungen sind allerdings schon getroffen. Ganz nachhaltig soll dieses vorhandene Geld versenkt werden. In Technik. Weil die Leipziger Verwaltung und der Freistaat das so wollen.

Schreiben Sie einen Kommentar