Eine Ablehnung kann auch eine Viertelzustimmung sein. So etwas bekam jetzt der Stadtbezirksbeirat Leipzig-Nordwest geliefert. Der hatte sich gewünscht, dass aus der alten Deponie in Möckern so etwas wie „Ein Balkon für Leipzig“ wird, also eine Art Fockeberg für den Leipziger Nordwesten. Dazu äußert die Verwaltung zwar „erhebliche Bedenken“. Aber ein bisschen was gesteht das Umweltdezernat doch zu.
Und damit alle wissen, wie jung und sensibel die Deponie noch ist, gibt es gleich mal die ganze Geschichte erzählt:
„In den Jahren 2003 und 2004 fanden im Auftrag des Eigenbetriebes Stadtreinigung Leipzig mit finanziellen Mitteln des Freistaates Sachsen Rekultivierungsmaßnahmen an der ehemaligen Deponie Möckern statt. Ziel der Arbeiten war es, das Eindringen von Niederschlagswasser in den Deponiekörper zu minimieren und damit das Eindringen von schädlichem Sickerwasser in das Grundwasser zu vermeiden. Die Rekultivierung erstreckte sich vorrangig auf den oberen Bereich der Deponie. Deren Fuß blieb weitestgehend unsaniert. – Große Teile der Flächen wurden in Abstimmung mit dem Amt für Stadtgrün und Gewässer (Abteilung Stadtforsten) gestaltet und mit geeigneten Gehölzen bepflanzt. Dadurch sollte eine zunehmende Bewaldung und Schaffung von Ruhezonen initiiert werden. Perspektivisch sollten sich die auf den unbearbeiteten Flächen stockenden Waldbestände sukzessiv erweitern. Im Frühjahr 2005 wurden die Sanierungsarbeiten mit der Bepflanzung abgeschlossen. Danach setzte die Entwicklungspflege ein, die 2007 endete.“
Das erste Zwischenfazit also: Man hat es mit einer Deponie mitten im sensiblen Elster-Luppe-Gebiet zu tun, aus der die Stadt unbedingt Ausschwemmungen ins Grundwasser verhindern möchte. Die üppige Bewaldung täuscht nur darüber hinweg, dass die Bäume vor allem da stehen, um die Deponie zu sichern.
„Zum 01.01.2009 erfolgte die Übergabe der einstigen Halde vom Eigenbetrieb Stadtreinigung in den Fachliegenschaftsbestand der Abteilung Stadtforsten. Ab diesem Zeitpunkt konnte ein Jeder die rekultivierte Deponie auf eigene Gefahr betreten“, so das Umweltdezernat weiter. „Die fortschreitende Sukzession, das heißt, die Entwicklung von einem gestörten Ausgangsstadium in einen relativ stabilen Endzustand der Vegetation führt dazu, dass sich der Wald (mit Ausnahme der landwirtschaftlich genutzten Flächen) in allen Bereichen etabliert und erweitert. – Zu den gegenwärtigen Unterhaltungsarbeiten gehören regelmäßiges Ablesen von Abfällen, Freischnitt der Zugangswege und die jährlich mehrmalige Mahd (Landwirtschaft) der freien Plateaufläche. Darüber hinaus muss langfristig ein Monitoring des Grund- und Sickerwassers im Deponiebereich vorgenommen werden. Außerdem ist das Setzungsverhalten zu beobachten.“
Und nicht nur der abgelagerte Müll soll möglichst nicht gestört werden. Die Deponie hat sich auch zu einem wichtigen Rückzugsraum für Tiere entwickelt. Logisch, dass das durch eine Verwandlung in einen publikumsträchtigen „Balkon“ gleich wieder zunichte gemacht wird.
Das Umweltdezernat zu dem Thema:
„Die ehemalige Deponie ist Bestandteil des Landschaftsschutzgebietes (LSG) ‚Leipziger Auwald‘ sowie des gleichnamigen EU-Vogelschutzgebietes (SPA). Aufgrund fehlender Wege sind weite Bereiche sehr störungsarm und somit ideale Rückzugsräume für störempfindliche Tierarten. Es ist davon auszugehen, dass hinsichtlich des Artenspektrums eine Tendenz von Halboffenland- arten/Gebüschbrütern zu Waldarten zu verzeichnen sein wird.“
Logische Folge: „Durch aktiven Ausbau zu einem Erholungsgebiet würden neben den dafür erforderlichen Eingriffen die Erschließungsmaßnahmen sich negativ auf die naturschutzfachlich gesehene positive Situation und Entwicklung auswirken.“
Und dann geht es um Geld. Aus Sicht des Umweltdezernats um eine ganze Menge Geld.
„Die Herstellung und Unterhaltung der Naherholungseinrichtungen würde beträchtliche Kosten nach sich ziehen. So müsste für eine etwaige Nutzung als Naherholungsgebiet eine dauerhafte Überquerungsmöglichkeit der neuen Luppe für Fußgänger, Radfahrer und die Bewirtschaftungsfahrzeuge geschaffen werden. Die Zuwegung zur Deponie Möckern erfolgt über die sogenannte ‚Müllbergbrücke‘, die ursprünglich nur für die ‚Sanierung‘ der Deponie Möckern geplant war und danach wieder rückgebaut werden sollte. Die Dimensionierung der Brücke ist deshalb sehr gering. So kam es unter anderem bei den Hochwasserereignissen 2011 und 2013 zum starken Anströmen der Brücke, 2013 wurde das Geländer zerstört. Die Brücke stellt schon bei Hochwasserereignissen geringer Jährlichkeit ein Abflusshindernis dar. Schäden durch Treibgutversatz und abgeschwemmte Brückenbauteile sind zu erwarten.“
Und der Brückenneubau kann natürlich nicht in der alten Dimensionierung erfolgen, sonst bleibt die Brücke ja ein permanentes Hochwasserhindernis.
„Bei der Entwicklung der Deponie Möckern zu einem Naherholungsgebiet müsste die Brücke erneuert werden. Sie müsste wesentlich größer dimensioniert werden, was mit erheblichem planerischem und finanziellem Aufwand verbunden wäre“, stellt das Umweltdezernat fest. „Die Veränderung der Brücke ist nach § 36 WHG i. V. m. § 26 SächsWG wasserrechtlich genehmigungsbedürftig. Eine Genehmigung unter Beibehaltung der derzeitigen Abmessungen der Brücke kann keinesfalls in Aussicht gestellt werden. Von einer Öffnung der Brücke für den Fuß- und Radverkehr im Status quo wird abgeraten.“
Eine echte Zwickmühle.
Deutlich klarer fällt das Nein zur Zerfahrung der Deponiehänge aus.
„Eine sportliche Nutzung der Deponie, beispielsweise als Mountainbike-Strecke, ist aufgrund des nicht natürlich gewachsenen Untergrundes ausgeschlossen. So darf in die Deponieabdeckung nicht eingegriffen werden“, warnt das Umweltdezernat. Und auch eine sanftere Nutzung sieht man eher skeptisch: „Die Deponie Möckern würde bei der Entwicklung zu einem Naherholungsgebiet deutlich stärker von der Bevölkerung frequentiert werden. Die Verkehrssicherungspflicht ist dabei zu beachten.“
Was alles in die Einsicht mündet, dass man hier nach wie vor eine junge und sensible Deponie vor sich hat, die eher vor Zerstörung geschützt werden muss. An mehreren Grundwassermessstellen wird nach wie vor die Grundwasserbeschaffenheit überprüft.
Und für das Gesamtgebilde gilt: „Im Bereich der Deponie herrschen besondere geotechnische Gegebenheiten mit einem sehr inhomogenen Baugrund infolge von Massenumlagerungen. Von einer Entwicklung der Deponie Möckern im Status quo zum Naherholungsgebiet wird auch auf Grund dieses Sachverhaltes abgeraten. – Schlussendlich bestehen auch erhebliche Bedenken wegen Altlasten. (…) Aus technischer Sicht wurde der Deponiekörper bepflanzt und begrünt, um das Eindringen von Niederschlagswasser und somit das Eindringen von schadstoffbelastetem Sickerwasser in das Grundwasser zu mindern. Weiterhin sollen Erosionsschäden vermieden werden. Durch Entfernung der schützenden Vegetation würden beide genannten Risiken steigen. Die Einrichtung von Mountain-Bike-Parcours wird daher aus altlastenfachlicher Sicht grundsätzlich kritisch gesehen. (…) Da die Maßnahmen zur Rekultivierung der Deponie mit Fördermitteln des Freistaates Sachsen durchgeführt wurden, verweisen wir auf die Prüfung der entsprechenden Zweckbindung.“
Was ja in Summe heißt: Man sollte die Deponie tatsächlich noch etliche Jahre in Ruhe lassen, so ähnlich wie die Deponien in Seehausen oder an der Leinestraße. Mit dem „Fockeberg“ ist der Müllberg eher nicht vergleichbar, denn dort wurde ja ausschließlich Trümmerschutt verkippt.
Nur ein kleines Zugeständnis kann sich das Umweltdezernat vorstellen: „Der Aufbau von einigen Bänken für Erholungssuchende wird probeweise erfolgen.“
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