Nur ein Trend oder eine Zeitenwende? Wieder einmal? Wahrscheinlich ja: Wenn der große Satelliten-Stadtteil in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag feiert, hat er tatsächlich schon sein drittes Leben begonnen, auch wenn Juliana Pantzer am Donnerstag, 12. Mai, noch ein bisschen vorsichtig war. Da stellte sie zusammen mit Bürgermeisterin Dorothee Dubrau (Bau) und Bürgermeister Michael Faber (Kultur) das Festprogramm fürs Jubiläum vor.

Michael Faber war schon kurz davor, Anekdoten aus seinem Frühlingserwachen in Grünau preiszugeben. Er gehört zu jenen Ur-Grünauern, die das industriell hochgezogene Wohnquartier noch aus der ganz frühen Zeit kennen, als es eine einzige Schlammwüste war. Eine begehrte Schlammwüste, weil die Stadt Leipzig hier in einem der größten Neubaukomplexe der DDR versuchte, das selbst verschuldete Wohnungsdilemma zu lösen. In den 1970er Jahren machte sich stadtweit bemerkbar, dass es nie gelungen war, die Kriegsverluste an Wohnsubstanz wirklich auszugleichen. Und gleichzeitig hatte man die Kapazitäten für die Sanierung und Renovierung der Häuser durch lauter Verstaatlichungsaktionen und bürokratische Zentralplanung zerstört. Die verbliebene Wohnsubstanz im Gründerzeitbestand begann zusehends zu marodieren. Und andererseits stiegen die Bedürfnisse nach modernem Wohnkomfort vom WC bis zur Zentralheizung.

Logisch, dass die Wohnungen in Grünau, die ab 1976 aus dem Schlamm gestampft wurden, heiß begehrt waren. Über 100.000 sollten entstehen. Noch 1989 war Grünau eine Baustelle, auch wenn schon 85.000 Leipziger und (nicht zu vergessen) auch Menschen aus den vom Kohlebergbau devastierten Dörfern hier eine Wohnung gefunden hatten.

Die „Wende“ sorgte für das Ende von Phase 1. Fortan verließen tausende Grünauer den Stadtteil, die meisten in den frühen 1990er Jahren. Denn mit dem Zusammenbruch der Leipziger Industrie waren hunderttausende Arbeitsplätze verloren gegangen. Wer eine ordentliche Ausbildung hatte, packte Kind, Koffer und Kegel und versuchte im Westen einen Neuanfang.

Das traf Grünau besonders heftig, weil der Stadtteil vor allem durch eine junge Bewohnerschaft mitten im Berufsleben geprägt war.

Doch der Wegzug veränderte die Stimmung – und die Einstellung der städtischen Öffentlichkeit zu Grünau. Die Bevölkerungszahl sank auf rund 36.000. Für die üblichen Skandal-Medien wurde Grünau zum Problemstadtteil. Und zwar früh: Der Grünauer Kultursommer wurde ja 1996 vor allem deshalb aus der Taufe gehoben, um diesem falschen medialen Image etwas entgegenzusetzen.

Das hätte von allein nicht funktioniert, wenn die Stadt das Gebiet nicht frühzeitig zum Fördergebiet im Stadtumbau gemacht hätte. Seit 2005 zum Beispiel läuft in Grünau das Förderprogramm „Soziale Stadt“. Das soll eine Fortsetzung finden, weiß  Juliana Pantzer, die als Gebietsverantwortliche für Grünau im Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung tätig ist. Es gibt also keinen Programmabbruch. Hausabbruch schon: 2016 wird in der Liliensteinstraße noch ein Wohnblock abgerissen. Der Vertrag dazu ist praktisch uralt und konnte 2014, als der Leipziger Stadtrat endlich ein Ende der Förderung für Gebäudeabrisse in Grünau beschloss, nicht mehr revidiert werden.

Aber auch die Zeit des Bangens und Zagens geht zu Ende, auch wenn  Juliana Pantzer noch nicht von einer Trendwende sprechen möchte. Die Zahlen sprechen für sich: 2013 hatte Grünau mit seinen großen Wohnblöcken noch 39.150 Einwohner, 2014 waren es schon 39.690 und 2015 dann 40.339. „Neben dem Leipziger Osten gehört Grünau heute zu den am stärksten wachsenden Wohnvierteln in Leipzig“, sagt Dorothee Dubrau.

Damit geht auch die Zeit zu Ende, in der Grünau als reiner Wohnort für Senioren, Arme und sozial Schwache galt. Auch diese Großwohnsiedlung, die noch vor 15 Jahren als kompletter Abrisskandidat galt, ist längst vom Leipziger Bevölkerungswachstum erfasst worden. Innerstädtische Quartiere sind längst voll. Wer preiswerte Wohnungen sucht, wird deshalb eher in Grünau noch fündig, wo es derzeit noch eine Leerstandsquote von 13 Prozent gibt. Und zwar über alle verbliebenen 27.000 Wohnungen. Zentrale, gut sanierte Blöcke, haben aber schon seit Jahren Komplettbelegung. Denn auch Grünau entwickelt sich mit unterschiedlichem Tempo: Mitte und Ost sind besser angebunden, haben bessere Nahversorgungen. Leerstandsprobleme gab es lange vor allem im Norden und Westen. Aber auch das ändert sich. An der Zschampertaue baut die Lipsia, die in Grünau schon längst den Vorreiter macht auch für moderne, komfortablere Wohnanlagen. Die kosten zwar mehr. Aber die Wohnungen sind gefragt.

Und das wird an all den Stellen, an denen in den letzten Jahren rund 7.700 Wohnungen abgerissen wurden, genauso kommen. „Grünau wird noch dichter bebaut werden als vorher“, sagt Dubrau. Es wird gar nicht anders gehen, wenn Leipzig das enorme Bevölkerungswachstum hinlegt, wie es die Leipziger Statistiker ausgerechnet haben, mit 720.000 Einwohnern im Jahr 2030. Da tut die Stadt auch gut daran, alle Kindertagesstätten und Schulen in Grünau zu revitalisieren. Oder gar neue zu bauen. Integration steht jetzt schon ganz oben auf der Arbeitsliste, denn Grünau hat einen Großteil der Leipziger Flüchtlinge und Asylbewerber aufgenommen.

Deshalb müssen auch soziale und kulturelle Strukturen gestärkt werden. Einiges ist ja schon passiert – und hat wesentlich zur Aufwertung beigetragen – wie der Bau der Grünauer Welle und des Theatriums. Zukunftsmusik ist noch der von der Stadt gewünschte Bildungscampus an der Stuttgarter Allee. Insgesamt sind bislang 75 Millionen Euro an Städtebaufördermitteln nach Grünau geflossen.

21. Mai: „Tag der Städtebauförderung“ in Grünau

Und weil in Grünau derzeit am besten sichtbar wird, wie sich nun die wieder wachsende Stadt verändert, hat die Stadt den diesjährigen „Tag der Städtebauförderung“ (der 2015 das erste Mal im Leipziger Westen stattfand) nach Grünau platziert.

In Leipzig steht er dieses Jahr unter dem Motto „Stadterneuerung on Tour – Leipzig-Grünau“ Bereits am Vorabend, am 20. Mai, bietet ein Erbauerstammtisch im Komm-Haus die Gelegenheit, mit den Erbauern ins Gespräch zu kommen. Den Auftakt gibt es dann am 21. Mai, 14 Uhr, im Stadtteilladen mit Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau. Bis 17 Uhr werden Vorträge, Ausstellungen und Aktionen die Aspekte und Herausforderungen der Stadtentwicklung thematisieren. Ebenso werden ein Rundgang und eine Radtour angeboten, und die sechs in Grünau neu entstandenen Stationen des 2015 im Leipziger Westen begründeten Geocachingpfad zur Stadterneuerung und Städtebauförderung können angelaufen werden. Auch eine „filmische Zeitreise“ und Radwanderkino am Abend sind im Angebot.

40 Jahre Grünau: die Jubiläumswoche

Jeder Tag der Festwoche vom 1. bis 5. Juni, die unter dem Motto „40 Jahre Grünau – ein Stadtteil, der verbindet“ steht, hat ein eigenes Thema. Am 1. Juni, der zugleich Tag der Grundsteinlegung und Kindertag ist, heißt es „Grünau feiert“. 10 Uhr steigen am Denkmal der Grundsteinlegung in der Gärtnerstraße bunte Luftballons auf. Um 11 Uhr gibt es einen Festakt mit Oberbürgermeister Burkhard Jung im Theatrium und 14 Uhr feiern Groß und Klein gemeinsam auf der Ratzelwiese. 19 Uhr gibt es im Komm-Haus einen Talk mit Chris Doerk, anschließend läuft der Film „Heißer Sommer“ (1968), mit dem die DEFA-Filmreihe „Nahaufnahme Plattenbau“ vom 8. bis 29. 6. im Cineplex eröffnet wird. Mit „Grünau singt“ ist der 2. Juni überschrieben. Von 15 bis 19 Uhr musizieren Grünauer Chöre auf der Ratzelwiese im Festzelt. „Grünau bewegt sich“ ist das Motto des 3. Juni mit viel Sport für alle Altersklassen. Am 4. Juni heißt es „Grünau tanzt“ mit Aktionen zum Anschauen und Mitmachen, und der 5. Juni steht unter der Devise „Grünau trifft sich“: ein ökumenischer Gottesdienst der Gemeinden Paulus und St. Martin in der Pauluskirche beschließt den Geburtstagsmarathon.

In eigener Sache

Jetzt bis 13. Mai (23:59 Uhr) für 49,50 Euro im Jahr die L-IZ.de & die LEIPZIGER ZEITUNG zusammen abonnieren, Prämien, wie zB. T-Shirts von den „Hooligans Gegen Satzbau“, Schwarwels neues Karikaturenbuch & den Film „Leipzig von oben“ oder den Krimi „Trauma“ aus dem fhl Verlag abstauben. Einige Argumente, um Unterstützer von lokalem Journalismus zu werden, gibt es hier.

Ãœberzeugt? Dann hier lang zu einem Abo …

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar