Eigentlich hätte man schon ein bisschen Tamtam erwartet, wenn nach 113 Jahren eine beliebte Straßenbahnlinie eingestellt wird. Am heutigen 27. November um 23:45 Uhr fährt die letzte Bahn los am Connewitz-Kreuz Richtung-Markkleeberg-West. Und nur ein paar handgefertigte Schilder in den Bahnen erinnern die Fahrgäste daran, das jetzt finito ist.

Wahrscheinlich von den Fahrern selbst ausgedruckt, die hier auf Tour sind und ebenso wie die Connewitzer mit Unverständnis auf eine Entscheidung reagieren, die die ganze Unsinnigkeit der Verkehrspolitik im Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV) sichtbar macht. Verbund wie Verbundplatte – aber nicht wie “abgestimmtes ÖPNV-Konzept”.

Auch die Leipziger Verkehrsbetriebe haben mehrfach betont, dass die Einstellung der Linie 9 aus ihrer Sicht nicht hätte geschehen müssen. Selbst die Fahrgastzahlen nach Eröffnung der Mitteldeutschen S-Bahn 2013 sind keineswegs so zurückgegangen, wie das mal 2009 gedacht gewesen war – ein Minus von 23 Prozent im Markkleeberger Teil und eines von 16 Prozent auf dem ganzen Streckenast belegen nicht wirklich, dass die parallele Führung der Linie 9 zur S-Bahn hier überflüssig gewesen wäre.

Deswegen fährt ab Samstag, 28. November, auch der Bus Nr. 70 auf der Linie.

Die Nr. 9 fährt dann zur Klemmstraße, wird auch nicht mehr nach Markkleeberg-West fahren können, weil vor allem die Oberleitungen und Teile der Gleise in den vergangenen zehn Jahren auf Verschleiß gefahren wurden.

Der Freistaat Sachsen aber hat jeder Nachfrage nach möglichen Fördermitteln für eine Modernisierung auf dem Streckenast eine Absage erteilt. Ein eigenes Thema.

Dabei haben die Leipziger und die Gautzscher jahrzehntelang daran gearbeitet, hier eine ordentliche Verbindung auf die Beine zu kriegen.

Bis 1822 / 23 war der Weg von Connewitz nach Gautzsch hochwassergefährdet und entsprechend schlecht befahrbar. Dann wurde die Straße kräftig aufgeschüttet mit einem Damm, der heute noch zu sehen ist. Aus der Landstraße wurde eine formidable Chaussee und ab 1896, als die Straßenbahn bis Connewitz geführt wurde (Stichwort: Simildenstraße), war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch nach Gautzsch eine Straßenbahn fahren würde.

Dafür gründete sich 1900 extra eine dritte Leipziger Straßenbahngesellschaft, die “Leipziger Außenbahn”, die seinerzeit alle größeren Ortschaften im Umfeld von Leipzig mit Straßenbahnverbindungen ansteuerte. Das Symbol für die Straßenbahn nach Gautzsch war ein Stern – deswegen wurde sie auch Sternbahn genannt.

Am 16. Mai 1902 fuhr sie zum ersten Mal und war in flottem Tempo auf der Koburger Straße unterwegs, wo sie mit Pferdefuhrwerken und Reitern konkurrierte.

Wer also noch einmal mit der Tram zum Forsthaus Raschwitz oder gar bis Markkleeberg-West fahren will, sollte es heute tun. Alle 10 Minuten fährt eine Bahn.

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Es gibt 2 Kommentare

>Auch die Leipziger Verkehrsbetriebe haben mehrfach betont, dass die Einstellung der Linie 9 aus ihrer Sicht nicht hätte geschehen müssen.

Eher: mehrfach vorgelogen. Die LVB haben den Streckenast gezielt verrotten lassen. Es war ein offenes Geheimnis, dass die LVB die Linie 9 dort loswerden wollten.

Nun ist es vorbei. Eine Straßenbahn kommt ganz lange nicht wieder. Nicht nur wegen des Geldes, sondern auch, weil nach Wegfall des Bestandschutzes der Naturschutz greift.

Die Grünen haben völlig versagt. Der Stadtrat wurde von den LVB und der Stadtverwaltung hintergangen.

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