Gut Ding will Weile haben. Auch ein neuer Fluss, der wieder Wasser in die Burgaue bringen soll. Am Mittwoch, 4. November, informierte der NABU Leipzig im Naturkundemuseum über den Stand der Planungen. Während nördlich der Neuen Luppe schon ab Dezember gebaut werden kann, wird es südlich davon noch dauern bis 2018 / 2019.
Dass es nicht leicht werden würde, war schon 2014 deutlich. Wie baut man einen neuen Fluss durch ein Gebiet, das seit über 80 Jahren trocken liegt? Es gibt zwar noch einzelne kleine Bäche und Gruben. Von den einst dominierenden Fließgewässern zeugen aber meist nur noch Mulden im Auwald, da und dort ein nasser Altarm und noch viel öfter abgeschnittene oder sogar verfüllte Altgräben. Der Bau der Neuen Luppe ab 1934 hat das einst hoch komplexe Gewässersystem im nordwestlichen Leipziger Auwald gründlich verändert und nachhaltig geschädigt.
Der schlimmste Schaden macht sich beim Grundwasser bemerkbar: Die tief eingeschnittene Neue Luppe wirkt wie ein Trichter, in den das Wasser aus den höher gelegenen Auwaldbereichen abläuft. In gesunden Auwäldern ist der Grundwasserstand in der Regel schon einen halben Meter unter der Oberfläche zu finden. Doch heute liegt er im Schnitt im ganzen Bereich um 2 bis 3 Meter unter der Oberfläche. Das Ergebnis ist eine immer schnellere Verwandlung der einstmals wasserreichen Auwaldbiotope in Trockenwald. Ablesbar am raschen Vordringen der Ahornbäume. Wo diese auftauchen, hat man das beste Zeichen vor Augen, dass die Aue austrocknet.
Eigentlich dürfte das nicht sein. Die gesamte Leipziger Elsteraue ist Landschaftsschutzgebiet. Hier müsste eigentlich alles getan werden, die gesamte Aue wieder den natürlichen Überschwemmungen zu öffnen, alte Fließgewässer zu revitalisieren und die gröbsten Bausünden zu beseitigen. Dazu gehören neben den vielen Deichverbauungen auch die künstlichen Mäander der Neuen Luppe.
Aber das ist bei der aktuellen Landespolitik ein absolutes No go. Der Freistaat bekennt sich zwar immer gern vollmundig zu seinen Landschaftsschutzgebieten. Aber gerade in der Leipziger Nordwestaue wird sichtbar, wie schwer sich das Land tut, bei der Rettung der Auenlandschaften einen Beitrag zu leisten.
Das Projekt Lebendige Luppe kann nur in Teilen dazu verhelfen, einige Bereiche des Auwaldes wieder besser mit Wasser zu versorgen. “Das Gesamtproblem lösen kann es nicht”, sagte Angela Zábojník, zuständige Abteilungsleiterin aus dem Amt für Stadtgrün und Gewässer, am Mittwoch. Ihr Part war im Wesentlichen der Bau eines neuen Flusslaufs im südlichen Teil der Nordwestaue. 2014 ging auch das Amt für Stadtgrün und Gewässer noch davon aus, dass man das relativ saubere Wasser aus der Kleinen Luppe entnehmen könnte und dann durch alte Fließverläufe südlich von Kleiner Luppe und Nahle in die Burgaue bekäme, um dann über alte Luppeverläufe bis ans Luppewildbett auf dem benachbarten Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt zu gelangen. Schon damals war klar, dass es dabei viele Hürden zu umschiffen gilt: Vor allem wertvolle Standorte seltener Pflanzen und Tierarten sollten vermieden werden. Andererseits sollten die gewählten Fließverläufe alle wesentlichen Teile der noch existierenden Hartholzaue verbinden.
Welche Varianten dabei überhaupt machbar wären, ist seit dem Frühjahr Thema komplexer Simulationen in Zusammenarbeit mit den Wasserexperten der HTWK. Dabei wurde auch simuliert, was mit dem Grundwasser passiert, wenn man Wasser in den neuen Flusslauf einspeist. Schon eine geringe Einspeisung von 0,5 Kubikmeter je Sekunde würde den Grundwasserspiegel leicht anheben. Bei einer Wunscheinspeisung von 2,7 Kubikmeter wären die Effekte sogar in großen Teilen der Aue zu spüren. Aber man hat auch mal die Einspeisung von 5 Kubikmetern pro Sekunde getestet – das, was bei kleinen Winterhochwassern als Überschwemmung in die Aue soll.
Aber da war der Anstieg des Grundwasserspiegels schon bis zur Wohnrandbebauung in Böhlitz-Ehrenberg zu merken. “Das ist dann wieder etwas, was wir nicht wollen”, benennt Angela Zábojník einen der Gründe dafür, warum man sich von der Idee verabschiedet hat, das Wasser aus der Kleinen Luppe zu nutzen. Man will nicht nur nicht riskieren, mit den kleinen jährlichen Überschwemmungen der Wohnbebauung zu nahe zu kommen, man will auch nicht der Alten Luppe direkt am Ortsrand von Böhlitz-Ehrenberg zu nahe kommen, einem Gewässer, das oft genug einem stinkenden Pfuhl gleicht und bislang auch unter Einleitungen vor allem aus der Landwirtschaft litt.
Und was man noch vermeidet, ist eine teure Unterführung der ICE-Strecke. Die wird ja ab 2018 in diesem Teilstück neu gebaut, die Stadt ist mit der Bahn auch in Abstimmung. Aber man spart zumindest ein aufwendigeres Brückenbauwerk, wenn man das Wasser gleich viel weiter westlich aus der Nahle nimmt.
Auch das ist jetzt erst einmal nur eine neue Vorzugsvariante. Man kann sich zwar schon gut ein entsprechendes Einlaufbauwerk kurz vorm Nahleauslassbauwerk vorstellen. Aber die Nahle hat dasselbe Problem wie die Neue Luppe: Sie liegt zu tief – rund 2 Meter unterm Auwaldniveau. Sie muss also vor dem Einlaufbauwerk deutlich angehoben werden. “Da sind wir noch in Überlegungen”, sagt Angela Zábojník. Denn der Partner, mit dem sie dazu immer reden muss, ist die Landestalsperrenverwaltung.
Und die hat ihr No go von Anfang an klar gemacht: Die Auwaldrevitalisierung darf auf keinen Fall den Hochwasserschutz beeinträchtigen. Ein altes Streitthema auch für die Umweltverbände, denn die gerade in den letzten Jahren neu gebauten und verstärkten Deiche und Bauwerke sind einer der wesentlichen Gründe dafür, dass es im Leipziger Auwald keine natürlichen Vernässungen mehr gibt. Hochwasser kommen nur noch in die Aue, wenn es – wie im Winter 2011 und im Juni 2013 Hochwassergefahr für die Stadt Leipzig gibt. Das ist in der Regel bei Hochwassern der Größenklasse HQ 100 oder 150 der Fall, also Hochwassern, wie sie üblicherweise nur alle 100 oder 150 Jahre auftreten.
Dann wird das Auslassbauwerk an der Nahle geöffnet und die Fluten rauschen mit 280 Kubikmetern pro Sekunde in die Aue. Mit entsprechenden Schäden an Vegetation und Bauwerken (und Auwaldkran). Das sind Ausnahmehochwasser, betont Angela Zábojník. Mit dem kleinen Einlauf an der Nahle aber will man die wesentlich häufigeren kleinen Hochwasser aus Schneeschmelze oder Starkregen in die Aue leiten. Das neue Flusssystem soll so durchlässig sein, dass die Vernässung tatsächlich nur (wie für die Aue typisch) für wenige Tage anhält und die Wassermengen (bis maximal 10 Kubikmeter je Sekunde) durch das aufnahmefähige neue Flusssystem auch relativ flott nach Sachsen-Anhalt ablaufen. Für kurze Zeit werden auch alte Gräben und Altarme wieder mit Wasser gefüllt, so dass auch Teile der Burgaue dann zeitweilig nicht mehr passierbar sind. Aber gerade damit würde der Auenwald wieder zu jenem zyklisch bewässerten Waldsystem, das so auch erst wieder seinen Artenreichtum entfalten kann.
Aber nicht nur die vorhandene Wohnbebauung am Auenrand engt die Spielräume ein, auf die Landwirtschaft muss Rücksicht genommen werden und auf die Forstwirtschaft auch. Als im Diskussionsprozess das Wort Bruchwald fiel, gab es das nächste No go – diesmal von den Sächsischen Staatsforsten, die Teile der Nordwestaue bewirtschaften.
Da kann man gespannt sein, ob 2016, 2017 auch der Freistaat mitspielt, wenn es an die konkreten Planungen geht. 2018 muss im Grunde mit dem Bau des 1. Bauabschnitts in der Burgaue begonnen werden – mit Bauschluss 2019, denn bis dahin nur stehen die Projektgelder für die “Lebendige Luppe” zur Verfügung. Um vom Pfingstanger weiter bis zum Luppewildbett zu kommen, fehlen dann noch zwei Bauabschnitte samt Finanzierung. Dazu wurde am Mittwoch zumindest formuliert, dass man für diesen Teil eigentlich eine tatkräftige Unterstützung des Freistaats erwartet. Das wäre nämlich die Chance, den großen Worten zum Landschaftsschutz auch mal Taten folgen zu lassen. 2025 soll der neue Fluss dann fertig sein und einen derzeit darbenden Teil des Leipziger Auwaldes wenigstens in größeren Teilen wieder als feuchte Aue erlebbar machen.
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