Alles hängt mit allem zusammen. Gerade in der Natur. Wenn es um den Leipziger Floßgraben geht, wird meist nur über den Eisvogel geredet. Nicht darüber, was er eigentlich für einen Lebensraum braucht und wovon er sich ernährt. Er ist ja kein Allesfresser wie das Europäische Hausschwein. Er braucht ein ganz spezielles Nahrungsangebot und deshalb auch einen besonderen Lebensraum. Andreas Liste erklärt es mal.
Eigentlich will er eher mahnen, dass die Stadt Leipzig endlich aufhört, die sensiblen Gewässer im Leipziger Auenwald immer weiter zu ertüchtigen für die Motorbootnutzung. Aber genau deshalb steht ja der geschützte Eisvogel so sehr im Zentrum der Debatte: Die Motorboote fahren genau durch seinen Lebensraum.
Im September wurden ja vom Leipziger Umweltdezernat die jüngsten Ergebnisse des Eisvogel-Monitorings vorgestellt; seit 2011 wird das von der Stadt Leipzig beauftragt. Der Arbeitskreis Hallesche Auenwälder zu Halle (Saale) e.V. (AHA) habe die Aussagen von Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal mit Interesse aufgenommen, erklärt Andreas Liste, Vorsitzender des AHA.
Im Rahmen des Monitorings, welches sowohl im Europäischen Vogelschutzgebiet (= Special protection area (SPA)-Gebiet) als auch am Floßgraben stattfindet, hat man in den Jahren 2014 und 2015 zwölf bzw. 18 Brutpaare im Stadtgebiet sowie im Jahr 2015 speziell im Floßgraben insgesamt acht Bruten an vier Revier-Standorten gezählt.
Diese Ergebnisse klingen nach Auffassung des AHA erfreulich, führen aber nicht zu den Schlussfolgerungen, die Leipzigs Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal geäußert habe, so Liste. Die Monitoring-Berichte sind nicht öffentlich zugänglich. Wissenschaftlich belastbare Aussagen zu Trends und Entwicklungen eines Tierbestandes könne man außerdem erst nach einem Beobachtungs- und Erfassungszeitraum von mindestens zehn Jahren machen, schätzt Liste ein. Dann weiß man erst, ob Populationen wirklich stabil sind, ob der Lebensraum genug Nahrung bietet und genug Tiere auch in harten Wintern überleben, um den Standort halten zu können. Ganz so sicher, wie die Zahl von 18 Brutpaaren suggeriert, ist das Eisvogel-Vorkommen im Leipziger Auenwald nämlich nicht.
“Richtigerweise führt Umweltbürgermeister Rosenthal die milden Winter an, welche zu einer Stabilisierung der Eisvogelbestände beigetragen haben. Daraus aber zu schlussfolgern, ‘dass die wassertouristische Nutzung im Rahmen der Allgemeinverfügung mit dem Artenschutz vereinbar ist’, ist nach Meinung des AHA sehr voreilig und unwissenschaftlich geschehen”, kommentiert Andreas Liste die Einschätzung Rosenthals. “Einen echten und nachhaltigen Schutz und Entwicklung der Eisvogelbestände kann nur auf der Basis eines Stopps aller wassertouristischen und wasserbaulichen Aktivitäten erfolgen. Zu letzterem zählen auch Krautungsarbeiten im Floßgraben. Dabei ist allgemein bekannt, dass Krautungsarbeiten massive und vielfältige Schäden im Gewässer zur Folge haben können. Dazu zählt zuallererst unter anderem die Beseitigung von Unterschlupfen von Fischen, Amphibien, Mollusken, Insekten und Spinnen. Zu jeder Jahreszeit benötigen diese Tiere diese Stätten, um sich vor Sonneneinstrahlung und Fraßfeinden zu schützen, zum Laichen sowie zum Überwintern. Von daher ist jede Jahreszeit dafür denkbar ungünstig geeignet.”
Diese Krautungen hatte die Landesdirektion Leipzig in diesem Jahr gerügt und untersagt. Denn sie schaffen ja nicht nur die Fahrrinne für Motorboote, sondern sie greifen direkt in den Lebensraum des Eisvogels ein.
Wie komplex das ist und wie sehr der Eisvogel von dem abhängt, was im Wasser wächst und schwimmt, das schildert Liste mal ein bisschen ausführlicher.
Denn die Beseitigung von Wasserpflanzen führt auch zum Verlust der Strömungsdiversität bzw. Erhöhung der Strömungsgeschwindigkeit, was zum schnelleren Transport von Sedimenten und somit zu Gewässereintiefungen führen kann.
“Ferner erhöht sich bei jeder Steigerung der Strömungsgeschwindigkeit im Sohlbereich die Gefahr des Verlustes z.B. von Beständen der Teich- und Malermuscheln. Dass es diese Muschelarten im Floßgraben geben muss, lässt sich daraus ableiten, dass es Nachweise zum Vorkommen des Bitterlings gibt. Die Rote-Liste-Fischart legt nämlich ihre Eier in das Atemloch der Muscheln ab. Nachdem sie sich in der Atemhöhle der Muschel entwickelt, den Dottersack aufgebraucht und die Größe von 11 Millimeter erreicht haben, verlassen sie ihren Brutraum”, erklärt Liste ein paar Zusammenhänge zum Leben am Grund des Floßgrabens.
Und wer dann die berühmteren Eisvogel-Bilder sieht, sieht den bunten Vogel zumeist mit einem kleinen Fisch im Schnabel – seiner Lieblingsspeise, dem Bitterling.
“Die Fische wiederum dienen unter anderem dem Eisvogel als Nahrung, welcher den Winter gut überstehen kann, wenn er keiner intensiveren Unruhe ausgesetzt ist”, kommentiert es Liste. “Insofern können Krautungsarbeiten in Gewässern zu massiven Beeinträchtigungen von Fauna, Flora, Fließverhalten und Morphologie führen. Dies widerspricht unter anderem den Anliegen der Wasserrahmenrichtlinie der EU (WRRL), welche der gewässerökologischen Verbesserung bzw. Aufwertung und dem Schutz des Lebensraumes Wasser dient. Dem gegenüber regelt die WRRL unter anderem ein Verschlechterungsverbot.”
Und so hängt auch alles, was die Planer und Steuerer in Leipzig und im Gewässerverbund tun und vorantreiben immer direkt mit den Lebensumständen der geschützten Arten im Auenwald zusammen. Und rein rechtlich gilt im SPA-Gebiet Leipziger Auenwald: Der Schutz der Artenvielfalt und ihrer Lebensräume hat Vorrang vor jedem kommerziellen Interesse. Und Tourismus ist nun einmal reines kommerzielles Interesse, auch wenn ein paar Leute etwas anderes erzählen.
Andreas Liste: “Aufgrund aller dieser Fakten und Tatsachen fordert der AHA die Stadt Leipzig auf, alle noch laufenden und in Planung befindlichen wassertouristischen und wasserbaulichen Arbeiten zu beenden bzw. zu unterlassen. Gleiches gilt für jegliche Pläne der Motorisierung des Fließgewässers und der nachfolgenden Pleiße, da die negativen gewässerökologischen Auswirkungen sich noch verheerender darstellen können. – Nur so kann die Stadt Leipzig ordnungsgemäß ihrer Aufgabe als zuständige untere Wasser- und Naturschutzbehörde nachkommen.”
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