Am 22. August tönte Leipzig Umweltbürgermeister in der LVZ: "Wir können nachweisen, dass sich die Eisvogel-Population wunderbar entwickelt.“ Eine Aussage, die nicht nur Wolfgang Stoiber, den Vorsitzenden des NuKla e.V., entsetzte. Auch beim NABU schüttelte man nur den Kopf, denn dem Nachwuchs des Eisvogels geht es gar nicht gut. Und die Durchfahrtzeiten werden auch nicht beachtet.
Und dazu kommt: Das Umweltamt will die Allgemeinverfügung jetzt schon aufheben, obwohl die Eisvogelaufzucht noch gar nicht beendet ist. Denn nicht nur die lange warme Saison hat die Brut beeinflusst – auch die massiven Störungen im Floßgraben in der Brutzeit haben den Rhythmus der Vögel durcheinandergebracht.
Die Stadtverwaltung spricht davon, dass sich die Allgemeinverfügung bewährt habe und die Eisvögel erfolgreich gebrütet hätten. Der NABU ist anderer Auffassung. Von einer erfolgreichen Brut könne man nur sprechen, wenn Jungvögel in der unter natürlichen Bedingungen zu erwartenden Anzahl auch tatsächlich flügge werden. Allein der Nachweis von Brutaktivitäten lasse eine solche Aussage nicht zu, verlange allerdings ernsthafte Schutzanstrengungen, um den Bruterfolg zu sichern. Doch die Bemühungen der Stadt Leipzig seien hier leider nicht ausreichend, findet der NABU.
Da muss man sich eigentlich nur während der Sperrzeit des Floßgrabens auf die Weiße Brücke stellen, wie es Wolfgang Stoiber getan hat. Der NuKLA wollte einfach mal wissen, ob denn die Zeitfenster wirklich so gut sind und eingehalten werden und die Kontrollen, von denen Rosenthal sprach, auch passieren. Nichts passiert. Niemand kontrolliert die Einhaltung der Sperrzeiten. Angler, Hundebesitzer, Bootsfahrer – ihnen allen ist die verhängte Sperrzeit – wie hier die Zeit von 18:00 bis 19:15 Uhr am 30. August – völlig schnuppe.
Nicht nur Stoiber wundert sich: “Da fragt man sich, wo sind die wirksamen Kontrollen des Umweltamtes?”
Dass die Naturschutzverbände dem zuständigen Bürgermeister beim Thema Floßgraben nicht mehr wirklich über den Weg trauen, hat ja seine Gründe. Via LVZ bestritt er ja sogar der übergeordneten Landesbehörde die Kompetenz, die Einhaltung der Naturschutzbelange am Floßgraben einschätzen zu können. Und er sagte: „Die erlaubten Zeitfenster für die Durchfahrten funktionieren. Sie haben sich bewährt und werden im Großen und Ganzen eingehalten.”
Was er mit “im Großen und Ganzen” meinte, hat er der LVZ nicht erklären müssen. Vielleicht meinte er wirklich, dass die meisten Bootsfahrer in den erlaubten Zeitfenstern fahren, die anderen eben nicht. Sanktionen? Gibt es keine.
“Dass es sich bei den immer wieder von den Naturschützern eingeforderten Bemühungen um die Kontrolle der Allgemeinverfügung zum Floßgraben nicht um bloße Schikane handelt, belegt auch der Fund eines verunglückten Eisvogels durch ein NABU-Mitglied vor wenigen Tagen. Der noch unerfahrene Jungvogel wurde offenbar durch Störungen am Jagen gehindert und war deshalb geschwächt und ausgehungert. Wahrscheinlich kollidierte er bei einer panischen Flucht mit einem Baum und wird jetzt vom NABU gesund gepflegt”, erzählt Stoiber.
Es sei nicht der einzige verunglückte Eisvogel in diesem Jahr, berichtet der NABU: “Wie bereits 2014 gab es auch in diesem Jahr mehrfach verunglückte Eisvögel in Leipzig.”
Am 1. September wurde am Floßgraben der letzte verunglückte, fast verhungerte Jung-Eisvogel gefunden. “Das Gewicht von nur 24,3 Gramm deutet darauf hin, dass er etwa zwei Tage nichts gefressen hat. Die Störungen am Floßgraben durch Freizeitnutzer sind für flügge Jungvögel nicht zu unterschätzen. Bei einem leichten Schädel-Hirn-Trauma erholt sich der Vogel meist in vier bis sechs Tagen. Für Tiere, die nicht gefunden werden, endet der Unfall aber tödlich, da sie entweder langsam und qualvoll verhungern oder von Katze, Marder oder anderen erbeutet werden”, erklärt dazu René Sievert vom NABU.
Die Wildvogelhilfe des NABU Leipzig pflegt solche Tiere gesund und entlässt sie wieder in die Freiheit. Diese Arbeit wird aus Spenden finanziert und erfolgt ehrenamtlich. Ein besserer Eisvogelschutz würde helfen, das Vogelleid zu vermeiden.
“Die Leipziger, insbesondere die zuständigen Behörden, sollten alles tun, um die herrlichen Tiere und ihren Lebensraum bestmöglich zu bewahren”, erklärt René Sievert. “Der NABU engagiert sich für eine nachhaltige, naturverträgliche Freizeitnutzung der Auwaldnatur und würde dafür gerne mit den Entscheidungsträgern zusammenarbeiten. Die Nutzung der Auwaldnatur muss im Einklang mit einem ganzjährigen Schutz des Lebensraums stehen.”
Das Tragische aber ist: Das eigene Umweltdezernat der Stadt Leipzig konterkariert die Arbeit der Naturschützer und sorgt mit fahrlässigen Äußerungen auch noch dafür, dass sich viele Bootsausflügler geradezu animiert fühlen, die geltenden Bestimmungen zu missachten.
“Dass in Leipzig immer wieder über die Frage diskutiert wird, ob eine gesetzlich geschützte Tierart in einem gesetzlich geschützten Lebensraum auch wirksam geschützt werden muss, ist nicht hinnehmbar”, sagt René Sievert. “Grundvoraussetzung für den erfolgreichen Eisvogelschutz ist der Erhalt ihrer intakten Lebensräume, wovon auch andere Tier- und Pflanzenarten sowie das Auenökosystem profitieren würden. Darauf sollten sich alle Nutzungs- und Schutzkonzepte konzentrieren. Der Eisvogel ist eine europaweit gefährdete Tierart. Dass er im Europäischen Vogelschutzgebiet Leipziger Auwald noch vergleichsweise gute Bedingungen vorfindet, ist erfreulich. Es ist notwendig, diese Bedingungen zu erhalten und weiter zu verbessern. Keinesfalls könnte eine gute Bestandsentwicklung Rechtfertigung für eine weitere Zerstörung der Lebensräume oder geringere Schutzbemühungen sein.”
Und auch die Ausweitung der Störungszeiten hat das Problem verschärft, nicht gemindert, wie Rosenthal behauptete.
“Der Floßgraben ist ein ökologisch sensibles Gewässer, ein nach deutschem und europäischem Naturschutzrecht geschützter Lebensraum, aber auch wassertouristisch stark genutzt. Um die hier brütenden Eisvögel zu schützen, hat die Stadt Leipzig für die Brutzeit die Nutzung mittels Allgemeinverfügung eingeschränkt. Verglichen mit dem Vorjahr wurden jedoch die erlaubten Öffnungszeiten deutlich ausgeweitet, was der Naturschutzbund NABU bereits zu Beginn der Brutsaison kritisiert hat”, so Sievert. “Das Amt für Umweltschutz hat nun mitgeteilt, dass die Floßgrabensperrung wieder aufgehoben wird, und zwar nicht erst Ende des Monats, sondern bereits am 5. September. Zur Begründung heißt es, dass die Brutsaison abgeschlossen ist.”
Nach dem Bundesnaturschutzgesetz ist es jedoch verboten, „wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören“. Der Schutz muss also keineswegs nur zur Brutsaison sichergestellt sein, sondern ganzjährig, stellt der NABU fest.
Die zahlreichen dokumentierten Störungen haben die Eisvogelbrut zwar nicht verhindert, jedoch ist der Bruterfolg gering. Da helfen auch vier Brutpaare nicht, wenn sie ihre Jungvögel aufgrund der Störungen einfach nicht groß kriegen.
“Im Floßgraben haben die Brutpaare vergleichsweise wenige Jungvögel, die flügge werden. Störungen kosten die Elterntiere wertvolle Energie, je öfter sie gestört werden, desto weniger können sie ihre Jungen füttern. Der geringe Bruterfolg deutet darauf hin, dass die Jagdbedingungen auch in diesem Jahr nicht optimal waren”, beschreibt Stoiber das Problem. “Gravierend sind auch die Störungen nach dem Flüggewerden. Die jungen, unerfahrenen Vögel werden bei der Jagd so oft gestört, dass sie aushungern. Bei panischen Fluchtmanövern können sie mit Bäumen oder Gebäuden kollidieren und sich schwer verletzen.”
Und trotzdem will das Umweltdezernat die Allgemeinverfügung schon am Wochenende aufheben und den Floßgraben wieder rund um die Uhr befahren lassen. Stoiber: “Die Aufhebung der Allgemeinverfügung zum jetzigen Zeitpunkt ist deshalb verfrüht und kann die Lage der Tiere erneut verschlechtern. Gerade die Jungvögel benötigen jetzt besonderen Schutz in ihren Lebensräumen.”
Jedes Boot im Floßgraben sowie Fußgänger am Ufer sind eine Störung. Entscheidend ist es, die Anzahl der Störungen auf ein ökologisch vertretbares Maß zu begrenzen, betont der NABU. Der NABU hat dazu zusammen mit den Naturschutzverbänden Ökolöwe, BUND, NuKLA und anderen Fachleuten mehrfach Gespräche angeboten und Lösungen vorgeschlagen.
“Leider ist die Stadtverwaltung darauf nicht eingegangen, so dass kein ökologisch nachhaltiges Nutzungskonzept für den Floßgraben existiert”, kommentiert René Sievert die Ignoranz der Leipziger Stadtverwaltung. “Stattdessen belegen Beobachtungen Leipziger Naturschützer, dass die Auflagen der Allgemeinverfügung immer wieder missachtet wurden. Der NABU fordert wirksame Kontrollen und Sanktionen bei Verstößen. Es gibt keinerlei Rechtfertigung für eine weitere Lockerung der Schutzbemühungen. Insbesondere müssen die Störungen durch Boote verringert werden. Außerdem benötigen die Eisvögel für die Jagd Ansitzwarten und möglichst klares Wasser. Leider werden zugunsten des Bootsverkehrs immer wieder solche Sitzwarten beseitigt, Bootsverkehr und Entkrautungsmaßnahmen für Fahrgastboote führen zu Trübungen und auch zu nachhaltigen Schäden an der Unterwasservegetation.”
Und was weiß die zuständige Verwaltung nun? Tut sie nur so, als sei alles in Ordnung?
“Der Verwaltung der Stadt Leipzig ist sehr wohl bekannt, dass durch Störungen im Zusammenhang mit Bootsverkehr, Anglern, Bikern, Hunden, Spaziergängern die Eisvogeleltern beim Jagen und Füttern gestört werden. Für die geschlüpften Jungvögel, die das Jagen erst lernen müssen, haben diese Störungen aber noch gravierendere Folgen, weil sie weniger Erfahrung und Kraftressourcen haben, die unter schwierigen Jagdbedingungen ein Überleben ermöglichen würden. Deshalb ist die Aufhebung der Allgemeinverfügung zum 5. September verfrüht. Außerdem ist ein ganzjähriger Lebensraumschutz notwendig”, kritisiert Wolfgang Stoiber die Sturheit, mit der das Umweltdezernat versucht, im südlichen Auwald die geltenden Naturschutzbestimmungen auszuhebeln.
Und das ist nicht neu. Das ist alles bekannt. Schon im März 2014 haben elf Umwelt-/Naturschutzverbände eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der ein Konzept für die maximale (Be)Nutzung des Floßgrabens aus fachlicher Sicht vorgeschlagen wurde. “Leider haben es der angeschriebene Oberbürgermeister und der Umweltbürgermeister der Stadt zu keinem Zeitpunkt für nötig gehalten, auf dieses Positionspapier überhaupt zu reagieren”, stellt Stoiber fest. “Nach wie vor stehen wir für Gespräche über ein naturverträgliches Nutzungskonzept zur Verfügung und fordern die Stadtverwaltung auf, dazu mit den Naturschutzverbänden zusammenzuarbeiten.”
Die gemeinsame Erklärung der Naturschutzverbände aus dem März 2014.
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