Nicht nur die üblichen "besorgten Bürger" oder einzelne Senioren sind ganz medienmächtig besorgt, wenn in ihrer Umgebung Veränderungen stattfinden und auf einmal neue Leute auftauchen. Da geht es augenscheinlich den Menschen wie den Leuten. Und so war es die Linke-Stadträtin Naomi Pia Witte, die besorgt bei der Stadtverwaltung anfragte, ob die Anwohner denn gefragt wurden, bevor die Wagenplatzleute an der Saalfelder Straße einen Mietvertrag bekamen.
Bis jetzt war ja der Jetze Wagenplätze e.V. am Karl-Heine-Kanal gleich am Jahrtausendfeld zu Hause, mehr oder weniger kritisch beäugt, weil er dabei auch einen Fußweg mit in Anspruch nahm, städtisches Gelände sowieso. Deswegen war ja auch die Stadtverwaltung gefragt, mit den Wagenleuten einen neuen Standort zu suchen, was auch im Leipziger Westen nicht ganz einfach ist. Denn nur wenige freie Grundstücke gehören wirklich noch der Stadt.
Doch irgendwie scheint man auch im Dunckerviertel in Lindenau in lauter Ängsten zu leben vor Menschen, die nicht dieselben Lebensweisen haben. Wer lebt denn schon im Bauwagen? Ist das denn überhaupt zugelassen? Selbst das deutsche Baurecht kennt so etwas nicht, obwohl es nicht erst seit gestern Menschen gibt, die die Lebensweise in einer kleinen Welt von Bauwagen vorziehen. Zwischen 30 und 40 Bauwagen gehören zu Jetze Wagenplätze e.V., der das Leben im Bauwagen auch gern mitten in der Großstadt möglich machen will. Was ja keineswegs ausschließt, dass der Wagenplatz ordentlich an Strom und Kanalisation angeschlossen ist, die Abfallentsorgung funktioniert, die Kinder zur Schule gehen und die Leute einer Arbeit nachgehen.
Manchmal wird ja auch von Parteien und Medien in Leipzig etwas anderes suggeriert. Und auch die Bewohner des Dunckerviertels haben eher Scheu, mal loszugehen und sich bei den Wagenleuten selbst zu informieren, wie das Leben so ist. Die einen wenden sich an die Zeitung und die tut dann gern so, als wären die Anwohner allesamt durch den Wind. Andere wenden sich an ihre Stadträte.
In gewisser Weise hat Naomi Pia Witte also stellvertretend gefragt. Und die Verwaltung war tatsächlich viel emsiger vor Ort, als es die öffentliche Diskussion suggeriert.
Tatsächlich hat die Stadt Leipzig mit Jetze Wagenplätze e. V. einen Mietvertrag über die Nutzung des Grundstücks Saalfelder Straße 42 abgeschlossen. Die Dauer des Vertrages ist für 10 Jahre vorgesehen mit zweijähriger Verlängerung, sofern keine Kündigung ausgesprochen wird.
“Wurden Bürger sowie Anlieger des Grundstückes (LWB, Volkssolidarität) vor Abschluss des Mietvertrages informiert bzw. in die Entscheidungsfindung mit einbezogen? Falls nein, warum nicht?”, wollte die Linke-Stadträtin wissen.
Aber die Antwort lautet nicht nein, sondern ja. “Die Anlieger (Sportverein, Gaststätte) wurden frühzeitig von den Vereinsmitgliedern angesprochen und das Vorhaben angekündigt. Unmittelbar nach Unterzeichnung des Mietvertrages wurde ein Informationsbrief an alle Anlieger / Nachbarn verschickt mit dem Hinweis des Stattfindens eines Tages der offenen Tür zum Zweck des Kennenlernens dieser Wohnform.”
Hätte also jeder Bewohner des Dunckerviertels hingehen, gucken und fragen können. Auch Naomi-Pia Witte, die sich jetzt besorgt zeigt, dass ausgerechnet der Wagenplatz die städtebauliche Entwicklung in Lindenau behindert, wo es doch nun knapp zwei Jahre lang darum ging, die städtebauliche Entwicklung auf dem Jahrtausendfeld nicht durch den Wagenplatz behindern zu lassen. Das erinnert schon irgendwie an eine Hasenjagd. Naomi Pia Witte: “Hält man es für eine gelungene Stadtentwicklung, wenn die Stadt im Zentrum eines Gebietes, das durch die städtische Wohnungsbaugesellschaft sowie private Investoren (Sozialzentrum der Volkssolidarität, perspektivisch am Lindenauer Hafen) durch Millioneninvestitionen aufgewertet wird, Grundstücksflächen für Wagenplätze vermietet?”
Das mit dem Lindenauer Hafen war dann schon ein geradezu großer geografischer Sprung.
Aber Leipzigs Verwaltung reagierte recht zurückhaltend und erklärte den Weg zur gar nicht einfachen Standortfindung: “Die Standortfindung alternativ für das Jahrtausendfeld war schwierig und erfolgte in Abstimmung mit dem Dezernat VI. Im Einzugsgebiet stand keine andere geeignete Fläche, die der Stadt Leipzig gehört, zur Verfügung. ”
Und dann zur Aufklärung für die etwas verlaufene Stadträtin: “Der Lindenauer Hafen grenzt nicht direkt an und eine weitere angrenzende Bebauung kann ausgeschlossen werden.”
Auch die LWB, der das Dunckerviertel gehört, wurde informiert.
“Von dieser Seite sieht man keine Beeinträchtigung des Wohnumfeldes durch den Wagenplatz”, betont die Verwaltung in ihrer Antwort. Wird dann aber – für eine Verwaltungsäußerung schon erstaunlich emotional – deutlich, was die Sicht der fragenden Stadträtin auf das Wohnen anderer Leute betrifft: “Es ist festzustellen, dass es zum vielschichtigen Wohnen in Häusern durchaus alternative Wohnformen gibt. Menschen, die sich dafür entscheiden, sollten nicht ausgegrenzt, sondern in das gesellschaftliche Leben einer Großstadt integriert werden können, sofern die öffentliche Ordnung nicht gefährdet wird.”
Ob sich die Linksfraktion besonders viele Freunde gerade im Leipziger Westen macht, der derzeit durch viele kleine und größere alternative Wohnprojekte geradezu aufblüht, darf bezweifelt werden. Eher schürt sie bei den jüngeren Wohnpionieren die berechtigte Angst, nun doch wieder vertrieben zu werden, weil die Alten und Ordentlichen ihre Ruhe und ihre geregelte Ordnung haben wollen.
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