Die Akteure um die für 1,3 Millionen Euro neu gebaute Haltestelle am Diakonissenhaus haben am Freitag, 21. August, auf ihre Weise gefeiert: mit einem großen Frühstück für die Bauarbeiter, die in den letzten Stunden noch einmal richtig rangeklotzt haben, um den geplanten Fertigstellungstermin zu halten. Denn ab dem heutigen Samstag, 22. August, gilt wieder "Freie Fahrt" in der Georg-Schwarz-Straße. Und man sollte auf seine Füße achten.
Das tun zwar die Meisten, die in der Regel mehr oder weniger lädiert oder bekümmert zum Diakonissenkrankenhaus unterwegs sind. Aber seit Freitag, 21. August, gibt es einen wirklich guten Grund, nach unten zu schauen. Zumindest auf der Nordseite der Straße. Denn zwischen den beiden Häusern Georg-Schwarz-Straße 64 und 66 liegt seit gestern eine Granitplatte. Eine besondere Granitplatte, denn sie trägt – fein getrennt durch einen sauberen Strich – die Namen der Ortsteile Lindenau und Leutzsch. Östlich liegt Lindenau, westlich liegt Leutzsch.
Und einer freut sich besonders: Pfarrer Dr. Michael Kühne, Geschäftsführer der Diakonissenkrankenhaus Leipzig GmbH. Er war es, als sich die drei Anstifter der neuen, barrierefreien Haltestelle mal wieder zusammensetzten, der sagte: “Das darf nicht so klein werden.”
Die drei Anstifter sind das Diakonissenkrankenhaus, die Leipziger Stadtbau AG (die nebenan das Brunnenviertel entwickelt) und der Lindenauer Stadtteilverein. Von letzterem kam die Idee, den Umbau der Haltestelle just auf der Grenze von Lindenau und Leutzsch zum Anlass zu nehmen, ein Stück Ortsgeschichte auch im Bürgersteig sichtbar zu machen. In A4-Größe. Aber das war Michael Kühne eindeutig zu klein. “Das muss groß werden”, sagte er. “Damit auch Kinder damit etwas anfangen können.”
Am Freitag, beim Vor-Ort-Termin, malte er das Bild noch ein wenig auf, sah er schon die Rabauken von Lindenau über die Linie springen und mit einem Hüpfer in Leutzsch landen. Oder – wie 1891 noch möglich – außerhalb der Stadt Leipzig. Denn Lindenau wurde damals schon eingemeindet, Leutzsch musste noch bis 1922 warten. Und just hier war die Flurgrenze der beiden alten Dörfer, die längst auf dem Weg waren, selber richtige Städte mit stolzem Rathaus zu werden. Das Leutzscher Rathaus in der Georg-Schwarz-Straße erzählt noch heute von der langen und stolzen Selbstständigkeit von Leutzsch. Und wer aufmerksam war, konnte auch vor dem Umbau der Haltestelle am Diako sehen, dass hier die Flurgrenzen zweier alter Gemeinden aufeinander stießen: Die Straße macht hier einen Knick und mitten im Verlauf des Bürgersteigs verändern sich die Breiten der Bordsteine – in Leutzsch sind sie breiter.
“In der Zippererstraße ist es genauso”, sagt Christina Weiß vom Stadtteilverein Lindenau. Und nur einer wiegt den Kopf, weil alles noch viel komplizierter ist: Roman Grabolle, der sich ganz tief in die Eingemeindungs- und Flurstückgeschichte der beiden benachbarten Ortsteile gekniet hat. Denn eigentlich lag die Flurgrenze früher mal etwas weiter westlich, gab es im Lauf der Zeit doch ein paar kleine Flurgrenzenverschiebungen.
“Aber ansonsten muss man sich wirklich vorstellen, dass hier mal irgendwas war, das die Grenze sichtbar machte”, sagt Grabolle. Die nur wenige Meter entfernte Prießnitzstraße hieß bis 1928 Grenzstraße und die Gaststätte nahebei hieß “Zur Grenze”. Möglich, so Christina Weiß, dass auch die Lindenauer hier früher ihren Umzug veranstalteten und guckten, ob alle Grenzsteine noch an der richtigen Stelle stehen. Heute ist das alles ein wenig aus der Erinnerung der Bewohner des Leipziger Westens verschwunden – viele von ihnen sind ja auch erst in den letzten Jahren hingezogen. Für sie macht die jetzt neu verlegte Granitplatte sichtbar, wo ungefähr einst die mittelalterlichen Flurgrenzen zwischen Lindenau und Leutzsch verliefen. Heute ist das zwar nicht mehr so wichtig, weil beide Ortsteile zu Leipzig gehören. Aber um sich heimisch zu fühlen, wollen eben doch viele Menschen wissen, welche Geschichte ihr Wohnort hat.
In der nächsten Woche soll auch auf der Südseite der Straße eine in gleicher Weise gestaltete Granitplatte verlegt werden. Auch sie ein Original von einem Leipziger Granitbelag mit dem markanten 180 bis 200 Millionen Jahre alten Material. Auf Lindenauer Seite der Georg-Schwarz-Straße lagen in der Vergangenheit solche Granitplatten. Das könnten also durchaus zwei Lindenauer Originale sein, die im Steinmetzbetrieb Müller & Bracker von Konrad Flemming beschriftet wurden.
Wer noch mehr wissen möchte zur Geschichte der Georg-Schwarz-Straße, kann bis Ende September eine Ausstellung mit großen Informationstafeln dazu im Diakonissenkrankenhaus besichtigen. Darunter sind auch zwei Tafeln, die sich extra mit den Flurgrenzen von Leutzsch und Lindenau beschäftigen – auch fürs Diako ein interessantes Thema, denn ein Teil der Gebäude steht auf einst Leutzscher Flur. Und bestimmt kann man bald lauter unruhige Mütter an der Haltestelle stehen sehen, die verzweifelt versuchen, ihre Kinder zur Raison zu rufen, die mit Begeisterung von Leutzsch nach Lindenau springen und wieder zurück.
Und irgendwie war am Freitag auch herauszuhören, dass es in anderen Ortsteilen wie Reudnitz und Eutritzsch ganz ähnlichen Bedarf an solchen markanten Granitplatten gibt. Denn auch dort haben sich Ortsteil-, Wahlkreis- und Schulbezirksgrenzen mittlerweile so oft geändert, dass viele Leute gar nicht mehr wissen, wo sie eigentlich wohnen – noch in Eutritzsch oder schon in Gohlis? Noch in Reudnitz oder schon in Neuschönefeld?
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