Mit dieser Stellungnahme tut sich Leipzigs Verwaltung tatsächlich keinen Gefallen: Mit einer ganzen Kaskade von Argumenten versucht sie, den Antrag der Linksfraktion, einen Teil der Lützner Straße nach Raymond J. Bowmann zu benennen, vom Tisch zu fegen. Aber die Argumente sind mehr als hanebüchen. Selbst Bowmans Vorgesetzter muss herhalten, um ihm die Ehrung zu verweigern.
Die Linksfraktion jedenfalls reagiert sogar mit Bestürzung auf die Ablehnung. Vor allem, weil keines der vorgebrachten Argumente wirklich irgendeinen Sinn ergibt.
Selbst Siegfried Schlegel, der schon Einiges gewohnte Stadtrat der Linken, der auch in der Arbeitsgruppe Straßenbenennung mitarbeitet, kann nur den Kopf schütteln über die Stellungnahme: “Die Begründung ist halbherzig, wonach die Befreiung Leipzigs durch US-amerikanische Armeeeinheiten am 18. April 1945 ein außerordentlich bedeutsames Ereignis bleibender Erinnerung bedarf, dem aber mit der Benennung einer Straße nach Emil Reinhardt, Generalmajor und Kommandant der 69. US-Infanteriedivision, genügend Rechnung getragen wird. Nach der Einnahme Leipzigs hisste er die US-Flagge auf dem Neuen Rathaus bzw. ließ diese hissen. Selbst die allergrößten Heerführer wären nicht das, was sie waren, wenn es nicht den heldenhaften Mut der einfachen Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere gäbe. Sie setzten ständig ihre Leben ein und bezahlten mit diesen – wie Raymond J. Bowman.”
Mittlerweile dürfte der Gefreite Raymond J. Bowmann, dessen Tod auf Robert Capas Foto “Der letzte Tote des Krieges” gezeigt wird, in Leipzig um einiges berühmter sein als sein Vorgesetzter Emil Reinhardt. Die Würdigung des einen gegen die Würdigung des anderen auszuspielen, das hat schon einen gewissen Beigeschmack. Vor allem, weil kaum jemand, der in einer abgelegenen Ecke von Sellerhausen die Reinhardtstraße findet, auf die Idee kommen wird, hier einen amerikanischen Generalmajor vor sich zu haben, dessen Würdigung mit der Befreiung Leipzigs zusammenhängt. Das liegt wieder an dem seltsamen Verfahren der Stadt, Vornamen und Berufsbezeichnungen auf Straßenschildern möglichst wegzulassen, so wie gerade auch um die (Pfarrer Johannes) Paulstraße diskutiert.
Bei Trufanow und Prendel wissen die Leipziger zwar, dass es um ehemalige Stadtkommandanten geht – aber den Titel Kommandant durften beide behalten.
Beim nächsten Argument fasst sich Siegfried Schlegel sogar an den Kopf: Kann man in Amtsstuben wirklich so verquer denken? – “Fragwürdig erscheint die sachliche Begründung, wonach der vorgeschlagene Straßenabschnitt der Lützner Straße sich zwar unmittelbar am Ort des Geschehens befindet, jedoch keinen historischen Bezug hat, weil dieser erst zwischen 1973 und 1975 angelegt wurde.”
Was ja im Fall des erst 1975 angelegten Ostteils der Lützner Straße sogar ein Vorteil ist, wie Schlegel betont: “Der Antrag berücksichtigt das berechtigte Anliegen, möglichst keine Benennungen von Straßenabschnitten vorzunehmen, wo es bereits Anwohner oder Firmenanschriften gibt, da dies für die Betroffenen zusätzliche Kosten und Aufwendungen zur Folge hätte. Der betreffende Straßenabschnitt südlich des Capa-Hauses (Jahnallee 61) zwischen Jahnallee und Lützner Straße wurde zur Entlastung der Haltestelle am Straßenbahnhof Angerbrücke gebaut. Ursprünglich begann die Lützner Straße erst ab dem Abzweig der Zschocherschen Straße.”
Und dann war da noch das Argument, eine namentliche Zerstückelung der Bundesstraße 87 sei gar nicht gut.
Siegfried Schlegel: “Restlos absurd ist die ablehnende Begründung, weil damit flächendeckend die namentliche Zerstückelung in Leipzig eingeführt würde. Mit dem vollständigen Ringschluss der Autobahnen im Jahr 2006 haben die Bundesstraßen in Leipzig endgültig ihre Bedeutung als Durchgangsstraßen verloren. Abgesehen davon, dass die B 87 sich im Zickzack durch das Stadtgebiet schlängelt und schon heute 13 (!) Straßenbezeichnungen besitzt, wird die Trassenführung auf der Lützner Straße sogar durch vier anders benannte Straßen unterbrochen. Auch stellt sich die Frage, warum die Bundesstraßen nur noch auf großformatigen Hinweistafeln in großen Abständen statt wie früher auf ergänzenden Hinweisschildern zu den Straßenschildern, angegeben werden.”
Für Schlegel ist die Straßenbenennung direkt am Capa-Haus die einmalige Chance, auch mal einen der einfachen, sonst meist namenlosen Soldaten der alliierten Befreiungstruppen zu ehren. Generäle bekommen allerorten ihre Orden und Erinnerungstafeln – dass Leipzigs Befreiung aber so eng mit einem durch Capas Foto namhaft gewordenen Soldaten der US-Armee zusammenhängt, das ließe sich hier auf einmalige Weise auch im Straßenbild zeigen. Ganz abgesehen von den Würdigungen, die am und im Capa-Haus geplant sind.
“Nach dem Erhalt des Gebäudes und der Ehrung des Fotografen Robert Capa gilt es nunmehr, auch den Soldaten Raymond J. Bowman zu ehren, ‘dessen Tod durch einen Heckenschützen am 18. April 1945 die ganze Tragik des Krieges zeigt’, wie es in einer Presseveröffentlichung kürzlich hieß”, betont Schlegel. “Wir wollen 70 Jahre nach der Befreiung Leipzigs für die heutige und künftige Generationen die Erinnerung an die Befreiung Leipzigs durch US-Truppen wach halten und die alliierten Befreier Leipzigs würdig ehren. Dafür kann man nicht genug tun.”
Zum Nachlesen:
Die Stellungnahme der Stadt zum Antrag der Linksfraktion
“Die beantragte Umbenennung des Abschnittes der Lützner Straße zwischen Jahnallee und Zschochersche Straße wird abgelehnt.
Zweifelsohne stellt die Befreiung Leipzigs von der nationalsozialistischen Herrschaft durch amerikanische Armeeeinheiten am 18. April 1945 ein außerordentlich bedeutsames Ereignis in der Stadtgeschichte dar, das bleibender Erinnerung bedarf.
An die Befreiung erinnert seit 2001 die Reinhardtstraße. Sie ist nach Emil Reinhardt, Generalmajor und Kommandant der 69. US-Infanteriedivision benannt, der zum Zeichen der Einnahme der Stadt Leipzig die amerikanische Flagge auf dem Neuen Rathaus hisste. Die Reinhardtstraße korrespondiert mit der Trufanowstraße, die nach dem späteren sowjetischen Stadtkommandanten benannt ist. An die Befreiung durch amerikanische Truppen wird des Weiteren seit 2011 mit einer Gedenktafel am Gebäude „Runde Ecke“ erinnert. In dem Gebäude hatten die Alliierte Militärregierung und das Hauptquartier des VII. US-Armee-Korps bis Juni 1945 ihren Sitz. In der „Runden Ecke“ erinnert zudem seit April 2015 die Ausstellung „Zwei mal befreit? – Leipzig unter amerikanischer und sowjetischer Besatzung“ an den Aufbau einer demokratischen Stadtverwaltung und Stadtgesellschaft während der Zeit der amerikanischen Besatzung.
Die am 18. April 1945 im Haus Jahnallee 61 stattgefundenen Kampfhandlungen und der dabei getötete Soldat Raymond J. Bowman haben aufgrund der vom Kriegsberichterstatter Robert Capa angefertigten fotografischen Dokumentation und deren Veröffentlichung im Nachrichtenmagazin LIFE im Mai 1945 eine besondere und traurige Bekanntheit erlangt. Die Capa-Fotos werden seit 2011 in einer Dauerausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums gezeigt. Am 20. November 2014 wurde die dem Haus Jahnallee 61, das von den Leipzigern bereits „Capa-Haus“ genannt wird, gegenüberliegende Straße in Capastraße umbenannt. Das Gebäude Jahnallee 61 wird derzeit zusammen mit den angrenzenden Gebäuden Luppenstraße 26 und 28 saniert. Im Zuge der Wiederaufbereitung wird im Capa-Haus auch ein Café mit Gedenkraum und Museum, in dem Fotografien Capas gezeigt werden, eröffnen. Damit wird der historische Bezug und die Erinnerung an Robert Capa und Raymond J. Bowman vor dem Vergessen bewahrt. Sofern zusätzlich noch eine explizite Erinnerung an Raymond Bowman J. gewünscht wird, wird empfohlen, am Capa-Haus eine Gedenktafel anzubringen.
Zwar zeichnet sich der zur Umbenennung vorgeschlagene Straßenabschnitt der Lützner Straße durch seine unmittelbare Lage am Ort des Geschehens aus, hat jedoch keinen historischen Bezug, da er erst zwischen 1973 und 1975 angelegt wurde. Die Umbenennung wird auch abgelehnt, weil die namentliche Zerstückelung einer Bundesstraße (B87) als nicht zweckmäßig angesehen wird.”
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