Wenn Leipzigs Verwaltung eine Straße erneuert und dabei den Straßenraum neu aufteilt, dann ist Vorsicht angebracht. Denn oft genug liegen schon bei den Verkehrsplanern die Interessen über Kreuz. Wo die Leipziger eifrig über neue Verkehrskonzepte diskutieren, herrschen bei manchem Reißbrettnutzer noch die alten Erwartungen vor, müssen unbedingt auch genug Autos ihren Stell- und Schlafplatz finden.
Das tangiert auch den Radverkehr, aber eher nur beiläufig, stellt Alexander John vom ADFC Leipzig fest. Denn Radwege sind 2016 in der umzugestaltenden Braustraße gar nicht geplant. Dafür wird mindestens ein Fußweg so schmal, dass an Flanieren nicht zu denken ist. Und das wird er vor allem, weil auf der ganzen Straße einseitig Senkrecht-Parkplätze für insgesamt 77 Fahrzeuge geschaffen werden sollen. Das ist ein veritabler Parkplatz, stellt John fest. Und er kritisiert das falsche Etikett, mit dem das Verkehrs- und Tiefbauamt diesen ganz speziellen Umbau der Straße begründet.
In der zugehörigen Vorlage ist zu lesen: “Die Mobilitätsbedürfnisse der Stadt und ihrer Bewohner sind so zu bedienen, dass die Beeinträchtigung anderer städtischer Funktionen, die Gefährdung der Verkehrsteilnehmer und die Belastung der Umwelt minimiert werden. Dabei sind die unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnisse der Bewohner der innerstädtischen Wohngebiete und der Außenbereiche zu berücksichtigen. Der zur Umsetzung dieser Bedürfnisse notwendige Verkehrsaufwand soll durch verkehrssparsame Raumstrukturen (‘Stadt der kurzen Wege’) möglichst gering gehalten werden.”
“Das liest sich so schön, aber wie steht es um die Anwendung?”, fragt John. “Sehr sparsam mit dem öffentlichen Raum ist man zunächst für den Fußverkehr. Wie in der Härtelstraße oder der Inneren Lützner Straße, setzt man auch hier auf das Modell ‘schlanker Fuß’ und ‘Gänsemarsch’, Kinder an die Hand nehmen ist auch übelst out – Tipp: Bei Regen haben Menschen mit kleinen Regenschirmen bessere Chancen nicht an der Hauswand oder dem Gegenverkehr hängenzubleiben oder man läuft gleich auf der Fahrbahn, da stehen auch weniger Hindernisse.”
Der Sarkasmus ist unüberlesbar. Hier wird augenscheinlich ein nicht mehr aktuelles Verkehrsmodell für den Leipziger Süden umgesetzt.
Alexander John: “Absoluter Profiteur des Umbaus ist der Kfz-Verkehr. 77 PKW-Stellplätze sieht die Planung vor. Heute sind es ungefähr 30. Und schauen wir noch mal in die Planungsgrundsätze: Die Mobilitätsbedürfnisse der Bewohner sollen berücksichtigt werden, verkehrssparsame Raumstrukturen. Laut statistischem Quartalsbericht, dem System repräsentativer Verkehrsbefragung (SrV) und der kommunalen Bürgerumfragen wissen wir zumindest eines: Das Zufußgehen ist im Zentrum sehr ausgeprägt, der PKW-Bestand ist mit 303 je 1000 EinwohnerInnen im Zentrum Süd zwar nicht gering aber deutlich unter dem Stadtdurchschnitt (351).”
Das Fazit, das sich für ihn ergibt, ist deutlich: “Nun stellt man spätestens hier einen großen Widerspruch fest. Ein Gehweg, der fast nicht mehr da ist, ist ja wohl kaum attraktiver als ein breiter mit gelegentlichen Schadstellen.” Die logische Frage: “Für wen werden hier also die vielen PKW-Stellplätze auf Kosten des Fußverkehrs und im Widerspruch zur Zielstellung Modal Split gebaut?”
Eine mögliche Aufwertung dieser dicht an der Kneipenmeile der “KarLi” gelegenen Straße kann er aus den Planungsunterlagen nicht erkennen. Aber vielleicht ist genau das beabsichtigt: Parkraum für mögliche Kneipengäste auf der Karl-Liebknecht-Straße zu schaffen.
Dafür wird die Aufenthaltsqualität der Straße einfach abgeschafft. Das kann auch der sparsam verwendete “Dieter II” nicht ändern. Noch viel sparsamer wird mit Bäumen umgegangen. Und das in einer Stadt, die in heißen Sommern geradezu nach Schatten lechzt. Alexander John: “Dem ökologischen Aspekt versucht man mit fünf Bäumen gerecht zu werden. Das ergibt auf die Länge der Straße einen bescheidenen Grüntupfer und lässt die Kosten für Laubbeseitigung auf niedrigem Niveau.”
Seinen Beitrag hat er mit einer hübschen jungen Dame bebildert, die mit ihrem Stuhl einfach mal hinaus auf den Gehweg gezogen ist. Noch ist die Straße so angelegt, dass man hier Nachbarn und Leute treffen kann, wenn man will, und auch mal einen Prosecco in der Abendstunde genießen kann.
“Während man heute auf dem Gehweg auch mal mit Tisch und Stühlen zum Frühstücken Platz nehmen kann und somit auch soziale Interaktion im öffentlichen Raum haben kann, wird es nach dem Umbau wegen Platzmangel dergleichen nicht mehr geben können”, resümiert Alexander John. “Parkplätze dürfen in Deutschland leider nicht ohne Sondergenehmigung ‘besetzt’ werden. Die sozialen Anforderungen wird der neu gestaltete Raum nach aktuellen Plänen nicht erfüllen – es gibt ihn ja schlichtweg nicht mehr.”
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