Eigentlich war es keine Überraschung. Immerhin wurde der Zugverkehr zum Bayerischen Bahnhof schon 2001 eingestellt. Die direkten Tunnelbauarbeiten begannen hier 2005. Selbst als an der Tunnelstation "Bayerischer Bahnhof" noch emsig gebaut wurde, war südlich des Bahnhofs längst ungestörte Stille eingezogen. Etwas Seltenes im verdichteten Stadtgebiet von Leipzig. Ein Paradies für wilde Tiere.
Die groĂźe Brachfläche, die da entstanden ist und kĂĽnftig eines der wichtigsten Stadtentwicklungsgebiete werden wird, ist – so betont der Ă–kolöwe Leipzig – natĂĽrlich ein idealer Lebensraum fĂĽr seltene und bedrohte Arten wie Zauneidechse und Wechselkröte.
Schon im letzten Jahr entdeckte der Ökolöwe bei einem Besuch die seltenen Vorkommen und benachrichtigte die Untere Naturschutzbehörde sowie das Stadtplanungsamt. Die Untere Naturschutzbehörde ist das Amt für Umweltschutz der Stadt Leipzig.
Neben vielen auf der Roten Liste Deutschlands vorkommenden Tier- und Pflanzenarten konnte der Ă–kolöwe zwei nach deutschem und europäischem Recht streng geschĂĽtzte Tierarten ermitteln. So beobachteten Experten des Ă–kolöwen neben der Zauneidechse (Lacerta agilis), streng geschĂĽtzt nach Anhang IV FFH-Richtlinie, auch die selten anzutreffende Wechselkröte (Bufotes viridis). Heimisch geworden ist die Wechselkröte direkt hinter dem stadtseitigen Kopfbau, dem denkmalgeschĂĽtzten „Portikus“ des Bayerischen Bahnhofs. Einen beständigen Teich zum Laichen hat sie dort zwar nicht – aber in Bodenmulden entstand regelmäßig ein hĂĽbscher kleiner Wassergraben, ein “temporäres Laichgewässer”, wie es der Ă–kolöwe nennt.
Eigentlich hat die Stadt ja große Pläne für das Gebiet. Neben Wohnbebauung und auch einem kleinen Park sollte eigentlich auch ein Schulgebäude, möglicherweise auch eine Kita hier ihren Platz finden.
Doch einen Bebauungsplan für die Fläche hat die Stadt bislang nicht veröffentlicht.
“Trotzdem wurde das Gebiet nun samt Laichgewässer im Zuge von Bauarbeiten durch Unbekannte zerstört”, beschwert sich der Ă–kolöwe. Wahrscheinlich zu Recht. Denn wenn eine artenschutzrechtliche Meldung bei den zuständigen Ă„mtern der Stadt solche Folgen hat, dann läuft irgendetwas schief. Der Ă–kolöwe: “Scheinbar nebenbei wurden viele Gehölze im ganzen Gebiet gerodet.” Der Umweltverein zeigt sich auch aus einem anderen Grund verwundert, denn der Deutschen Bahn, dem Besitzer des Geländes direkt hinter dem Bahnhofsgebäude, war durch eigens in Auftrag gegebene Kartierungen schon vor der Zusendung der artenschutzrechtlichen Mitteilung an die Stadt bekannt, dass gefährdete und geschĂĽtzte Arten auf dem ehemaligen Bahngelände leben.
So geht das nicht. Auch nicht, wenn die Bahn noch immer eine Art Staatsbetrieb ist. Auch fĂĽr diese gelten keine anderen Regeln als fĂĽr Private.
Deshalb stellte der Ökolöwe nun eine Anzeige gegen unbekannt bei der Unteren Naturschutzbehörde, um auf die Artenschutzverstöße mit Biodiversitätsschäden auf dem Gelände hinter dem Bayerischen Bahnhof aufmerksam zu machen.
„Wir vertrauen und hoffen darauf, dass das Amt für Umweltschutz seine Aufgabe wahrnimmt und die Artenschutzverstöße ahndet“, sagt dazu Holger Seidemann vom Vorstand des Ökolöwen.
Dem Ökolöwen sei klar, dass es sich bei dem Gelände um das nähere Umfeld einer S-Bahnstation in der Mitte Leipzigs handelt. Und der Verein spricht sich in diesem Sinne auch für die teilweise Verdichtung im Stadtgebiet aus. Trotzdem müsse sich der Bauherr an die geltenden Artenschutz-Gesetze halten. Leipzigs Anteil an unbebauten Brachflächen schwinde zusehends und damit auch die Arten, die ganz speziell an diese Lebensraum-Nischen angepasst sind.
Spielräume, auch auf dem Areal hinter dem Bayerischen Bahnhof, Freiräume fĂĽr geschĂĽtzte Arten in einem sowieso vorgesehenen GrĂĽnbereich zu schaffen, gibt es genug. Die Aktion hinterm Portikus aber erzählt eher wieder die alte Geschichte von der “tabula rasa” als vorbeugende Beseitigung eines Tatbestands. Nur wird es genau an der Stelle knifflig, an der der GeländeeigentĂĽmer wusste, was sich in seinem Gelände befand. Da kann man jetzt gespannt sein, ob das Folgen hat. Oder ob man die Sache wieder aussitzt.
Vorstellbar ist ja auch, dass man hinterm Portikus dieselbe Englische-Rasen-Landschaft herstellen wollte wie davor. Aber auch mit der haben sich die Geländegestalter kein Ruhmesblatt verdient. Auch das ist eher eine Wechselkröten-Abschreck-Fläche geworden.
Der Ă–kolöwe hofft zumindest, dass zukĂĽnftig entsprechender Ausgleich fĂĽr die betroffenen Arten an anderer Stelle geschaffen wird – zum Beispiel im Leipziger Auwald.
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Die Stadtverwaltung ist eben einfach zu stark damit beschäftigt, Partikularinteressen zu bedienen. Diese Arbeit geht dann zu Lasten der Maßnahmen, die die Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien sicherstellen. Im übrigen ist die Haltung, die Natur als riesiges Materiallager zu betrachten, hienieden weiterhin sehr stark verbreitet. Danke an den Ökolöwen, der die erforderliche Unruhe einbringt und Sand ins falsch laufende Getriebe streut.