Da fühlte sich der Landtagsabgeordnete der Linken, Marco Böhme, aber gewaltig missverstanden, als er am Samstag, 11. April, die LVZ aufschlug und den Bericht zur vom Netzwerk Schlindewitz präsentierten Veranstaltung „Riecht es hier nach Mieterhöhung?“ am 9. April im Neuen Schauspiel Leipzig las. Irgendwer versteht da augenscheinlich nichts von Satire.

Dass das Netzwerk Schlindewitz (ein Wortkonstrukt aus Schleußig, Lindenau und Plagwitz) die Themen Gentrifizierung, Mieterhöhung, Luxussanierung und was der Erscheinungen am Leipziger Wohnungsmarkt mehr sind, satirisch aufbereitet, hätte eigentlich Jeder wissen können, bevor er der Einladung am 9. April folgte. Der Ansatz, die Sache mit Humor zu nehmen, ist unübersehbar.

Aber mindestens einer im Hause LVZ merkt nicht mal, dass es um Humor geht, wenn ihm jemand mit der Tröte ins Gesicht trällert. Und es ist wohl nicht der Redakteur, der vor Ort war und Marco Böhme zitierte, der im Podium saß und zwischendurch auch mal vorschlug, Stadtteile einfach mal abzuwerten. Der LVZ-Redakteur zitierte dabei auch aus der Broschüre des Netzwerkes Schlindewitz, in der allerlei bunte, freche und auch recht realitätsnahe Vorschläge dazu zu finden waren.

Im Text referiert der LVZ-Artikel dann die Diskussionsbeiträge der anderen Podiumsgäste und zitiert auch Norbert Raschke vom Amt für Stadterneuerung (ASW), der in der Podiumsdiskussion das zugestand, was die Stadtverwaltung lieber nicht so laut kommuniziert: Dass der Wohnungsbau in Leipzig seit drei Jahren der Bevölkerungsentwicklung nicht mehr folgen kann. 5.000 bis 6.000 Wohnungen jährlich würden gebraucht, 3.000 bis 4.000 aber entstehen. Wenn es also zu Konflikten gerade in den derzeit beliebten Stadtteilen kommt, dann ist das durchaus ein Problem knapper werdender Freiräume.

Man kann den Text lesen, freut sich mal kurz über den satirischen Ansatz von Böhme und Schlindewitz. Und hat dann am Ende doch wieder das Gefühl: Gelöst ist gar nichts. Das Thema liegt auf dem Tisch. Und wirklich ernst gemeint konnte der Einwurf Böhmes auch nicht gewesen sein.

Aber irgendwie gibt es dann noch die Blattmacher im Haus am Peterssteinweg, die krampfhaft nach Überschriften suchen, um auch recht sachliche Texte dann noch einmal höher auf die Krawallebene zu heben.

In diesem Fall bot sich Böhmes satirischer Wortbeitrag irgendwie an. Und es wurde die knallige Überschrift draus: “Linken-Politiker: Einwohner sollen Stadtteile abwerten / Debatte über Verdrängung im Leipziger Westen”.

Da sah sich der junge Landtagsabgeordnete auf einmal in einer Ecke, in der er gar nicht sitzen wollte.

Gleich am Samstag, 11. April, sah er sich gezwungen, die LVZ-Schlagzeile ins richtige Licht zu rücken: “Ja, ich habe das wörtliche Zitat, welches mir zugeschrieben wird, so geäußert. Was leider – auch in der Zitation aus der Broschüre des Netzwerks Schlindewitz – völlig abhanden kommt, ist der teilweise satirische und künstlerische Charakter der gesamten Broschüre.“

So seien die wörtlichen Zitate zur Abwertung von Stadtteilen, bei denen „Trainingsanzüge, Alditüten voller Bierdosen, Sperrmüll auf öffentlichen Grünanlagen und Pitbulls herrvorragende Dienste“ leisten, der „Gentrifi…dingsbums-Fibel“ entnommen. Ein anderer Eintrag in diesem Alphabet laute „Xylophonfachgeschäfte und BARF-Handrührgeräte“.

Das Netzwerk Schlindewitz wolle die Broschüre demnächst online stellen. Bei seinen Veranstaltungen arbeitet das Netzwerk mit den Mitteln künstlerischer Verfremdung und Überzeichnung. Der LVZ-Redakteur hat’s garantiert mitbekommen, der Schlagzeilen-Macher aber wohl nicht. Auf der Veranstaltung selbst wurde anfangs etwa ein zehnminütiges Hörspiel mit Szenen aus Straßenbefragungen abgespielt, die bewusst widersprüchliche und teilweise völlig kontextlose Alltagsbeobachtungen mitteilten.

Eigentlich geht es nicht um Alditüten, verlotterte Trainingsanzüge und Säufer an der Ecke. Es geht um eine ganz andere Klientel, die nun seit zwei Jahren ziemlich vergeblich versucht, in der Leipziger Stadtpolitik Gehör zu finden: Das sind die ganzen Kreativen, Wohnpioniere, Ladeneröffner, Künstler, Ausprobierer, Brachenbespieler, Hausretter und Ideenfinder, die den Ortsteilen im Leipziger Westen  – von Plagwitz bis Lindenau und Leutzsch – erst wieder Leben eingehaucht haben und die Ortsteile erst wieder so attraktiv gemacht haben, dass Investoren sich sagen: Da gehen wir jetzt auch hin.

Doch wenn dann die Häuser saniert werden und die Mieten steigen, ist es zumeist aus mit der bunten Pioniergesellschaft, da kann sie gehen. Meist auch ohne Dankeschön.

Das meinte auch Marco Böhme, als er versuchte, seinen satirischen Unterbrecher zu platzieren: „Mit meiner Ausführung wollte ich insbesondere darauf hinaus, dass die vielbeschworene Aufwertung von Stadtteilen eben nicht einzig die Leistung von Eigentümern und Immobilienentwicklern ist, die Geld in die Sanierung von Bausubstanz stecken. Gerade der Leipziger Westen wurde attraktiv und lebenswert durch die Vielfältigkeit zivilgesellschaftlichen, ehrenamtlichen Engagements. Gerade die Leute, die in jahrelanger unentgeltlicher Arbeit die Stadtteile erst aufgewertet haben, sind jetzt Opfer der fortschreitenden Aufwertung. Ich wollte darauf hinaus, dass die Menschen im Kiez, und nicht die großen Spieler der Immobilienwirtschaft, eigentlich die Akteure dieser positiven Aufwertung sind.“

Aber was kann man tun, wenn die große alte Zeitung am Platz einfach keine Satire versteht? – Marco Böhme: „Das kam offensichtlich nicht so rüber. Das bedauere ich, doch wenn es letztlich die öffentliche Aufmerksamkeit und damit die Debatte befördert, ist das gut. Wir reden hier schließlich von einem gravierenden Problem, nämlich der Verdrängung von Menschen aus ihrem Wohnumfeld aufgrund von Mietsteigerungen, was nicht akzeptabel ist!“

Das Netzwerk Schlindewitz hat in der besagten Broschüre zum Einsenden von Beiträgen aufgerufen, die zur inhaltlichen Ausgestaltung einer Folgeveranstaltung unter dem Titel „Leben und leben lassen. Laboratorium der Widerborstigkeit“ um die praktischen Fragen der Mieterorganisation kreisen soll. Gefragt sind explizit künstlerische wie wissenschaftliche oder essayistische Beiträge. Sie dürfen auch satirisch sein.

Die Website von Schlindewitz geben wir hier mal noch nicht an. Die hat noch kein Impressum. Da müssen sich wohl ein paar Leute noch sammeln, bevor sie öffentlich werden. Auch Satire braucht ein bisschen Überlegung.

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Es gibt 2 Kommentare

Dieser zitierte Leserbrief will Böhmes im jugendfrohen Überschwang, aber vermutlich missglückte Satire in eine ernstgemeinte Aussage umwandeln.

Ein solcher Brief kann genausogut von interessierter Seite (also von rechts, um es mal platt zu sagen) bestellt worden sein.

Hatten wir ja öfters hier schon.

Stürmchen im Schnapsglas.

Gleich nach Erscheinen des Artikels erreichte uns die Zuschrift eines Lesers:
“Sehr geehrte Redaktion, ich selbst war Gast der Veranstaltung. Es trifft nicht zu, dass die Empfehlungen des Herrn Böhme in satirischem Zusammenhang standen. Herr Böhme hat gegen Ende seines Statements selbst bemerkt, dass er sich vor der anwesenden Presse mit seinen Empfehlungen zur Abwertung von Stadtteilen u.a. durch Vermüllung des öffentlichen Raums “um Kopf und Kragen redet” und dann seine Ausführungen auch abgebrochen. Es war erfreulich, für einen kurzen Moment öffentlich an der Gedankenwelt des Herrn Böhme teilhaben zu dürfen, die – ausdrücklich – nicht satirisch gemeint war.
Im Übrigen wäre dem Netzwerk Schlindewitz zu empfehlen, auf deren Homepage ein Impressum anzugeben. Es ist nicht ansatzweise erkennbar, wer unter dieser Bezeichnung eigentlich agiert. Transparenz sieht anders aus.”

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