Am 9. April hatte das Netzwerk Schlindewitz zur Veranstaltung „Riecht es hier nach Mieterhöhung?“ ins Neue Schauspiel Leipzig eingeladen. Zwei Tage später berichtete die LVZ darüber unter der Überschrift "Linken-Politiker: Einwohner sollen Stadtteile abwerten". Der Linken-Politiker war der Leipziger Landtagsabgeordnete Marco Böhme. Die L-IZ hat ihn mal gefragt, was er sich da eigentlich gedacht hat.

Bei der Veranstaltung “Riecht es hier nach Mieterhöhung?” haben Sie ja das Publikum geschockt mit Zitaten zur Abwertung von Stadtteilen …

Um ehrlich zu sein hatte ich nicht den Eindruck, dass ich das Publikum auf unserer Veranstaltung großartig geschockt habe. Mit der Leserschaft der LVZ sieht das sicher etwas anders aus, da wird es wahrscheinlich Leute geben, die spontan sehr ablehnend reagieren, wenn sie schon die Überschrift lesen und dann noch was von Sperrmüll und Bierdosen. Auf unserer Veranstaltung waren 180 Leute: überwiegend junge Leute, die vermutlich zu einer Generation gehören, in der die Auseinandersetzung mit der Bedrohung, verdrängt zu werden, ziemlich verbreitet ist. Eher geschockt waren diese Leute über die Aussagen von Herrn Hobusch, der die Evergreens der Marktradikalität von sich gegeben hat, in etwa: wer auf Kosten der Sozialgemeinschaft lebe, habe halt keinen Anspruch, in einem bestimmten Teil der Stadt zu leben.

Natürlich waren damit nicht die Steuervergünstigungen für Immobilienbesitzer gemeint, die sich den Kaufpreis, die Grunderwerbsteuer, aber auch die Renovierungen über Steuervorteile teilweise wiederholen. Mit dem nötigen Startkapital kann man sich staatlich-alimentiert ein Immobilienimperium in angesagten Lagen aufbauen. Alle anderen sind mit permanenten Eigentümerwechseln und aktuell auch mit erheblichen Mieterhöhungen konfrontiert. Und müssen sich noch Vorhaltungen machen lassen, dass sie die Immobilienbesitzer nicht als Kuschelpartner haben wollen.

Sie erklären die Zitate mit dem “satirischen und künstlerischen  Charakter” der Broschüre des Schlindewitz-Netzwerks, aus dem Sie zitiert  haben. Aber irgendwie kam das so nicht rüber. Kann es sein, dass diese Abwertungsideen bei den meisten Leipzigern eine ganz, ganz wunde Stelle  treffen?

Ich tue mich sehr schwer mit Aussagen über „die meisten Leipziger“. In den letzten Jahren und insbesondere seit ich mich zunehmend mit den Debatten um Mieten und Stadtentwicklung in Leipzig befasse, habe ich das Gefühl: da fällt etwas auseinander, und zwar himmelweit. Die Stimmung, die mir Leute vermitteln, mit denen ich im Alltag politisch zusammenarbeite, auch die O-Töne, die wir alle von Schlindewitz so aufgegriffen haben im Verlauf der letzten Zeit, das sind schon auch krasse Töne von Unzufriedenheit, von Angst vor Vertreibung und letztlich auch Unrechtsempfinden.

Das sind Leute, die das Gefühl haben, ihnen wird ihr Stadtteil kaputt gemacht – nachdem sie es waren, die den überhaupt interessant gemacht haben. Das sind Stimmungen, die man eben eher nicht in der einen großen Leipziger Tageszeitung liest und das sind Leute, die eher keine Lobbyisten haben, die sich für sie in Szene schmeißen. Auch deswegen haben wir die Veranstaltung gemacht.

Ein wenig versuchten Sie ja da ein Gegenbild zur gefürchteten Aufwertung von Wohnquartieren aufzumachen, die in der Regel mit steigenden Mieten und Verdrängung sozial Schwächerer einhergeht. Aber ist das denn das richtige Gegenbild? Oder wie müsste das eigentlich  aussehen?

Wir spielen in unserem Reader ganz bewusst mit ganz, ganz vielen Formen kultureller Abgrenzung. Das „Gegenbild“, das die LVZ z. B. aus unserem Reader zitiert, mit Trainingsanzügen, Alditüten voller Bierdosen, Sperrmüll auf öffentlichen Grünanlagen und Pitbulls, ist ja gerade eher eines von den eher brenzligen Ecken, von „sozialem Brennpunkt“ – wie es ja auch Lindenau noch vor 10 Jahren prägte und schon am Adler teilweise immer noch tut. Das tun wir auch, weil wir drauf hinweisen wollen, dass genau die Leute, die noch vor ein paar Jahren den Leipziger Westen ganz massiv geprägt haben, heute schon längst aus dem öffentlichen Bild zurückgedrängt sind, zumindest südlich der Lützner und nördlich der Antonienstraße. Das sind meistens Leute, die weniger politisch organisiert sind, als es die alternativen, ehrenamtlich organisierten und häufig überdurchschnittlich Gebildeten sind, die im Leipziger Westen jetzt Angst vor ihrer Verdrängung haben.

Wir haben den Anspruch, mit der politischen Auseinandersetzung um Mieten und Stadtteile nicht nur die Lobby für diese Alternativen zu sein, sondern eben auch für die, die sonst als erste still und leise das Feld räumen. Es soll darum gehen, und das habe ich auch schon in der Debatte gesagt, dass die Bewohner_innen den Stadtteil wieder selbst in die Hand nehmen sollen, anstatt nur Objekte irgendeiner Politik zu sein. Sich also zum Beispiel vernetzen können und sollten, um sich über Mieterhöhungen austauschen und dann gemeinsam mit einer Rechtsberatung gegen die Erhöhung vorzugehen, wie wir auch in unserem Reader nahelegen.

Braucht eine prosperierende Gesellschaft überhaupt Nischen für  Gegenentwürfe? Oder sollten doch nicht alle nach denselben Standards leben?

Die Frage ist natürlich in vielerlei Hinsicht eine Provokation. Das fängt schon bei der prosperierenden Gesellschaft an – Leipzig ist immer noch eine der ärmsten Städte Deutschlands! Nur weil jetzt ein massiver Zuzug begonnen hat und vor allem deutschlandweit Leute ihr Vermögen in Immobilienbesitz in Leipzig anlegen, sind dadurch die zehntausenden von Armut bedrohten Leipzigerinnen und Leipziger nicht verschwunden. Da reden wir noch überhaupt nicht von den vermeintlichen Luxusproblemen, dass Künstlerinnen und andere keine günstigen Arbeitsräume mehr finden.

Das geht weiter über dieselben Standards: die Annahme, die auch Herr Hobusch in der Debatte propagierte, wir leben in einer ganz doll fairen Leistungsgesellschaft und wenn man sich nur genug anstrengt, dann findet man auch sein Plätzchen an der Sonne, ist eine gefährliche Lüge, in deren Namen sehr, sehr viel Schlimmes in dieser Gesellschaft gemacht wurde. Das fängt schon bei dem an, was man in der Wissenschaft kulturelles und soziales Kapital nennt, das sozusagen „unsichtbar“ den feinen Unterschied ausmacht zwischen verschiedenen Schichten und Gruppen von Leuten. Da reden wir nicht einfach nur von den Leuten mit relativ guter Ausbildung, die sich freiwillig für irgendeinen alternativen Lebensstil entscheiden oder ihren Freiraum suchen, abseits vom Leistungsterror in dieser Gesellschaft ein halbwegs glückliches Leben führen – und deshalb überhaupt nach Leipzig ziehen. Da reden wir auch über die Kids am Adler, die aus ihrem Jugendclub fliegen.

Ich möchte, dass alle diese Leute sich in ihrem Kiez wohl fühlen können und eine Stadt, die all diesen Leuten gehört; in der sie sich bunt durchmischen. Und nicht immer weiter an die Ränder abgedrängt werden, Richtung Grünau, Paunsdorf oder Anger-Crottendorf, während die Altbauviertel näher am Zentrum sich in Eigentumswohnungen verwandeln.

In Leipzig werden solche Gegenentwürfe in der Regel in Freiräumen gelebt, die durch den jahrelang hohen Leerstand möglich waren. Diese  Freiräume schwinden – aber wer kann sich ihre Rettung eigentlich leisten? Oder braucht das eine Art Artenschutz?

Richtig ist, dass vieles von dem, woran wir heute so denken, wenn wir über „den“ Leipziger Westen sprechen, nur entstehen konnte unter den Vorzeichen der schrumpfenden Stadt. In den Lücken, die damals entstanden, sind viele der Projekte erst gewachsen, die heute ganz Leipzig prägen. Einige wenige haben es geschafft, finanziell derart erfolgreich zu werden, dass ihnen die Aufwertung nicht schädlich werden kann – vermutlich sogar entgegen kommt. Das ist natürlich die Spinnerei, ohne die kein Fernsehbeitrag über Aufwertung im Leipziger Westen je auskommt. Der überwiegende Teil dessen, was damals ausprobiert wurde, um Mittel gegen die „schrumpfende Stadt“ zu entwickeln, droht jetzt aber mit dieser zu verschwinden – wie die Wächterhäuser etwa.

Die überwiegende Masse an Stadtteilprojekten, aber auch an schnöden gewerblichen Sachen wie Spätis oder Kneipen, teilweise gerade die Läden, die den Kiez geprägt haben, verschwinden, weil auch sie sich die 15 Euro kalt pro Quadratmeter nicht mehr leisten können. Das, was viele, mit denen ich spreche, besonders tragisch finden, ist, dass es ja gerade diese Leute und Projekte waren, die den Leipziger Westen „gerettet“ haben, unter den Vorzeichen der schrumpfenden Stadt. Ich finde das nicht das Tragischste, dass diese aktiven, fleißigen Leute jetzt in Bedrängnis geraten – die können sich nämlich meistens zumindest noch wehren. Davor gibt’s meistens die Rentnerinnen, die ganzen Leute, die in Plagwitz wohnen, seit es noch ein Arbeiterstadtteil war, und die Leute denen es wirklich schlecht geht. Die gehen still und leise, die haben meist keine Lobby.

An der Karl-Heine Straße am Eingangsbereich des Knochenplatzes konnte man früher sitzen. Es gab Bänke und Platz zum Quatschen, Lungern und ja, auch zum Bier trinken. Und da saßen auch immer ne Reihe Leute und tranken Bier. Die Bänke sind nun weg und ein Bier kann man sich jetzt noch in einem der vielen gastronomischen Einrichtungen holen, zu hohen Preisen. Die entsprechenden Leute sind auch weg. Ich möchte hier auf eine zunehmende Kommerzialisierung unserer Stadtteile hinaus, was ich problematisch finde. Ich fordere, dass es auch Platz in der Stadt neben Spielplätzen und Grünanlagen geben muss, wo man sich einfach mal treffen kann, ohne Kinder oder die Natur zu stören und ein Bier trinken und Musik hören kann.

Die “Abwertungsvorschläge” haben ja nicht wirklich mit alternativen Lebensformen zu tun, sondern beschreiben eher den sozialen Niedergang von Stadtquartieren. Braucht es da nicht eher eine soziale Stärkung der Städte als Gegenentwurf?

Wie gesagt, uns geht es bei Schlindewitz sehr viel um solche Kategorien und auch die darin enthaltenen Wertungen. Uns ging es auch ein bisschen darum, genau das Publikum zu provozieren, das meistens zu solchen Gentrifizierungs-Veranstaltungen kommt, nämlich besser gebildete, alternativ lebende Menschen zwischen 20 und 30, damit die sich vielleicht bewusst werden, dass nicht nur sie und auch bei weitem nicht als erste betroffen sind von Verdrängung. Insofern: richtig, die haben nix mit alternativen Lebensformen zu tun, zumindest so lange man prekäre Lebensformen nicht als freiwillige Alternative verstehen will, wie Herr Hobusch das scheinbar tut.

Es bräuchte eine soziale Stärkung. Es bräuchte auch eine massive Aufwertung der Arbeits- und Einkommenssituation für tausende Leipzigerinnen und Leipziger. Es bräuchte sehr, sehr viel – übrigens auch Vieles, das sich weder in der Stadt Leipzig noch im sächsischen Landtag mal so eben ändern ließe. Was uns von Schlindewitz vor Allem vorschwebt, ist eine soziale Stärkung der Stadt in dem Sinne, dass die Leute anfangen sich zu vernetzen und zu organisieren, statt vereinzelt oder sogar in Konkurrenz zueinander zu leben. Man kann schon auch so was wie eine Feindseligkeit mitbekommen, wenn man an bestimmten Ecken unterwegs ist, am Adler zum Beispiel. Leute begreifen Zuzügler als Feinde, Familien und westdeutsche Nummernschilder sind für einige schon regelrechte rote Tücher. Das ist Blödsinn, und genau darum geht’s uns auch: Zusammenhalt und Solidarität in den Stadtteilen, sonst verlieren am Ende alle, die dort leben.

Auch in der Lindenauer Josephstraße haben die kreativen Pioniere erst den Boden für die Immobilienentwicklung bereitet. Foto: Gernot Borriss
Foto: Gernot Borriss

Hinter dem Begriff Aufwertung versteckt sich ja auch die Kritik am Prozess der Gentrifizierung. Die Leipziger Stadtverwaltung sagt, das ist in Leipzig (noch) kein Problem. Ist das aus Ihrer Sicht jetzt eines? Und wer kann da überhaupt gegensteuern? Oder ist das dem Markt überlassene Wohnungsbaugeschehen die Ursache dafür, dass Stadt für viele Menschen nicht mehr funktioniert? Sollte “der  Staat” wieder verstärkt eingreifen? Und wenn ja: Wie?

Die Frage, ob es denn jetzt schon Gentrifizierung gäbe oder nicht, ist eine, die immer wieder diskutiert wird in Leipzig, wenn man das Thema rund um Stadtteilentwicklung und Mieten anspricht. Richtig ist: es gab lange Jahre Zahlen, die zwar steigende Angebotsmieten bei Neuvermietung feststellten, jedoch keinen Anstieg bei den Bestandsmieten. Richtig ist auch: diese Zahlen sind größtenteils alt und haben vermutlich eine deutliche Dunkelziffer, weil Bestandsmieten eher unvollständig erfasst werden.

Nun ist es aber erstens kein Geheimnis, wie viel zum Beispiel rund um die Karl-Heine-Straße allein im letzten Jahr gemacht wurde. Es ist auch kein Geheimnis, dass massiv Kapital nach Leipzig fließt, weil Leute ihr Vermögen in Immobilien in Leipzig investieren, seit es in der internationalen Presse als „place to be“ gepriesen wird. Ich habe Freunde, denen wurde ein winziger Balkon an die Wohnung gebaut, was nicht nur ihre Küche über einen Winter quasi unbewohnbar gemacht hat, sondern auch Begründung für eine enorme Mieterhöhung war. Andere Freunde zogen in Erstbezug in ein neu saniertes Haus, das war Ende 2013 und die Arbeiten teilweise noch nicht fertig. Das Haus hat seitdem bereits den Eigentümer gewechselt und besichtigen tun es nun vor allem Kaufinteressenten.

Ich selber suche mit anderen Abgeordneten hier im Leipziger Westen nach einer Ladenfläche, um ein offenes Bürgerbüro zu eröffnen. Darum habe ich wirklich viel Annoncen studiert und auch Läden besichtigt – auch welche, die gerade noch Baustellen sind, z. B. auf der Karl-Heine-Straße. Da schwärmte uns eine sehr eloquente und gut informierte Maklerin vor, wie toll das alles läuft mit der Aufwertung hier. Die Wohnungen oben drüber werden zu „hochwertigen Eigentumswohnungen saniert“. – Aha, dachte ich mir. Wer in Leipzig kauft sich denn eine Eigentumswohnung? Sie sagte auch, dass natürlich die umliegenden Preise sich „entwickeln“ und „das Umfeld sich sicher massiv verändern“ würde, die nächsten Jahre. Die Geschichten hier aus dem Stadtteil deuten darauf hin, dass wir in Zukunft auch wissenschaftlich ziemlich deutlich Prozesse der Verdrängung beobachten werden können. Noch schmerzt das viele Leute nur kurz, weil sie einfach gen Osten ziehen, wo Leipzig sich gerade etwa so anfühlt, wie im Westen vor sieben oder acht Jahren. Aber bei dem Zuzug, insbesondere an jungen Leuten, ist der Osten vermutlich auch bald „voll“.

Gegensteuern gegen eine Aufwertung an und für sich muss man sicher nicht. Niemand hat was gegen sanierte Wohnungen, man muss sie nur bezahlen können! Und wenn es beim Neubau von Wohnungen durch den angespannten Rohstoffmarkt zu hohen Preisen kommt, muss der Staat dafür sorgen, dass zumindest ein gewisser Teil an neuen Wohnungen entsteht, der am Ende auch von einer Familie bezahlt werden kann, die auf ALG II angewiesen ist. Die Fraktion Die Linke im sächsischen Landtag hat dazu gerade in den laufenden Haushaltsverhandlungen 15 Millionen Euro für Baukostenzuschüsse beantragt, die an die Kommunen gegeben werden sollen, die das Geld wiederum ihren städtischen Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften weitergeben können, um einen Teil der Kosten von Neubauten oder Sanierungsmaßnahmen zu übernehmen. Im Gegenzug muss sichergestellt werden, dass die geschaffenen Wohnungen zu günstigen Mieten vermietet werden. Das ist insbesondere in den Stadtteilen wichtig, in denen inzwischen auch Bestandsmieten neben den Angebotsmieten steigen.

Sollte eher eine Stadt wie Leipzig Schonräume für kreative und alternative Wohnformen definieren? Und welche schlagen Sie vor?

Nein, es geht mir und uns explizit nicht einfach nur um „Bestandsschutz“ für eine Reihe privilegierter Leute, die in der Lage waren, sich einen Stadtteil anzueignen, aufzuwerten und lebenswerter zu machen als vorher, denen man jetzt dafür als so eine Art „Lohn“ – einen Bestandsschutz – gewährt. Das reproduziert diese kulturelle Abgrenzung zwischen den „Alternativen“, die wertvolle Arbeit an der Stadt geleistet haben, und den „Prekären“ oder wie man sie auch immer nennen will, die immer irgendwie als schmuddelig gelten und über die kaum jemand spricht. Man muss auch ganz klar sagen: gerade die „Alternativen“ sind halt relativ schlagkräftig. Das sind Leute, die wissen, wie man sich vernetzt, die sich organisieren und (wenn auch oft vergeblich) für ihre Interessen streiten. Mir und uns geht es darum, dass viel mehr, dass Alle in den Stadtteilen das tun.

Politisch gibt es eine Reihe von Instrumenten, die infrage kommen. Mir selbst gefällt die Idee eines Milieuschutzes auf Häuser: das meint, dass Sanierungsarbeiten nicht „milieufremd“ erfolgen dürfen. Dass also nicht in einem bisher teilsanierten Gebäude mit eher bodenständigen Standards mittels Fahrstuhl, Fußbodenheizung und Stuck im Treppenhaus und großen Balkonen die Bausubstanz so weit aufgewertet wird, dass die Mieten über 20 % angehoben werden dürfen. Dadurch soll insbesondere die Umwidmung bereits bewohnter Häuser zu Luxus-Wohnraum gebremst werden.

Außerdem kann über das Liegenschaftsamt natürlich Einfluss drauf genommen werden, was mit neuem Bauland passiert. Das war ja etwa auch Thema bei der Debatte: In Zukunft wird es enorm wichtig, dass auf Brachen Geschosswohnungsbau entsteht, und zwar möglichst familiengerecht und im unteren und mittleren Preissegment, statt ein- oder zweistöckiger Stadthäuser. Da stimmt das Verhältnis Bodenfläche zu Wohnraum einfach nicht, und das können wir uns als gesamte Stadt nicht mehr leisten. Und wenn schon verkauft werden muss, dann mit Konzeptverfahren statt Höchstpreisgebot. Dies würde gerade diejenigen stärken, die wenig Kapital haben, aber Ideen haben ohne das Profitmaximierungsinteresse.

Und ist das Thema nicht eigentlich zu wichtig, um es humorvoll  anzupacken? Denn einige Konflikte in Leipziger Sanierungsvierteln sind ja in den letzen Jahren schon eskaliert. Braucht das nicht eine andere –  ernsthafte Gesprächsbasis – auch mit den Investoren und Hauseigentümern?

Einerseits: nichts ist „zu wichtig“, um es humorvoll anzupacken. Im Gegenteil, gerade weil Dinge wichtig sind, setzen wir uns ja hin und stecken Stunden um Stunden Arbeitszeit in so ‘ne Broschüre, damit Leute, die auf unsere Veranstaltung gehen, da nicht nur mit dem (erwartbaren) mauen Gefühl rausgehen, „ah ja, die professionellen Meinungsdarsteller da oben auf´m Podium hatten mir jetzt aber auch kaum was Konkretes zu sagen“. Das Wichtigste an dem ganzen Ding ist uns eigentlich der Aufruf, mit dem wir Beiträge zur Folgeveranstaltung einwerben wollen. Das soll ein „Laboratorium der Widerborstigkeit“ werden, also ganz bewusst eine Art Werkstätte, wo Leute selber aktiv was einbringen sollen.

Begrifflich und sprachlich brechen wir mit allem, was wir bei Schlindewitz probieren, ganz bewusst aus dem professionellen Politsprech aus und arbeiten auch mit künstlerischen Mitteln – aber in der Hoffnung, dass dann gerade für die kreativen, aktiven Köpfe im Leipziger Westen die „Politik“, die da passiert, attraktiver und vertrauter wird, und nicht nur so Schmuddelkram, den Leute in Anzügen machen. Wir hoffen dabei, dass wir die Leute unterstützen können, die schon eine Wahnsinns-Arbeit leisten, etwa auch in der wissenschaftlichen Aufarbeitung der ganzen Prozesse, wie bei „Stadt für Alle“ oder „nowhere” und “für-das-politische” zum Beispiel.

Darüber hinaus ziele ich in meiner Arbeit als Abgeordneter hier im Stadtteil eben vor allem auch auf die richtig hart marginalisierten Leute, für die bisher im Prinzip die Formen nicht anschlussfähig sind. Dass es auch ältere Leute, gerade die ganz alte Stammbevölkerung von Plagwitz und Lindenau, trifft und bewegt, was hier passiert, das merke ich bei jedem Stand und jeder Bürgersprechstunde, die ich hier so mache. Genau das will ich auch weiter machen und hoffe vor allem, Leute unterstützen zu können, sich selbst zu organisieren.

Die gesamte Debatte, die O-Töne der Straße wie auch die Broschüre sind nun auch online unter www.schlindewitz.de/hier_stinkts.html zu finden.

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