Wie mühsam nährt sich eigentlich das Kaninchen? So ungefähr kommt einem die Frage in den Kopf, wenn man jetzt den dritten Vorschlag der Leipziger Stadtverwaltung zur Nutzung des agra-Geländes in Dölitz liest. Zwei Mal schon hat der Stadtrat die Nutzungspläne der Verwaltung abgelehnt, weil die immer gleichen Träume von Einfamilienhäusern, Hotels und Supermärkten einfach nicht überzeugten. Jetzt haben gleich drei Dezernate ihre Visionen vorgelegt.
Diesmal nicht das Wirtschaftsdezernat als federführendes wie bei den ersten beiden Vorstößen, hier vor allem Geld zu generieren, indem man Immobilienentwickler ein neues Wohnviertel aufsetzen lässt, der Hotelbranche Platz verschafft und einen neuen Supermarkt installiert. Diesmal war das Baudezernat so mutig, sich den Hut aufzusetzen. Das Umweltdezernat wurde mit hinzugezogen, immerhin grenzt das Gelände direkt an ein Naturschutzgebiet.
Und was ist herausgekommen?
Nuja: eine neue Reihenfolge der alten Ideen.
Die Idee, die im Stadtrat besonders sauer aufstieß, nämlich das Gelände gleich mal großflächig für Eigenheimbebauung zur Verfügung zu stellen, die hat man jetzt zurückgenommen – sozusagen in Phase 2 der Erschließung. Langfristperspektive heißt das in der Vorlage: “In der Langfristperspektive wird die Fläche des Camping- und Caravanstellplatzes mit in die Entwicklung zu Wohnbauflächen einbezogen und zurückgebaut werden, um das volle Potential der agra-Fläche auszuschöpfen.”
Der Fortschritt gegenüber den ersten beiden Vorschlägen: Jetzt will man mit den hübschen Häuschen für möglicherweise 600 neue Bewohner nicht mehr direkt in die Überschwemmungswiesen an der Mühlpleiße. Jetzt denkt man eher an die zum Teil noch versiegelten Flächen der alten Ausstellungshallen.
Ziemlich einig ist man sich, dass das alte agra-Ausstellungsgelände nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben ist. Der eigentliche Geldbringer auf dem Gelände ist das Wave Gotik Treffen, das zwar die schöne Abgeschiedenheit und den Freiraum des Geländes liebt, aber nicht unbedingt die alten, technisch maroden Hallen braucht. Vertreiben will man das WGT nicht. Aber in der Verwaltung versucht man nun schon seit zwei Jahren, einen neuen attraktiven Spielplatz für das schwarze Pfingstreffen zu finden.
Bei einer nachhaltigen Umnutzung des agra-Geländes müssten die Pfingstgäste eigentlich nicht umziehen.
Und so ein bisschen ist ja die Idee von einer eher sanften Umnutzung des Geländes mit eingeflossen in den neuen Vorschlag. Man will nicht gleich wieder alles mit Bauten und Beton zustampfen, sondern hat die deutlichen Mahnungen aus der Stadtgesellschaft, dass das ja der natürlichste Übergang von Leipzig zum Markkleeberger See ist, aufgenommen und “durchgängige Rad- und Fußwegeverbindungen von der Helenenstraße Richtung Markkleeberger See wie auch Richtung Park” in Aussicht gestellt.
Ja, diese Touristiker. Sie zerbrechen sich seit Jahren den Kopf, wie sie mit richtig viel Geld den Wassertourismus ins Neuseenland schleppen können. Den einfachen, längst existierenden Nah- und Radtourismus aber vergisst man einfach. Hier liegen die Potenziale. Auch für das Gelände der einstigen agra. Und so rückt auch das, was im letzten Vorschlag des Wirtschaftsdezernates ganz hinten hinter Hotel, Supermarkt und so versteckt lag, in den Fokus der kurzfristigen Umsetzung. Weil es fehlt und hier auch außerhalb vom WGT richtig Sinn macht: die Anlage eines Campingplatzes mit Caravanstellplatz.
Aber hoppla: Genau an der Stelle haben die drei Dezernate einfach mal das Wort “temporär” hingeschrieben.
Als bräuchten sie den Campingplatz so nah an der Seenlandschaft eigentlich gar nicht. Eher so zur Beruhigung der Öffentlichkeit, nachdem man im letzten Entwurf noch vollmundig festgestellt hatte, dass an dieser Stelle touristische Nutzungen einfach ideal sind.
44.000 Quadratmeter: “Diese Flächengröße gewährleistet eine wirtschaftlich tragfähige Bewirtschaftung (ca. 150 Stellplätze für Zelte und ca. 40 Caravanstellplätze im 4 Sterne-Segment). Campingplatz und Caravanstellplatz ergänzen sich im Nutzungsangebot für die Kunden. Die Infrastruktur (u.a. sanitäre Anlagen, Versorgung, Freizeitangebote) könnte gemeinsam genutzt werden. Es ist zu prüfen, ob das Gebäude des ehemaligen ‘agra-Clubs’ hierfür genutzt werden kann. Kundenpotential ist bei der guten Anbindung an das Straßenbahnnetz, der Nähe zum Markkleeberger See und der Attraktivität der Stadt Leipzig als touristische Destination in hohem Maße zu erwarten.”
Aber da hätte man wohl ohne die Wirtschaftsförderer in Leipzigs Amtsstuben gedacht. Sie sehen das – obwohl sie hier deutlich aufgezeigt haben, dass sie tatsächlich mal “touristisch” gedacht haben – nur “temporär”. Langfristig soll der Platz wieder zurückgebaut werden und für Eigenheimbau zur Verfügung gestellt werden. Das liest sich – ganz im Ton des Liegenschaftsamtes – so: “In der Langfristperspektive wird die Fläche des Camping- und Caravanstellplatzes mit in die Entwicklung zu Wohnbauflächen einbezogen und zurückgebaut werden, um das volle Potential der agra-Fläche auszuschöpfen.”
Volles Potenzial. Und ein Campingplatz auf Abruf. Da werden sich die Betreiber aber freuen.
Will Leipzig den Tourismus im Neuseenland nun ankurbeln oder nicht?
Augenscheinlich nicht.
Augenscheinlich will man hier – nachdem man nun schon am Lindenauer Hafen heftig im Verzug ist, die nächste Baustelle für die zahlungskräftige Leipziger Klientel aufmachen. Und verspricht den 600 Leuten, die hier ihr Häusle bekommen sollen, auch schon mal Infrastrukturen: “Neben Wohnen sollen bedarfsorientiert Infrastruktureinrichtungen wie Grundschule oder Kindertagesstätte und ein Nahversorger für das neu entstehende Wohngebiet angeboten werden.”
“Der heute vorhandene P+R – Platz soll auf die andere Seite der Bornaischen Straße verlagert werden, um auch diese Fläche für die genannten Einrichtungen vorzuhalten.”
Dass das Papier am Ende doch wieder vom Liegenschaftsamt geschrieben wurde und nicht eine einzige belastbare Zahl zugrunde liegt, kann man beim Stichwort Finanzen nachlesen: “Zu beiden Varianten können derzeit keine seriösen Aussagen zu finanziellen Effekten getroffen werden. Ohne konkrete Investoren im Hintergrund und einem sich über die Zeit wandelnden Grundstücksmarkt sind finanzielle Effekte der beiden Varianten nicht belastbar darzustellen. Man kann aber davon ausgehen, dass sich die Einnahmen der Stadt im Vergleich zum gegenwärtigen Stand verbessern werden. Langfristig dürfte im Saldo (Vermarktung von Baugrundstücken vs. Abbruch und Entsiegelung des Bestandes, Verbesserung der Erschließungsinfrastruktur) ein Gewinn in Millionenhöhe realisierbar sein.”
So tickt das Herz der Leipziger Stadtverwaltung.
Nicht nachhaltig oder gar in sinnvollen touristischen Strukturen, sondern in der amtlichen Sehnsucht nach “Gewinn in Millionenhöhe”.
Die neue Vorlage zum agra-Park als pdf zum Download.
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