Die Grünen hatten im Mai mal nachgefragt: Was wird eigentlich aus dem Areal an der Großen Fleischergasse? Vor 1.000 Jahren stand hier das ursprüngliche Leipzig mit der Burg in der Mitte. Später saßen die Barfüßer hier. Seit 1978 ist das Areal völlig verstellt durch den Stasi-Neubau. Warum passiert hier eigentlich nichts? - Mittelfristig, so teilt die Leipziger Verwaltung jetzt mit, könnte hier vielleicht was passieren.
Oder kurz und knapp in der Formulierung des Dezernats Stadtentwicklung und Bau und des Dezernats Wirtschaft und Arbeit: “Das Areal Große Fleischergasse soll für die Ansiedlung einer im gesamtstädtischen Kontext bedeutenden Nutzung mittelfristig zur Verfügung stehen.”
Die Geschichte dieses kostbaren Stücks Leipzig erzählen die beiden Dezernate auch noch mal. Immerhin spielt dieses Fleckchen Erde 2015 im 1.000. Jahr der Ersterwähnung Leipzigs eine zentrale Rolle. Hier starb Bischof Eid, was dann in den Aufzeichnungen Thietmars die erstmalige Erwähnung von “urbs libzi” bedeutete, des Burgwards Leipzig. Existiert hat er schon vorher. Doch da ist nichts Weltbewegendes passiert, das aufzeichnungswürdig war – zumindest für die paar Leute, die damals überhaupt schreiben konnten.
Stadtführer führen ihre Gruppen trotzdem eher selten bis ungern in diese Ecke: Der finstere alte Bürobau ist wirklich nicht zeigenswert, der kahle Parkplatz daneben auch nicht. Um sich die Geschichte vorstellen zu können, braucht man eine Menge Phantasie.
“Das Areal zwischen Dittrichring, Großer Fleischergasse und Goerdelerring war einst die Keimzelle unserer Stadt”, holen die beiden Dezernate also ganz weit aus. “Leipzig entwickelte sich auf dem Geländesporn im Nordwesten der heutigen Innenstadt. Zur Sicherung der Kreuzung der bedeutenden Handelswege entstand im 10. Jahrhundert unter Nutzung slawischer Befestigungsanlagen der deutsche Burgwardstützpunkt ‘urbs libzi’ als Vorposten der Königspfalz Merseburg. Nach Schleifung der Burg 1224 wurde der Platz dem Bettelorden der Franziskaner (Barfüßer) für einen Kloster- und Kirchenbau zur Verfügung gestellt.
Nach der Reformation und Aufhebung des Barfüßerklosters 1542 übergab der Rat der Stadt den Klosterkomplex Kaufleuten und Blaudruckern zur profanen Nutzung. Nach Beschädigungen im 30-jährigen Krieg und großzügigen Bürgerspenden erstand die Kirche 1698/99 als ‘Neukirche’ wieder. Im 2. Weltkrieg brannte das ganze Viertel, an dem die rege Bautätigkeit der Gründerzeit nahezu spurlos vorbei gegangen war, nieder; die Ruinen wurden abgetragen und planiert. Ab 1978 wurde der winkelförmige Baukörper der Bezirksbehörde der Volkspolizei und des Ministeriums des Inneren errichtet; der Rest des Areals blieb unbebaut.”
Nicht alles an diesem Fleck ist abrisswürdig, betonen die beiden Dezernate: “Die Gebäude Richard-Wagner-Platz 1, Große Fleischergasse 4, Dittrichring 18-20, Dittrichring 22 und 24 sowie der viergeschossige Saalanbau (Schulmuseum) stehen unter Denkmalschutz und sind mithin zu erhalten.” Aber: “Der Neubaukomplex der 1980er Jahre kann abgebrochen werden.” Aber erst später. Denn noch wird er auch von der Leipziger Stadtverwaltung genutzt. Die braucht erst einmal bezahlbare Ausweichquartiere.
Dass man hier ein Stück Stadtentwicklunmg blockiert, ist der Verwaltung durchaus bewusst: “Bei dem Areal handelt es sich um die letzte wertvolle städtische Fläche und den letzten bedeutsamen Stadtbaustein innerhalb des Promenadenringes. Seine Entwicklung sollte – in Anbetracht der anstehenden bedeutenden Entwicklungen am äußeren Promenadenring (z. B. SAB-Neubau, Neubau LWB, städtebauliche Entwicklung und Bebauung des Wilhelm-Leuschner-Platzes) – mit aller gebotenen Sorgfalt und äußerst sensibel erfolgen.”
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Aber nicht eher, bis die Stadtverwaltung ein Ausweichquartier gefunden hat: “Nicht zuletzt bedarf die Umsetzung der städtischen Ämter im voll genutzten nordwestlichen Gebäudetrakt (ca. 10.000 m² Nutzfläche) und die Schaffung von Alternativen für das Wahlarchiv einer geordneten Disposition.”
Aber dann folgt eine Passage, die doch sehr an die Wortwahl erinnert, mit der die Stadt die künftige Bebauung des ehemaligen LWB-Areals am Brühl ankündigte, auf dem heute das Prachtstück der “Höfe am Brühl” steht: “Die Stadt Leipzig erlebt derzeit eine Phase der besonders dynamischen Stadtentwicklung. Hieraus resultiert ein nicht unerheblicher nationaler und internationaler Bedeutungszuwachs. Es ist daher nicht auszuschließen, dass mittelfristig ein Flächenbedarf für die Ansiedlung einer bedeutenden Einrichtung bestehen könnte. Aus diesem Grund hält die Verwaltung eine kurzfristige Nutzungszuweisung für das Areal Große Fleischergasse ‘nicht für sachgerecht’.”
“Bedeutende Einrichtung” – das klingt wieder nach einer großflächigen Bebauung durch einen Großinvestor. Und genau nach dem, was die Grünen mit ihrer Anfrage eigentlich hinterfragen wollten, denn Leipzigs Innenstadt wird immer gesichtsloser, je mehr dieser Ganzblockbebauungen dominieren. Gerade der alte Matthäikirchof böte sich auch wieder für alternative und kleinteiligere Bebauung an. Aber das Konzept müsste die Stadt vorgeben, wenn sie die Initiative nicht wieder einem Großinvestor überlassen will.
Noch ist alles offen. Auch im Bebauungsplan der Stadt: “In dem in Aufstellung befindlichen einfachen Bebauungsplan Nr. 45.6 ‘Stadtzentrum’ ist das Areal zwischen Matthäikirchhof, Großer Fleischergasse und Goerdelerring als Kerngebiet ausgewiesen. Dies ermöglicht ein breites Spektrum von vorstellbaren Nutzungen. Dabei ist davon auszugehen, dass für die städtebaulich-architektonische Neuordnung des Areals nach vorausgehenden Planungswettbewerben die Aufstellung eines qualifizierten Bebauungsplanes erforderlich ist. Mit diesem qualifizierten Bebauungsplan kann dann ggf. auch die zu entwickelnde Nutzungsstruktur nachgesteuert werden.”
Aber das kann dauern. Beim Wilhelm-Leuschner-Platz dauert der Prozess auch schon Jahre, ohne dass es zu einem sichtbaren Ergebnis führt.
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