Im Grunde hätte sich Leipzigs Verwaltung all die öffentlichen Eiertänze im Jahr 2013 und im Jahr 2014 sparen können, wenn die Verantwortlichen nur das Quäntchen Mut besessen hätten, die entscheidenden Unterlagen zur Standortdiskussion einfach öffentlich zu machen. Denn die liegen seit Januar 2013 vor. Seitdem hockte die Verwaltung auf dem Standortvergleich zum Masterplan Naturkundemuseum. Doch erst am 4. November 2014 wagte die Verwaltungsspitze die Entscheidung.
Deren Grundlage war dann freilich auch eine neue Kostenanalyse für die beiden auch schon im Masterplan favorisierten Gebäude – das Bestandsgebäude an der Lortzingstraße und der umzubauende Bowlingtreff am Wilhelm-Leuschner-Platz. Wobei die Kostennoten durchaus verblüffen. Denn dass die Stadt so lange den Bowlingtreff favorisierte, hat auch mit einem deutlichen Abstand in den Kostenprognosen aus dem Masterplan zu tun: Das Bestandsgebäude an der Lortzingstraße hätte zwar nach den Voraussetzungen die Bedingungen als Naturkundemuseum am besten erfüllt, wäre aber nach der damaligen Kostenexpertise 15,8 Millionen Euro teuer geworden. Für den zweitplatzierten Bowlingtreff sahen die Gutachter nur Investitionskosten von 12,3 Millionen Euro.
Beides Größenordnungen, die heftig angezweifelt wurden, was die Stadtverwaltung Anfang 2014 dazu brachte, für beide Gebäude noch einmal eine Studie zum Kostenrahmen bei einem unabhängigen Büro in Auftrag zu geben. Das Ergebnis ist wohl keineswegs überraschend. In beiden Fällen wird es wohl teurer, der Standort Lortzingstraße ist dennoch um rund 1 Million Euro preiswerter als der nötige Umbau des ehemaligen Bowlingstreffs. Denn bei dem käme – so das zuständige Planungsbüro – nur eine gesamtheitliche Betrachtung in Sicht. Man könne den Bau nicht nur in Teilen beplanen und das nicht nutzbare 4. Untergeschoss einfach ausklammern – “auch diese Flächen müssen beheizt und belüftet werden”, schreiben die Planer.
Das Ergebnis: Die Gesamtkosten für die Modernisierung des Standorts Lortzingstraße würden sich – mit Umzug, Anbau und allem drum und dran – auf 17,4 Millionen Euro belaufen, beim Bowlingtreff auf 18,6 Millionen Euro.
Wobei die entscheidenden Unterschiede tatsächlich in der Ertüchtigung der Bausubstanz entstehen. Beim ehemaligen Bowlingtreff würde sich dieser Teil der Investition auf 11,3 Millionen Euro belaufen, beim Stammhaus an der Lortzingstraße auf 10,1 Millionen Euro. Hier ist nicht nur die mögliche Entkernung und Modernisierung des Altbaus für rund 5 Millionen Euro erfasst, sondern auch ein notwendiger Neubau als Anbau für 4,7 Millionen Euro.
Alles Zahlen, die jetzt auch das federführende Kulturamt zu der Aussage bringen: “Wegen der mit der Kostenstudie ermittelten hohen Investitionskosten wird der Bowlingtreff als möglicher Standort für das Naturkundemuseum verworfen, ebenso die untersuchte Variante Ertüchtigung des jetzigen Standortes Lortzingstraße 3 mit Neubau.”
Was dann die jetzt notwendige Investitionssumme für die Lortzingstraße erst einmal um rund 5 Millionen Euro senkt: “Der jetzige Standort Lortzingstraße 3 soll saniert und ertüchtigt werden. Ein Erweiterungsbau ist dabei nicht vorgesehen.” Im Doppelhaushalt 2015/2016 sollen dann erst einmal Planungsmittel auftauchen – im Jahr 2015 100.000 Euro und im Jahr 2016 300.000 Euro. “Im Rahmen der Erarbeitung der Aufgabenstellung sind mögliche Handlungsoptionen mit anderen, auch kommunalen Einrichtungen darzustellen und zu prüfen. Ziel ist es dabei, Synergien für die positive Entwicklung des Naturkundemuseums zu heben”, heißt es weiter im Beschluss, der dem Fachausschuss Finanzen am 17. November vorgelegt werden soll.
Die Ausschussmitglieder erfahren dann auch noch etwas ausführlicher, womit sie es zu tun haben, wenn sie mit dem Thema so partout noch nichts anfangen können: “Das Naturkundemuseum Leipzig, das 2006 auf sein 100-jähriges Bestehen zurückblicken konnte, ist ein Bildungs-, Ausstellungs- und Sammlungszentrum, das sich als ‘Archiv der Natur und Erlebnislabor Umwelt’ versteht. Das Museum verfügt über große und teilweise einzigartige Sammlungsbestände in den Bereichen Geologie, Botanik, Zoologie und Archäologie. Von besonderer Bedeutung sind die Dermoplastiken von Herman ter Meer. Bereits wenige Jahre nach seiner Gründung gehörte das Naturkundemuseum Leipzig zu den fortschrittlichsten und innovativsten Museen seiner Art in Deutschland.
Bereits unmittelbar nach dem Umzug 1923 in das Gebäude der ehemaligen II. Höheren Bürgerschule am Schulplatz, dem heutigen Standort Lortzingstraße 3, erfolgten immer wieder Um- und Ausbauarbeiten, um die Bedingungen für das Museum in dem ehemaligen Schulgebäude zu verbessern. Nach einer fast zweijährigen Schließung des Museums 1985 zur Untersuchung der Bausicherheit und Planung von investiven Maßnahmen erfolgte 1987 die Wiedereröffnung als ‘Naturkundemuseum Leipzig’. Im September 1993 wurde das Museum zur Durchführung umfangreicher Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen am Standort für fünf Monate erneut geschlossen. Trotz zahlreicher weiterer investiver Maßnahmen in den Folgejahren konnten die baulichen Mängel, insbesondere im Bereich Brandschutz, nach laufend aktualisierten Gutachten, nicht vollumfänglich behoben werden, so dass im IV. Quartal 2011 Teile des Museums für die Öffentlichkeit geschlossen werden mussten.”Seitdem war zumindest öffentlich Ruhe im Karton, auch wenn derweil Hunderte Bürger die Stadtverwaltung mit Anfragen bombardierten, der (nicht öffentliche) Masterplan die Gemüter erhitzte und dutzende Standortbesuche von diversen Verwaltungsabordnungen die diversen in Frage kommenden Gebäude besichtigten. Zumindest eine Erkenntnis sorgte am Ende auch beim Freundeskreis des Naturkundemuseums für Hoffnung: “Die Verwaltung schließt sich der Grundaussage des Masterplans, dass in dem Naturkundemuseum Leipzig erhebliches Entwicklungspotential steckt, an und empfiehlt, die grundsätzlichen Aussagen im Masterplan zu den Aufgaben und Zielen eines Naturkundemuseums Leipzig als Grundlage für dessen Neuausrichtung zu sehen.”
Der Masterplan lag übrigens seit 2012 vor – am 7. September 2012 wurde er ganz offiziell dem Vorsitzenden des Sachverständigenrates Naturkundemuseum übergeben. Nur die Öffentlichkeit ließ man fein schmoren in ihrer Besorgnis. Obwohl man wusste, dass das Haus bei einem Teil der Leipziger eine ähnlich wichtige Rolle spielt wie etwa das Stadtbad. Und man wusste auch – der Masterplan bestätigte es noch einmal – dass das Naturkundemuseum “eine inhaltliche Neuausrichtung auf der Grundlage einer zu erstellenden qualifizierten Sammlungskonzeption und die Ertüchtigung der zurzeit unbefriedigenden räumlichen Situation für nahezu alle Bereiche des Museums” brauchte, dann würden auch die Besucherzahlen wieder deutlich steigen.
Für die Stadträte wird auch noch extra aus dem Masterplan zitiert, was ein modernes Leipziger Naturmuseum braucht – eine klare Identität etwa, eine modern gestaltete Dauerausstellung, attraktive Sonderausstellungen, inhaltliche Aktualisierungen, öffentlich wahrnehmbare Forschungsarbeiten und – eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Alles nicht machbar unter den jetzigen Bedingungen. Und von allein kam man in der Verwaltung eben leider nicht auf die Idee, den Standort Lortzingstraße tatsächlich eingehender zu untersuchen.
So steht es jetzt sogar in der Vorlage. Denn bis Anfang 2014 nahm man einfach die schönen Investitionszahlen aus dem Masterplan und wählte – wie geübt – die scheinbar billigste Variante: “Im Ergebnis der vergleichenden Betrachtung wurde dem Stadtrat nach 1. Lesung in der DB OBM die Vorlage ‘Masterplan Naturkundemuseum – Entscheidung zum weiteren Verfahren’ zur Beratung übergeben. In dieser Vorlage war vorgeschlagen worden, den Bowlingtreff weiter vertiefend auf seine Eignung als Standort für das Naturkundemuseum zu prüfen, aber auch die Ergebnisse der Beratung der Vorlage in den Gremien des Stadtrates und der breiten Öffentlichkeitsbeteiligung in die Überarbeitung der Vorlage einfließen zu lassen.”
Nur wollten weder Stadträte noch Öffentlichkeit diesem Elefantenzug folgen.
Ergebnis: “Nachdem sowohl in den Beratungen in den Fachausschüssen als auch in den öffentlichen Veranstaltungen die Erwartung geäußert wurde, dass auch der jetzige Standort Lortzingstraße 3 weiter vertieft untersucht wird, wurde von der Verwaltung vorgezogen als Zwischenschritt eine Studie zum Kostenrahmen der Standorte Bowlingtreff und Lortzingstraße 3, jeweils mit Erweiterung, in Auftrag gegeben. Die Studie ermittelt für beide Standorte erhebliche Investitionen, die absehbar nicht im städtischen Haushalt dargestellt werden können.”
Was also tun? – Man bringt erst einmal die Modernisierung des alten Schulgebäudes an der Lortzingstraße in Gang – und hält sich den Bau eines Erweiterungsgebäudes für die Zukunft offen: “Aus diesem Grund soll das Naturkundemuseum Leipzig mittelfristig am jetzigen Standort Lortzingstraße 3 baulich ertüchtigt und weiterentwickelt werden (ein Ergänzungsneubau wird damit zurzeit nicht weiter verfolgt).”
Die Kostenstudie aber zeigt, dass so eine Erweiterung an der Lortzingstraße für 5 Millionen Euro zu machen ist.
Der Standortvergleich aus dem Masterplan als PDF zum Download.
Die Studie zum Kostenrahmen Lortingstraße vs. Bowlingtreff als PDF zum Download.
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