Der Schuss ging nach hinten los. Selbst die "Bild"-Zeitung berichtet nach dem Fahrrad-Termin von Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal (Die Linke) am 29. Oktober im Projekt "Lebendige Luppe" von einem "Millionen-Flop". Am Donnerstag, 30. Oktober, versuchte sogar Reiner Engelmann, umweltpolitischer Sprecher der Leipziger Linksfraktion, seinem Bürgermeister zur Seite zu springen: "Forderungen der Naturschutzverbände und der SPD klingen plausibel - verfehlen jedoch den Adressaten."
Wenn es nach Adressaten ginge, würde wohl in Sachen Leipziger Auwald fast keine Adresse mehr stimmen. Denn aus Engelmanns Sicht trägt nur eine Behörde die Verantwortung für das, was im Leipziger Auwald passiert: die Sächsische Landestalsperrenverwaltung.
“Die Forderung, die Leipziger Luppe anzuheben und die Nordwestaue öfter zu fluten, erhoben durch die Umweltverbände und die SPD klingt plausibel”, sagt Engelmann. Und schiebt dann seinen Sack Bedenken gleich hinterher: “Leider vergessen die SPD wie auch die Umweltverbände immer wieder, wie die Gesetzlichkeit in Deutschland und Sachsen funktioniert. Das Nahlebauwerk an der Affeninsel ist Teil des Hochwasserschutzes und wird durch die entsprechenden Behörden als unabdingbar eingeschätzt. Dies ist in den entsprechenden Gremien immer wieder diskutiert und dekliniert wurden. Mit der ständigen Wiederholung von Forderungen, deren Verwirklichung nicht möglich ist, kann man keine konstruktive Politik machen. Man stellt sich in die Beliebigkeit und beschimpft nach Belieben den einen oder anderen Akteur.”
Nur haben das augenscheinlich SPD und CDU “in den entsprechenden Gremien” ganz anders eingeschätzt und vor einem Jahr einen Antrag zum Stopp des Neubaus des Nahleauslassbauwerks eingebracht. “Unabdingbar” ist an dem Bauwerk nichts, auch wenn es “die entsprechenden Behörden” immer wieder so behaupten.
“Wenn Bürgermeister Rosenthal den Vorstellungen der Kritiker gefolgt wäre, wäre gar nichts für den nordwestlichen Auenwald geschehen. Er hätte sich vergeblich gegen das Nahlebauwerk gestellt, wohlwissend, dass die Talsperrenverwaltung die zuständige Behörde ist”, benennt Engelmann die Behörde, die in Leipzig tatsächlich ihre Politik durchzieht, ohne dass die Stadt selbst sie als zuständige Umweltschutzbehörde zum Gespräch zwingt. Was als Kompromiss-Projekt “Lebendige Luppe” entstehen soll, sieht Reiner Engelmann als eine Art Schadensbegrenzung: “Nicht desto trotz wird durch die Stadt Leipzig Schadensbegrenzung betrieben. So mit den vielfach zitierten Maßnahmen zum Erhalt und der Entwicklung des Auwaldes. Eine Chance eröffnet sich vielleicht dann, wenn es gelingen sollte, die künstliche Geschiebefalle – als solche wirkt das Elsterflutbett – zu beseitigen. Die Lösung ist eine mäandrierende Elster in diesem Bereich, mit einer höheren Fließgeschwindigkeit und damit des Abtransportes von Geschiebe auch in die Nahle. (Diese fällt dann nicht weiter sondern wächst. Ein Anheben der Nahle ist auch nur eine temporäre Lösung!) Und man gibt den Leipzigern ein Stück Erholungsbereich zurück.”
Nur ist genau das kein Thema in den Diskussionen der Stadt mit der Talsperrenverwaltung – genauso wenig wie die Vorschläge der Umweltverbände, die auch deshalb den Diskurs mit dem Umweltdezernat gefordert haben, damit endlich einmal eine ganzheitliche und nachhaltige Lösung für die Nordwestaue gesucht wird oder wenigstens deren Chancen auf Verwirklichung abgeklopft werden. Bevor das nicht passiert ist, ist jedes “unabdingbar”, das in den Ring geworfen wird, reine Rhetorik – genauso wie die vielen”alternativlos” von Bundeskanzlerin Angela Merkel.Und weil der NABU genau diese Position vor dem Radausflug des Umweltbürgermeisters gemeinsam mit Ökolöwe und NuKla noch einmal formuliert hat, fühlt auch er sich jetzt auf einmal falsch verstanden.
“In verschiedenen Zeitungsartikeln wird zitiert, dass Umweltverbände wie der NABU-Regionalverband Leipzig das Projekt ‘Lebendige Luppe’ für ‘unnötig aufwändig und nicht zielführend’ halten. In einem anderen Artikel ist von einem drohenden ‘Millionen-Flop’ die Rede. Beides ist nicht zutreffend”, stellt der NABU in einer Presseerklärung extra fest – und betont seine Unterstützung des Projekts “Lebendige Luppe”. “Der NABU-Regionalverband Leipzig distanziert sich von diesen Behauptungen. Die Naturschutzverbände haben das Projekt befürwortet und ihre Zusammenarbeit bei Fragen der Auenrenaturierung angeboten. Insbesondere geht es um die Frage, in welches Gesamtkonzept zur Auenrenaturierung sich dieser Mosaikstein einfügen wird.”
Und NABU-Mann René Sievert dann noch einmal explizit: “Dass wir darüber hinaus unsere Vorstellungen zu Auenrenaturierung und Hochwasserschutz in öffentliche Debatten einbringen bedeutet nicht, dass wir das Projekt ‘Lebendige Luppe’ für einen ‘Millionen-Flop’ halten. Das Projekt ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung zum Erhalt der Biodiversität im Auenökosystem, was uns außerordentlich am Herzen liegt. Es geht darum, möglichst ein gemeinsames Handeln zum Schutz der Auenlandschaft zu erreichen.”
Aber genau daran fehlt es. Auch das haben die Umweltvereine noch einmal betont: Die Gespräche mit Leipzigs Stadtverwaltung tragen bislang reinen Alibi-Charakter.
Eine Passage aus dem LVZ-Bericht dazu am 30. Oktober hat den seltsamen Kurs der Leipziger Stadtverwaltung besonders deutlich gemacht. Dort stand unter der Überschrift “Neue Bäche für Nordwestaue – doch reicht das für ‘lebendige Luppe’?” zu lesen:
“Laut Rosenthal gebe es aber regelmäßige Treffen. ‘Unkontrollierte Überflutungen sind nicht zielführend. Es gibt ja auch schützenswerte Arten wie Amphibien’, nennt er ein Beispiel. Durch die neuen Bäche werde die Verbindung zum Grundwasserspiegel wiederhergestellt – mit positiven Folgen für die Artenvielfalt. Wie das funktioniert, werden Wissenschaftler von Universität Leipzig und Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung untersuchen. ‘Auf 42 Flächen haben wir den Status quo ermittelt, werden die Veränderungen registrieren’, so Biologin Carolin Seele. Der Bürgermeister verweist darauf, dass der Auwald kein Urwald sei. ‘Die Bürger nutzen unseren grünen Gürtel. Der Auwald hat auch eine Erholungsfunktion.’ Ganz abgesehen vom Hochwasserschutz.”
Da ist dann so einigermaßen alles zitiert, was das Umweltdezernat nun seit geraumer Zeit als “unabdingbar” ins Feld führt.
Tatsächlich sind die meisten seiner Argumente, was man mit gutem Recht “unter der Gürtellinie” nennen kann – von den “regelmäßigen Treffen”, die so nicht stattfinden, bis hin zur steilen These vom “Urwald”. Ganz abgesehen davon, dass der Auwald ein nach EU-Recht geschütztes Landschaftsschutzgebiet ist, in dem einiges von dem, was die Landestalsperrenverwaltung seit 2010 gebaut hat, nicht in dieser Form hätte gebaut werden dürfen – schon gar nicht ohne Einbeziehung der anerkannten Umweltverbände ins Planverfahren. Das ist bei der Verstärkung der Deiche an der Neuen Luppe genauso wenig passiert wie beim Nahleauslassbauwerk.
Und tatsächlich hat Heiko Rosenthal mit seiner Tour erst so richtig darauf aufmerksam gemacht, wie viel in seinem Dezernat nicht korrekt läuft.
Das Projekt “Lebendige Luppe” ist – wie es der NABU sagt – “ein wichtiger Beitrag zum Erhalt des Auenökosystems”, nicht mehr und nicht weniger.
Was es nicht ist, ist eine Lösung für den nachhaltigen Erhalt des Leipziger Auenwaldes. Dazu braucht es ein großes, abgestimmtes Konzept, das auch Lösungen für die Fragen bietet, die Reiner Engelmann angesprochen hat. Vielleicht sogar so etwas wie einen Runden Tisch. Nur darf niemand an dem Tisch sitzen, der qua Machtposition bei jedem abweichenden Vorschlag “unabdingbar” sagen darf und die Diskussion ist dann gleich wieder zu Ende.
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Die Wahrheit ist: Die “Lebendige Luppe” ist erst der Anfang dessen, was seit ein paar Tagen auch im Koalitionsvertrag von CDU und SPD formuliert ist. Auf Seite 77 zum Beispiel: “Der Schutz der biologischen Vielfalt ist eines der großen Ziele der Koalitionspartner im Bereich der sächsischen Naturschutzpolitik. Sachsen verfügt schon jetzt über eine große Anzahl qualitativ wertvoller Schutzgebiete. Zu deren Erhalt und Einbindung in ein landesweites Biotopverbundsystem für Zielarten soll ein kooperativer Naturschutz in Zusammenarbeit mit den Flächennutzern beitragen. Die Kommunen werden wir ermuntern, bei der Pflege der Kernflächen des Biotopverbundes die Fördermöglichkeiten des Förderprogramms ‘Natürliches Erbe’ aktiv zu nutzen. – Zur Erhaltung und Pflege des Naturerbes ist die Naturschutzpolitik der Koalition nicht allein auf den Schutz einzelner Gebiete oder Arten gerichtet, sondern berücksichtigt die Gesamtzusammenhänge. Konflikte mit Land? und Gewässernutzern, die sich aus der Ausbreitung von streng geschützten Tierarten ergeben, müssen durch Managementmaßnahmen gelöst werden.”
Das gilt auch für das Schutzgebiet Leipziger Auwald. Genauso wie das, was auf Seite 80 zum Thema “Hochwasserschutz” steht: “Wir treten für einen vorbeugenden Hochwasserschutz ein, der die Balance zwischen baulich?technischen Lösungen und natürlichem Wasserrückhalt einhält. Dazu gehören insbesondere die Schaffung von Retentionsflächen, die Anlegung von Polderflächen, Deichrückverlegungen, Bebauungsverbote und die Etablierung eines Auenprogramms sowie kontinuierliche Pflegemaßnahmen.”
Die Diskussion dieser Themen für das komplette Schutzgebiet “Leipziger Auwald” ist überfällig.
Die Presseerklärung des NABU als PDF zum Download.
Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD als PDF zum Download.
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