Wie immer bei solchen Veranstaltungen ist auch die Aula des Brockhausgymnasiums an diesem 10. September gut gefüllt. Wie immer bei diesem Thema sitzt der besorgte Bürger in den ersten Reihen und fühlt sich nicht ausreichend, zu spät oder gar nicht informiert, was da in seiner Nachbarschaft geschehen soll. In diesem Fall eine Notunterkunft auf drei Jahre für 200 Flüchtlinge vorrangig aus Syrien und dem Irak. Ein Abend an dessen Ende eine Frage steht: Wird's nun Probleme geben oder nicht? Und eine Antwort: Es liegt auch an Euch da im hohen Norden Leipzigs.
Was seitens der Stadt getan werden kann, muss getan werden, es ist eine sogenannte Pflichtaufgabe der Kommunen, die zugewiesenen Flüchtlinge aus den Erstaufnahmeeinrichtungen wie der in Chemnitz unterzubringen. Damit beginnt ein Abend im Brockhausgymnasium und mit einer Zahl. Über 1.400 Asylbewerber werden bis zum Ende des Jahres nach Leipzig gekommen sein, die Notwendigkeit von “Notunterkünften” ist wieder akut. Eine Zahl, welche so lange abstrakt klang, bis die Gewerbetreibenden und Anwohner der Zschortauer Straße 44, dem “Signal Iduna”-Haus, davon erfuhren, dass genau sie neue Nachbarn aus fernen, umkämpften Ländern bekommen werden.
Das Büro-Gebäude an der Kreuzung zur Essener Straße wird ab Anfang November 2014 eine neue Notunterkunft für 200 Flüchtlinge, soviel scheint bereits sicher, auch wenn das städtische Prüfungsverfahren dazu noch läuft. Landeskriminalamt und Leipziger Polizei haben ihr Go bereits gegeben, nun gehe es noch um die letzten Abschätzungen der Durchführbarkeit des Vorhabens. Doch es wird letztlich kaum ein Weg vorbeiführen – Anfang November muss alles fertig sein.
200 von derzeit 200.000 Menschen, welche im Jahr 2014 nach Deutschland vorrangig aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und dem kaukasischen Raum kommen, werden dann in einem Leipzig der über 530.000 Einwohner ankommen. Doch wer genau nach Leipzig kommt, das wissen auch Sozialamtschefin Martina Kador-Probst und Bürgermeister Thomas Fabian noch nicht, als sie sich den Fragen der rund 50 Gäste des Informationsabends im Saal des Gymnasiums stellen. Und diese gibt es reichlich.
Von den Möglichkeiten eines Spielplatzes für die Kinder der Flüchtlinge, über einen Zaun und dessen Höhe bis hin zu Einbruchsängsten der Gewerbetreibenden in der Umgebung und der immerwährenden Frage, “was das alles kosten wird” geht der bekannte Ringelrein der üblichen Vorab-Befürchtungen an diesem Abend. Und der ewige Vorwurf an die Verwaltung Leipzigs, man würde nicht rechtzeitig informieren, wenn es um solche Sachen geht.
Martina Kador-Probst hält gegen, es seien frühzeitig, hier vor mehr als einer Woche, Informationen an alle verfügbare Medien gegangen. Man habe vor dem Termin am 10. September auch noch mit Postwurfsendungen auf den Informationsabend hingewiesen. Zu wenige Zettel finden einige, sie hätten keinen erhalten. Und die Medien? Einige bemerken dann doch, dass sie offenbar gar keine Zeitungen mehr lesen und ihre Zeit im Netz sonst wo verdaddeln, aber nicht auf lokalen Nachrichtenseiten. Zu teuer die gedruckten Ausgaben für die einen, zu uninteressant für andere – bis jetzt, denn nun hat es etwas mit ihnen zu tun. Einige haben über Mund-zu-Mund-Propaganda von dem Abend und dem Vorhaben “Notunterkunft” erfahren. Und einer bekennt nach Ende der Veranstaltung freimütig, Internet habe er nicht und brauche er nicht.
Wie also informieren, wenn sich die Bürger in Thekla nicht informieren lassen wollen?
Was dann auch während der gesamten Veranstaltung auffällt: Das Informationsdefizit einiger ist in der Tat riesig, trotz mehrerer medialer Debatten zum Thema, ein Nährboden für Ängste, welche nach den Erfahrungen des Jahres 2013 nicht bestehen müssten. Dass Flüchtlinge bereits mehrfach medizinisch durchgecheckt wurden, bevor sie nach Leipzig kommen, wissen jedenfalls nach wie vor nicht alle der Anwesenden. Und immer wenn es konkret wird, keimt auch an diesem Abend die Hoffnung, es könnte doch ein anderer Standort sein. Auch hier taucht es wieder auf, der schon 2013 wenig durchdachte Vorschlag der Leipziger CDU, das halbverrottete Gebäude an der Pragerstraße für eine Notunterkunft zu nutzen. In dem riesigen Plattenbau gegenüber der LVB-Zentrale saßen einst Teile der Verwaltung Leipzigs, bevor sie in das neue Technische Rathaus etwas weiter stadtauswärts zog.
Martina Kador-Probst weist kurz darauf hin, dass die Stadt und auch sie persönlich das Objekt geprüft hätten, wie so viele andere auch und es am für Theklaer weit entfernten Ort eben nicht ginge. Es sei schlicht zu teuer, hier normale, menschliche Standards herzustellen, “die Deckenplatten fallen herunter, die Heizkörper sind entfernt” und auch die Sanitäreinrichtungen seien in einem sehr schlechten, quasi nicht nutzbarem Zustand. Der jetzige Besitzer sei mit der Immobilie eher überfordert und tue nichts zur Sanierung oder wenigstens Instandhaltung.
In der Tat scheint die Stadt derzeit nicht genügend Angebote aus der Leipziger Immobilienwirtschaft und über die LWB zu haben, wie Thomas Fabian betont. Um wenigstens ansatzweise bei steigenden Zahlen der Flüchtlinge Schritt halten zu können, würde an einer Notunterkunft dieser Größe derzeit auf drei Jahre geplant kaum ein Weg vorbeiführen – dezentral, wie eigentlich durch die Stadt verfolgt, ist daran nichts mehr. Größer ist nur noch die Sammelunterkunft an der Torgauer Straße, in welcher bis zu 500 Personen unter teils unwürdigen Bedingungen leben.
Es ist eine Verdoppelung der Zuweisungen von Flüchtlingen nach Leipzig binnen eines Jahres, welche die Messestadt zu stemmen hat.
Was Thomas Fabian an diesem Abend zu einer durchaus freimütigen Aussage verleitet. Die Stadt müsse immer abwägen: Zwischen dem was finanziell vertretbar sei und dem, was die Menschenwürde gebietet. Was die finanziellen Zahlen, die Polizeistärke in Leipzig und die Sicherheitsmaßnahmen ins Spiel bringt. 1.101.600 Euro wird das Komplettpaket pro Jahr in der von der BSG Bayerisch-Sächsische Gesellschaft für Herbergen und Liegenschaften mbH (BSG) verwalteten Zschortauer Straße 44 kosten. Enthalten laut Stadtverwaltung Leipzig im Paket des Leipziger Unternehmens: “Hausbetreuung, Bewachungspersonal, Reinigungsleistungen im gesamten Objekt (außer Wohn- und Schlafräume), Wäschereidienstleistungen, Erstausstattung einschließlich der Büroausstattung, Ersatzausstattung Möbel, Verbrauchswerte wie Strom, Wasser/Abwasser, Wärme.”
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Die soziale Betreuung der Flüchtlinge wird mit weiteren 214.200 Euro in der Notunterkunft pro Jahr zu Buche schlagen. Dabei wird wohl der geringe Schlüssel von einem Betreuer auf 50 Bewohner gelten.
Am Abend selbst fällt nur die Zahl 1,3 Millionen. Eine Größenordnung, die einigen im Saal sichtlich die Zornesröte ins Gesicht treibt, ein Unternehmer bietet gar an, sein Unternehmen zu schließen, nur um keine Steuern mehr zahlen zu müssen. Der Chef des mit “Saunaclub Europa” umschriebenen Freudenhauses auf der Essener Straße droht mit Wegzug. Kein Verlust für das Viertel finden einige andere der Gäste des Abends, vielleicht könnte man dann das Gebäude für eine Begegnungsstätte für die Flüchtlinge und Anwohner umnutzen, heißt es später draußen an der frischen Luft.
Im Teil 2 geht es um weitere Eindrücke vom Infoabend, die Zahlen der Stadt, den Königsteiner Schlüssel, das Thema Angst um die Sicherheit und was die Bürger selbst tun können, um die neue Situation zu meistern.
Und eine ehrenamtliche Aktivistin, welche das Thema Umgang mit Flüchtlingen in Leipzig nicht mehr loslässt, kommt in einem Interview zu Wort.
Zum zweiten Teil vom 13. September 2015 auf L-IZ.de
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