Man wird das Gefühl nicht los: So richtig weiß Leipzigs Verwaltung nicht, wohin sie will. Wichtige Projekte liegen auf Eis, geraten ins Stocken, weil die Stadt keinen Zugriff auf wichtige Flächen hat. Am Jahrtausendfeld ist gerade der Traum von einem Gymnasium geplatzt. Auch Am Alten Zoll auf der Westseite des Hauptbahnhofs gehen gerade die Baupläne für ein Gymnasium flöten, weil Investor Aurelis seine Tätigkeit dort gestoppt hat. Jetzt soll der dritte Standort eines möglichen Gymnasiums hinterm Bayrischen Bahnhof gerettet werden. Per Rahmenvereinbarung.
Die Vorlage dazu begeistert gerade die Ausschüsse und soll am 16. Juli in die Ratsversammlung kommen. Drei Partner sollen dabei unter einen Hut kommen. Die Stadt hat dabei zumindest noch einen Hebel: den Bebauungsplan.- Ohne Bebauungsplan kann hier niemand losbauen. Aber ohne Geld geht hier für die Stadt Leipzig auch nichts.
Dabei hatte man 2010 so schön drauflosgeplant, als würde das attraktive ehemalige Bahngelände schon der Stadt gehören. Die Ratsversammlung hat im Frühjahr 2012 sogar eine “Rahmenvorlage zur Entwicklung des Stadtraumes Bayerischer Bahnhof auf Grundlage des Wettbewerbsergebnisses der Büros Wessendorf/Loidl beschlossen. Gleichzeitig wurde durch die Ratsversammlung ein Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan Nr. 397 “Stadtraum Bayerischer Bahnhof” sowie ein Beschluss zur Einleitung von vorbereitenden Untersuchungen zur Durchführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme nach §§ 165 ff BauGB gefasst.”, heißt es jetzt in der Vorlage des Planungsdezernats. “Wichtigstes Ziel der Rahmenvorlage war die Erstellung von vertraglichen Grundlagen für die weitere strategische Entwicklung des Gesamtgeländes unter Beteiligung aller relevanten Ämter (Koordinierungsrunden) und die Durchführung einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit. Die vorliegende Rahmenvereinbarung ist nach dem Wettbewerb im Jahr 2010 und dem Beschluss der Rahmenvorlage im Jahr 2012 als dritter wichtiger Meilenstein für die strategische Entwicklung des Gesamtareals Stadtraum Bayerischer Bahnhof zu verstehen.”
2012 hatte es – gemeinsam mit der DB Imm – eine Öffentlichkeitsbeteiligung mit einem ganztägigen Workshop und zwei Bürgerforen gegeben. Die am häufigsten geäußerten Wünsche waren neue Wegeverbindung, die Beseitigung der Ruinen der ehemaligen Gurkenfabrik (Gurken-Schumann), die zügige Öffnung der Areals für die Öffentlichkeit und die Schaffung eines Parks, der längerfristig Raum für neue Entwicklungen offen lässt.
Aber wie das so ist, wenn unbescholtene Bürger zu Workshops eingeladen werden: Ihnen fehlen die Detailkenntnisse. Sie kennen zwar “Gurken-Schumann”, wissen aber nichts über fehlende Kita-Plätze und Schulen. Und von der “Distillery” haben sie auch noch nie gehört.
Das wurde dann 2013 zum Thema: Die Leute von der Distillery wollten sich nicht einfach vertreiben lassen.
Für das Teilareal “Erweiterung Südvorstadt” (Areal nördlich der Distillery) sollte Anfang 2013 eine “Vertiefung des Wettbewerbsergebnisses erfolgen”, beschreibt nun die Verwaltung ihre eigene Blauäugigkeit. Die “Vertiefung” musste abgeblasen werden. “Hintergrund war die Diskussion um den Erhalt der Distillery im 2. Halbjahr 2013 (siehe Antrag Nr. V/A 446 vom 10.07.2013) sowie die Entscheidung, in diesem Areal abweichend von der bisherigen Planungen eine Grundschule einzuordnen. Diese beiden Änderungen machen es notwendig, das Gebiet – abweichend von der geplanten Struktur gemäß Wettbewerb – grundlegend neu zu ordnen und neue Prämissen für eine Planvertiefung zu setzen.”Auf so tönernen Füßen steht die Leipziger Schulplanung. Als würden die Ämter wirklich nicht miteinander reden. Dann wurde “im Oktober 2013 (…) für die Stadt sehr überraschend die Eigentümerstruktur geändert: Die potentiellen Bauflächen sind an die BBH Entwicklungs GmbH, eine 100 %ige Tochter der Leipziger Stadtbau AG, übergegangen. Seitdem gibt es für die Stadt mit der BBH und der DB Imm zwei Verhandlungspartner. Seit Januar 2014 ist ein Großteil der Flächen bereits aus der Bahnwidmung entlassen.”
So arbeitet nun wieder die Bahn, die bei ihren Arealverkäufen durch nichts und niemanden gezwungen ist, die Interessen der Kommunen (von denen sie die Flächen vor 150 Jahren zu günstigsten Konditionen bekam) zu berücksichtigen. Als Privater hat man in den Bieterverfahren sichtlich die besseren Karten.
Nun muss die Stadt ihre Wünsche an das entstehende neue Quartier per Vertrag durchsetzen bei DM Imm und BBH. Dazu gehört dann unter anderem auch “die Absicherung von ausreichend Flächen für die – auch gebietsinduzierte – soziale Infrastruktur (Kitas, eine Oberschule, ein Gymnasium und eine Grundschuloption)”. Mit besonderem Hinweis für die Stadträte: “Bezüglich der Schulflächen dient die Rahmenvereinbarung bzw. der parallel laufende Grundstückserwerb östlich des Bahntrogs lediglich der Flächenbevorratung für die soziale Infrastruktur. Der Bau bzw. die Finanzierung der Schulen ist explizit nicht Bestandteil dieser Vorlage.”
Östlich des Bahntrogs? Das ist das Quartier um die Straße des 18. Oktober. Gebraucht werden die Einrichtungen aber auf der westlichen Seite, der Südvorstadt.
Allein durch die anfallenden Ausgleichsmaßnahmen scheint schon jetzt die Schaffung eines Stadtparks gesichert. Die gewünschte neue Radroute soll durch den Rahmenvertrag gesichert werden: “In § 7 (1) der Rahmenvereinbarung ist eine Regelung für den Nord-Süd verlaufenden Hauptweg entlang des Bahntroges enthalten. Diese Hauptachse, welche zu einem Radschnellweg von der Leipziger Innenstadt in den Leipziger Südraum ausgebaut werden soll, war Maßgabe des Wettbewerbsverfahrens im Jahr 2010 und ist nach wie vor wichtiges Ziel der Stadt Leipzig. Kein anderes Areal innerhalb der Stadt bietet bessere Potentiale, um mitten in der Stadt effektiv neue, barrierearme Wege dieser Art abseits der Straßenverkehrs zu schaffen. Aufgrund noch fehlender Detailplanung ist zunächst nur ein Trassenkorridor für diesen getrennten Geh-Radweg freigehalten. Dieser wurde auch bei der Planfeststellung der Ausgleichsflächen für den Citytunnel berücksichtigt. Ausdrücklich zu betonen ist, dass der geplante Radschnellweg komplett nicht ursächlich im Zusammenhang mit den neuen Bauarealen im Stadtraum Bayerischer Bahnhof steht bzw. funktional mit diesen Entwicklungen zu begründen ist. Das heißt, dass BBH die Errichtung eines getrennten Geh- und Radweges in einem normalen Ausbaustandard übernehmen wird, der für den Stadtpark angemessen ist. So wird eine durchgängig funktionsfähige Wegegrundausstattung gewährleistet.”
Die Sache mit dem nötigen Geld muss später geklärt werden. “Insbesondere die Schulbaukosten und damit zusammenhängende längerfristige Folgekosten sind nicht Bestandteil dieser Vorlage”, betont das Planungsdezernat. “Vielmehr ist die Rahmenvereinbarung als Fahrplan für die weiteren Entwicklungsschritte und die daraus resultierenden späteren Beschlüsse (B-Pläne, Schulbau usw.) zu verstehen. Mit der Rahmenvereinbarung ergibt sich für die Stadt wie geplant eine alternative Steuerungsmöglichkeit zu einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme.”
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Die Industriebrache Gurken-Schumann …
Vorne hui, hinten vergittert: Pro Bahn fordert Abbau der Zäune hinterm Bayrischen Bahnhof
Carsten Schulze vom Fahrgastverband …
Der Stadtrat tagt: Distillery soll bleiben, wo sie ist
Die Distillery hat die Zustimmung …
Wie weiter mit der Distillery? Grundstücke um Bayrischen Bahnhof gehen an Leipziger Stadtbau AG
Der Kaufpreis ist vertraulich …
Und auch die Südseite des S-Bahn-Zugangs kommt so langsam auf die Tagesordnung. Es soll sogar noch 2014 eine Lösung geben: “Für die derzeit unbefriedigende Anbindung der S-Bahnstation Bayrischer Bahnhof – Südzugang (lediglich Weg Richtung Straße des 18. Oktober) wurde Ende 2013 außerhalb dieser Rahmenvereinbarung gemeinsam eine Lösung gefunden. Auf Drängen der Stadt ist durch Ergänzung der Planfeststellung zum Citytunnel Leipzig seitens des Eisenbahnbundesamt eine zusätzliche Anbindung in Richtung West (Kohlenstraße) durchgesetzt worden. Entsprechende Planungen befinden sich derzeit in Abstimmung.”
Im Beschluss steht dann nicht nur die Rahmenvereinbarung “Stadtraum Bayrischer Bahnhof” zwischen Stadt, DB Imm und der BBH Entwicklungs GmbH, sondern auch der Hinweis auf die Kosten, die da in den nächsten Jahren auf die Stadt zukommen: “Bei den Grundstückskaufverhandlungen für die soziale Infrastruktur sind die Beräumungskosten, die Altlasten, der gebietsinduzierte Schulplatzbedarf und die Besonderheit der bahntechnischen Rückverankerungsflächen zu berücksichtigen.”
Die Vorlage zum Nachlesen: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/111EFA84754ABBEDC1257D000027D31D/$FILE/V-ds-3898-text%20-%20Kopie.pdf
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