Es war eine dieser elend langen, mit Beschlüssen vollgepackten Stadtratssitzung am 19. Juni 2013, als in den späten Abendstunden gleich im Paket Beschlüsse zu den 17 Leipziger Sanierungsgebieten durchgepeitscht wurden. Vom Inneren Süden bis Neuschönefeld. Alles, was seit 1991 in Leipzig als Sanierungsgebiet definiert worden war. Eigentlich ging es nur um die "Heilung" der alten Sanierungssatzungen. Aber irgendwie ging es auch schon da um das Ende der Projekte. Und um Geld.

Denn wenn Sanierungsgebiete ihre Ziele erreicht haben, werden sie aus der Sanierungssatzung entlassen. Und das passiert nicht ohne Geldfluss. Zumindest in Sachsen. Denn wenn so ein einstmals ruinöses Stadtquartier wieder bebaut ist, wenn Leben und Arbeiten wieder funktionieren, Straßen saniert und bebaut sind und die Grundstückspreise wieder gestiegen, geht man im Grunde davon aus, dass die Grundstücksbesitzer im Gebiet ihren Schnitt gemacht haben. Dann kommt Vater Staat und will seinen Anteil an der Wertsteigerung. Aber was ist, wenn es gar keine Wertsteigerung gab?

Das erleben derzeit Grundstücksbesitzer in einem Teil von Connewitz, der per Bekanntmachung der Stadt als erster aus der Sanierungssatzung entlassen wurde. Es ist das Gebiet um die Meusdorfer, die Herrmann- und die Leopoldstraße zwischen Wolfgang-Heinze- und Biedermannstraße. Der Herderplatz liegt mittendrin. Aktuell sei nicht wirklich ein Zeitpunkt, an dem man Connewitz aus der Sanierungssatzung hätte entlassen können, sagt Ronald Linke, Vorstandsvorsitzender von Haus & Grund Leipzig. Gerade die letzten fünf Jahre waren auch in diesem Teil von Connewitz überschattet von diversen Zerstörungen, Graffiti und zum Teil heftigen Auseinandersetzungen. Das dämpft nicht nur die Mieten, sondern auch die Verkaufspreise in Connewitz.

Letzteres Problem haben natürlich alle Sanierungsgebiete in Leipzig. Erst seit wenigen Jahren spüren die Leipziger Hausbesitzer, dass die Bevölkerung wieder wächst. In den 1990er Jahren machten sie allesamt Durststrecken durch. Den Puffer, jetzt einfach mal 1.000 oder 10.000 Euro an die Stadt zu zahlen, haben sich nur wenige aufbauen können. Im Gegenteil. Viele müssen nach 20 Jahren wieder Geld in die Hand nehmen, um die regulär anstehenden Sanierungen zu stemmen. Oder haben noch alte Hypotheken abzutragen.

“Haus & Grund hatte bereits vor einem Jahr die Art und Weise der Beschlussfassung und die Fehlerheilung öffentlich kritisiert. Schon vor den Stadtratsbeschlüssen vor etwa einem Jahr hatte Haus & Grund Leipzig deshalb öffentlich gefordert, die Beschlussfassung zu den Heilungssatzungen im Stadtrat auszusetzen und Bürger anzuhören. Dazu kam es allerdings nicht”, stellt Ronald Linke, Vorstandsvorsitzender von Haus & Grund Leipzig fest. Damals habe man auch über die Summen gesprochen, die für den Leipziger Markt verträglich sind. “Über die Höhe hätte man reden können”, sagt Linke. “Und bei einer marktverträglichen Höhe hatten wir auch als Interessenvertretung ganz anders agieren können.”

Jetzt aber überlegten in Connewitz einige Hausbesitzer, ob sie verkaufen. Verkaufen müssen.

Aber die Stadt blieb bei ihren Vorstellungen. Zwar geht es nicht um abschöpfbare Beträge einer Wertsteigerung. “Anfang der 1990er Jahre waren die Grundstückspreise in Connewitz noch höher als heute”, sagt René Hobusch, der bei Haus & Grund Mitglied im Vorstand ist. “In der Diskussion im Stadtrat habe ich mich ganz bewusst als befangen zurückgehalten.”

Trotzdem kann er dem nächtlichen Paketbeschluss vom 19. Juni 2013 nicht viel Gutes abgewinnen. Das damals gewählte Eilverfahren hält er für bedenklich. Die Stadträte bekamen die Unterlagen wie so oft erst sehr spät in die Hand, die Beschlüsse fanden ohne größere Diskussion und praktisch “in einem Aufwasch” statt. Eine ganze Reihe formaler Fehler listet Ronald Linke auf. Und auch die damals beschlossenen Heilungssatzungen seien nicht ganz fehlerfrei. Insbesondere bedenklich findet er, dass es überhaupt keine Abwägung gab, ob die Sanierungsziele tatsächlich erreicht wurden.

Haus & Grund Leipzig hat nun im Juni zum Sanierungsgebiet Connewitz zusammen mit einem Grundstückseigentümer ein Normenkontrollverfahren gegen die Stadt Leipzig eingeleitet. Damit soll vom Sächsischen Oberverwaltungsgericht festgestellt werden, dass die Fehlerheilungssatzung zum gesamten Sanierungsgebiet Connewitz für nichtig erklärt wird.

Ist das Normenkontrollverfahren erfolgreich, steht damit die gesamte Erhebung von Ausgleichsbeträgen im Sanierungsgebiet Connewitz womöglich vor dem Aus. Darüber hinaus muss die Stadt eventuell hohe Fördermittelbeträge an Land, Bund und EU zurückzahlen.

Die Fehlerheilungssatzungen dienen der Stadt als Grundlage, von etwa 20.000 Grundstückseigentümern in Leipzig, die ihre Immobilien in den 17 Sanierungsgebieten haben, Ausgleichsbeträge zu erheben. Die Stadt Leipzig verspricht sich davon Einnahmen von 30 Millionen Euro.

Doch ein Gutachten der Stadt kommt nach Kenntnis von Haus & Grund auch zu dem Schluss, dass das Eintreiben von 1 Million Euro einen Kostenaufwand von 1,5 Millionen Euro verursacht. Dabei spielen jene Grundstücksbesitzer eine Rolle, die gegen den Bescheid klagen werden. Dabei spielen aber auch all jene eine Rolle, die das Geld einfach nicht flüssig haben, die es z. B. viel dringender für Sanierungen, Fassadenreinigung oder Hypothekendienst brauchen.Probleme, die nicht ganz neu sind. Auch in Sachsen-Anhalt hatte man diese Probleme. “Dort hat man dann im Landtag beschlossen, die Sanierungsbeiträge grundsätzlich zu deckeln”, sagt Linke. Und das wäre sehr wohl auch ein Vorschlag für die sächsische Politik. Auch der sächsische Landtag könne Ähnliches beschließen.

“So lange die Regelung in Sachsen so ist, müssen die Beträge erhoben werden”, sagt Hobusch. Die Stadt könne gar nicht anders.

Sie könne die Beitragshöhe ändern. Habe aber wohl eine hohe Motivation, die Beträge früher zu kassieren, denn so könne sie die Einnahmen komplett verbuchen. Nach Aufhebung der Sanierungsgebiete müsste Leipzig mit den ursprünglichen Geldgebern – Bund und Land – teilen. Deswegen versuche die Stadt, die Grundstückseigner in Connewitz auch schon mit 20 Prozent Rabatt zu überzeugen. Der Normenkontrollantrag beim OVG Bautzen freilich hat keine aufschiebende Wirkung. Aber wenn die Bescheide zugestellt werden, könnten natürlich die einzelnen Grundstücksbesitzer klagen.

Was alles nicht nötig gewesen wäre, so Ronald Linke, wenn die Stadt mit den Interessenvertretern der Hausbesitzer im Gespräch geblieben wäre.

Aber die wichtigste Frage für ihn bleibt: Wurden die Sanierungsziele in Connewitz tatsächlich schon erreicht? Aus seiner Sicht ist das nicht der Fall.

Nach dem Fördergebietskatalog von Leipzig wurden im Sanierungsgebiet Connewitz zwischen 1992 und 2009 insgesamt 16 Millionen Euro an Fördermitteln ausgegeben. Die Stadt geht bei ihren Betragsbemessungen davon aus, dass die eingesetzten Fördermittel tatsächlich einen Wertverfall in Connewitz verhindert hätten. Und dieser vermutete sonst eingetretene Wertverfall wird zur Bemessung herangezogen.

Aber auch die Hausbesitzer in den anderen Sanierungsgebieten schauen mit Sorge nach Connewitz. Denn wenn ihre Ortsteile aus der Sanierungssatzung entlassen werden, flattern auch ihnen die Bescheide ins Haus. Als nächstes, so Ronald Linke, wäre wohl das Sanierungsgebiet “Innerer Süden” dran, also die Südvorstadt. Dort wurden immerhin 21 Millionen Euro investiert – der größte Teil zwischen 1994 und 2004.

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Bautzen aber wäre auch für alle anderen Kommunen in Sachsen von Bedeutung, so Linke. Die Problemlagen seien überall ganz ähnlich. Und Leipzig wäre eine Art Exempel.

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