Das gab's jetzt lange nicht. Aber so langsam werden auch Leipzigs Stadträte munter. Nicht nur in Sachen Wohnungspolitik. Auch in der für Leipzigs sehr sensiblen Frage: Wieviele Freiräume und Alternativwohnformen braucht so eine Stadt? Oder sind sie verzichtbar, wenn ein Ortsteil wie Schleußig zum Edelwohnort wird? - Im Fall der ehemaligen Elsterwerke in der Holbeinstraße 28 a haben sich Stadträte nun fraktionsübergeifend zu einer Stellungnahme zusammengetan.

Die Elsterwerke in der Holbeinstraße im Leipziger Stadtteil Schleußig, welche sich seit 2012 im Besitz der KSW GmbH befinden, sollen nach Vorstellung des Investors grundlegend saniert und zu hochwertigen Premium-Wohnungen ausgebaut werden. Die langjährigen Bewohner der ehemaligen Industriebrache haben bereits die Kündigung ihrer Wohnungs-Mietverträge erhalten.

Seit der Kündigung der Mietverträge haben sich mehrere seltsame und zum Teil bedrohliche Vorfälle ereignet, deren Urheberschaft unklar ist, jedoch im zeitlichen Zusammenhang mit der laufenden Entmietung sehr bedenklich erscheinen, stellen Juliane Nagel (Fraktion Die Linke), Mathias Weber (SPD-Fraktion) und Michael Schmidt (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen) in einer gemeinsamen Stellungnahme fest. So wurden unter anderem Türen ausgebaut und Mieteinheiten abgerissen, ohne dass der Schutt beräumt wurde, Elektroleitungen blieben wochenlang ungesichert liegen. Auch ein Versorgungsanschluss wurde (versehentlich) zertrennt, so dass Wasser in die Elektroanlage im Erdgeschoss sickerte. Mehrfach wurde die KSW GmbH schriftlich und telefonisch aufgefordert, die Sicherheit im Haus wiederherzustellen. Doch der Eigentümer samt Hausverwaltung blieb untätig.

Die beunruhigten Bewohner sollen nun unter Androhung von Zwang und Vollstreckung innerhalb von vier Wochen ihre langjährigen Wohnungen räumen.Zu diesem Sachverhalt, der auch von einer gewissen Rücksichtslosigkeit gegenüber den Bewohnern solcher Wohnobjekte erzählt, wenn ein Sanierungsvorhaben unbedingt durchgezogen werden soll, äußern sich die Stadträte Michael Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen), Mathias Weber (SPD) und Juliane Nagel (Die Linke) kritisch.

Juliane Nagel: “Mit den Elsterwerken in Schleußig verliert Leipzig einen weiteren Ort alternativer, engagierter Lebens- und Wohnmodelle, die mit ihrem besonderen Flair die Stadtteile soziokulturell prägen und Ausdruck der lebendigen Vielfalt und Kreativität einer Stadt sind. Die Bewohner haben über die Jahre die ehemalige Industrieimmobilie zu einem alternativen Wohnprojekt entwickelt, viele Kinder wohnen mittlerweile dort und genießen die Nähe zum Fluss. Dass dies jetzt alles wegfallen soll und Wohnraum entsteht, der in totalem Kontrast zum Bestehenden erscheinen wird und zudem in einer Preisklasse angebunden ist, den sich Studenten, Kreative und andere Menschen mit durchschnittlichem Einkommen nicht mehr werden leisten können, steht sinnbildlich für eine einkehrende Gentrifizierung. Dem muss zukünftig noch stärker als bislang mit einer Stadtentwicklung, die sich dem dauerhaften Schutz alternativer Wohnprojekte verpflichtet sieht, entgegengewirkt werden.”Mathias Weber ergänzt: “Im Falle der Elsterwerke wurde der wesentliche Teil der gravierenden Brandschutzmängel erst von der KSW selbst verursacht, indem u. a. von leer stehenden Wohnungen und aus allgemein zugänglichen Gängen Brandschutztüren entfernt wurden. Das danach von der KSW selbst in Auftrag gegebene Brandschutzgutachten konnte somit zu keiner anderen Einschätzung kommen. Im Anschluss wurde noch die Feuerwehr durch das Objekt geführt. Die Folge: Dem Bauordnungsamt ergeht ein Hinweis der Branddirektion, welches anschließend eine umgehende Nutzungsuntersagung den MieterInnen anordnete. – Hierin liegt die Crux. Die Stadtverwaltung darf nicht noch zum Handlanger von Luxussanierern werden, die ihre Altmieter kostengünstig los werden wollen. Auch in Schleußig gilt §14 Absatz 2 des Grundgesetzes: Eigentum verpflichtet! Diese Verantwortung ging auch die KSW mit dem Kauf des Objektes und der Übernahme der Mietverträge ein. Die Unbewohnbarkeit von Mietsachen bedeutet in der Regel 100 % Mietminderung, die Zurverfügungstellung von Ersatzwohnungen und die schnelle Beseitigung der Defizite. Im Zweifel wird das ein Zivilgericht klären. Die MieterInnen, die nun binnen kürzester Zeit ihr Zuhause aufgeben und umziehen sollen, müssen jetzt längere Räumungsfristen von der Stadt erhalten.”

Michael Schmidt: “Mich schockiert in diesem Zusammenhang die Vorgehensweise des Investors. Die KSW ist ein Bauträger, der in der gesamten Stadt agiert und unmittelbar vor der Aufnahme seines Vorzeigeobjektes, der Sanierung der alten Hauptpost, steht und für mich mittlerweile in einem anderen Licht erscheint. Wie ich gehört habe, war die KSW zu keinem Zeitpunkt bereit, offene Gespräche mit den Bewohnern der Elsterwerke zu suchen. Die KSW sorgt mit ihrem Vorgehen für neue traurige Verhältnisse in Leipzig und disqualifiziert sich in meinen Augen als Partner der Stadt. – Generell erwarte ich von Seiten aller Investoren einen fairen Umgang mit den Mietern und eine Gesprächsbereitschaft zur Lösungsfindung. Hier muss die Stadtverwaltung ihren Einfluss stärker ausüben. Vorstellbar ist dies auch über die Entwicklung einer Mieterberatung, die gerade auch für die Sanierungsgebiete Mittler zwischen Mieter und Vermieter oder Investoren sein kann. Kurzfristig muss ein Mediationsforum einberufen werden. Wir fordern den Oberbürgermeister daher auf, schnellstens mit dem Investor in Kontakt zu treten und ihn mit den Mietern an einen Tisch zu bringen, um im Sachverhalt um die Elsterwerke und ihrer Bewohner einer einvernehmlichen Lösung zu erreichen.”

Alles Dinge, die auch deutlich machen, dass auch die Stadtverwaltung ihren Blick auf den Leipziger “Wohnungsmarkt” ändern muss. Denn das, was in der Holbeinstraße passiert, ist kein Einzelfall. Doch die Betroffenen stehen jedes Mal als “Einzelfall” allein da. Wenn Quartiere wie Schleußig wieder für Investoren und Sanierer attraktiv werden, fühlt sich Leipzigs Stadtverwaltung in keiner Weise mehr verantwortlich für jene, die Wohnlagen durch ihre Pionierbesiedlung oft erst wieder mit Leben erfüllt haben. Dass sie nicht zu jenen gehören, die die neuen Mieten zahlen können, liegt oft in der Natur der Sache.

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