Was macht man eigentlich als Fraktion, wenn die Vorlagen der Verwaltung voller unklarer Stellen sind, die nicht nur lauter Fragen aufwerfen, sondern eigentlich erst stutzig machen? - Zwei solcher Stellen haben die SPD-Fraktion beschäftigt im Hochwasserschutzkonzept, das Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal am 19. März vorgelegt hat.
Oder genauer – da die Stadt Leipzig ja “kein Hochwasserschutzkonzept” hat: das “Mittelfristige Programm zur Finanzierung von Hochwasserschutz- und ausgewählten Gewässerentwicklungsmaßnahmen für Gewässer der II. Ordnung in der Stadt Leipzig”. Denn in die Hochwasserschutzmaßnahmen an den Gewässern 1. Ordnung (Parthe, Elster, Luppe) mischt sich das Leipziger Umweltdezernat ja nicht ein. Das überlässt man gern der Landestalsperrenverwaltung.
Aber um die Stadt vor starken Hochwasserereignissen zu schützen, müssen auch die Gewässer im Innenstadtgebiet als Abfluss funktionieren. Hier kleckert Leipzig – wie im Grunde alle Kommunen im Freistaat – hinterher. Der Freistaat Sachsen hat sich seit der Flut 2002 voll und ganz auf seine technischen Bauwerke an den Gewässern 1. Ordnung konzentriert und dort mittlerweile 1,6 Milliarden Euro verbaut. Dafür fehlte dann das Geld, um auch die Kommunen bei ihrem Teil des Hochwasserschutzes entsprechend zu unterstützen.
Auch Leipzig sah hier in den vergangenen Jahren nicht viel Handlungsbedarf, wenn man von einigen Problempunkten wie dem Gebiet der Nördlichen Rietzschke absieht. Aber die Hochwasserereignisse von Januar 2011 und Juni 2013 zeigten, dass nicht nur die Weiße Elster unter Druck kommen kann, sondern auch Zubringer aus dem “Hinterland” – die Parthe genauso wie die Pleiße. In Leipzig fließen seit Alters her die Wasser aller drei Flüsse zusammen.
Dass auch Elster- und Pleißemühlgraben eine wichtige Rolle im innerstädtischen Hochwasserabfluss inne haben, spielt im von Rosenthal vorgelegten Ausbauprogramm eine wesentliche Rolle. 48 Millionen Euro kostet es, wenn alle in seinem Programm aufgelisteten Maßnahmen umgesetzt werden. Um sie zu finanzieren, muss die Stadt in den nächsten Jahren über 18 Millionen Euro an Eigenmitteln aufbringen.
Aber: Es sind nicht alle Maßnahmen mit Geld untersetzt. Eine steht nur mit Fragezeichen drin. Das fiel auch der SPD-Fraktion auf.
Bei einer anderen, die das Umweltdezernat schon einmal forsch für 2014 terminiert hat, ist derzeit noch fraglich, ob sie so überhaupt gebaut werden muss. Es handelt sich um das Hochwasserschutztor am Karl-Heine-Kanal, das den Kanal bei Hochwasser in der Weißen Elster absperren soll. 625.000 Euro soll das Sperrwerk kosten, das derzeit überhaupt noch nicht gebraucht wird. Denn weder für den existierenden Kanal, noch für das neue Teilstück, das bis 2015 fertiggestellt wird, noch für den Lindenauer Hafen stellt der erhöhte Wasserstand ein Problem dar. Das Problem könnte erst auftauchen, wenn auch das fehlende Teilstück vom Lindenauer Hafen zum Elster-Saale-Kanal geöffnet wird. Um den Elster-Saale-Kanal zu schützen, könnte das Hochwasserschutztor sogar hinter dem Lindenauer Hafen gebaut werden.
Auch wenn in Rosenthals Vorlage forsch steht: “Vorhaben dient zur Absicherung des Lindenauer Hafens und des Elster-Saale-Kanals gegen Hoch-und Niedrigwasser und ist eine wasserrechtlich fixierte Forderung im Wasserrechtsverfahren Gewässerverbindung Karl-Heine-Kanal – Lindenauer Hafen.”
“Die Notwendigkeit des Hochwasserschutztores Karl-Heine-Kanal (Maßnahme 30) und der mögliche Standort dieses Tores wird noch einmal intensiv überprüft und im Bau- und Finanzierungsbeschluss detailliert dargestellt”, hatte die SPD-Fraktion deshalb beantragt. Sie hat diesen Punkt aus dem Antrag aber zwischenzeitlich wieder zurückgenommen.Den ersten Beschlusspunkt aber ließ die SPD-Fraktion im Verfahren. Und der beschäftigt sich mit dem großen Fragezeichen in Rosenthals Vorlage: “Die hochgradig sensible ökologische Funktion des Floßgrabens ist in allen Untersuchungs- und Planungsstufen zu betrachten. Die Beteiligung der Umweltverbände ist sicher zu stellen.”
Was schon eine Art kleine Rüge ist, nachdem die Verwaltung in den letzten Jahren eher reserviert bis gleichgültig mit den Umweltverbänden umgegangen ist. Das betrifft auch und gerade den Floßgraben, über dessen wichtige Rolle in der Biodiversität des südlichen Auwaldes die Stadt auch schon vor Entschlammung und Ausbau des Grabens zur wassertouristischen Nutzung Bescheid wusste. Der Eisvogel war auch vor diesen Baumaßnahmen da. Und dass das Umweltamt der Stadt 2013 und 2014 nun darauf reagieren muss, dass der Vogel wieder in seinem angestammten Revier brütet, macht nur deutlich, wie sensibel das Gebiet ist, über das man Leipzig mit den Tagebauseen im Süden verbinden will.
Der Floßgraben ist dabei sogar noch für einen anderen Zweck vorgesehen: als Hochwasserableiter.
Und genau das ist die Nr. 43 in Rosenthals Vorlage: Der Floßgraben soll ausgebaut werden zur “Verbesserung der Wasserableitung aus dem Tagebausee Zwenkau, Verbesserung der Ableitung von behandelten Abwässern aus der Kläranlage Markkleeberg, Verbesserung der Abflußleistung für den Grundwasserwiederanstieg, diverser Mischwasserzuflüsse und der Regenentwässerung. Umsetzung der WRRL durch Verbesserung der Gewässerstruktur, temporärer Anbindung von Alt- und Nebengewässern sowie Entwicklung einer gewässertypischen Ufervegetation.”
Der Punkt ist mit keiner Kostennote untersetzt. Um welche Probleme es dabei geht, wurde in jenem 2013 für die Stadt erstellten Gutachten zum Floßgraben deutlich. “Der Floßgraben unterliegt als Folge der bergbaulichen Nutzung in seinem EZG keinem natürlichen Abflussregime mehr. Das kann auch nicht wiederhergestellt werden. Wassermengen und Wasserspiegel müssen gesteuert werden, um den ökologischen Mindestabfluss zu sichern und die wasserwirtschaftliche und wassertouristische Nutzung zu ermöglichen. Auf Grund der geringen Geländeneigung und Wasserzuführung aus dem Grenzgraben bzw. dem Cospudener See ist die Fließgeschwindigkeit des Floßgrabens bei Niedrig- bis Mittelwasser sehr gering (< 0,1 m/s). Der Wasserspiegel des Floßgrabens wird im Wesentlichen durch das Connewitzer Wehr mit 108,8 m NHN bestimmt. Damit liegt der Floßgraben in vergleichbarer WSP-Höhe zur benachbarten Pleiße und höher als die Weiße Elster unterhalb der Wehranlage Großzschocher.”
(EZG ist dabei das Einzugsgebiet, WSP der Wasserspiegel.)
Die Stadt hat eine Zeit lang versucht, den Grenzgraben als zusätzlichen Wasserzuleiter zu aktivieren. Durch Öffnung des Durchlasses an der Weißen Elster hätte der Grenzgraben mehr Wasser in den Floßgraben bringen können. Doch das Gutachten erwähnt die Bauchschmerzen, die die Landesdirektion mit den Plänen hat. Diese bevorzugt den zusätzlichen Wasserzulauf aus dem Zwenkauer See, der ja 2013 erstmals als Hochwasseraufnahmebecken funktionierte. Nach Fertigstellung des Harth-Kanals 2018 soll Wasser aus dem Zwenkauer See auch über den Cospudener See und den Floßgraben abgeführt werden.
Der Eisvogel brütet wieder: Floßgraben ab sofort nur eingeschränkt befahrbar
Zur Sicherung der Brut- und Wohnstätten …
Am Floßgraben nichts Neues: Die Stadt Leipzig ignoriert seit Jahren die internationale Rechtslage
Was passiert eigentlich mit Konflikten …
Streit um den Floßgraben: Ein Gutachten von 2013 und die Pläne für einen 1 Million Euro teuren Mäander
Und weiter geht’s in der Eisvogel-Debatte …
Aber wirklich groß ist der Spielraum nicht. Denn wenn der Wasserspiegel im Floßgraben zu sehr steigt, gerät das Klärwerk Markkleeberg in Gefahr. Im 2013 erstellten Gutachten heißt es dazu: “Der Hochwasserabfluss muss durch Steuerungsmaßnahmen begrenzt werden, da ohne entsprechende Maßnahmen der Ablauf der Kläranlage Markkleeberg nicht gewährleistet werden kann. Im Bereich des Ablaufes der KA Markkleeberg darf der Wasserspiegel im Floßgraben nicht über einen Wert von 109,50 m NHN steigen. Die Berechnungsergebnisse für den technisch möglichen Hochwasserabfluss aus dem Cospudener See ergaben Wasserspiegellagen, die
über dem Grenzwert liegen. Durch eine Begrenzung der Abgabe aus dem Cospudener See soll die Wasserspiegellage im Bereich des Kläranlagenablaufes unter dem Grenzwert gehalten werden.”
Dazu kommen dann auch noch die im Gutachten erwähnten Pläne, einen alten Mäander der Batschke für 1 Million Euro auszubauen, um den Eisvogel eventuell zum Umzug aus dem Floßgraben zu bewegen. Alles in allem eine Menge Baumaßnahmen, mit denen am Floßgraben weitergewerkelt werden soll.
Verständlich, dass die SPD-Fraktion da nicht nur die übliche Anfrage an die Naturschutzverbände fordert, sondern ihre Einbeziehung.
Der Eisvogel im Floßgraben – ein Beitrag des NABU von 2008: http://nabu-leipzig.de/index.php?option=com_content&view=article&id=62:der-eisvogel-im-flossgraben-der-stadt-leipzig&catid=11:fachbeitraege-leipzigs-suedaue&Itemid=75
Das Mittelfristige Programm für die Gewässer 2. Ordnung: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/C3255674ADE34340C1257AB40033E0DA/$FILE/V-ds-2654-text.pdf
Der Bericht zur Gewässerentwicklung des Floßgrabens von 2013 als PDF zum Download.
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