Seit Donnerstag, 10. April, sorgt ein Stück alte Bahnstrecke für Aufregung in der Stadt. Es stand zu Verkauf. Am 28. März lief die Angebotsfrist aus, meldete die LVZ. Die Stadt hätte die alte Trasse für 25.000 bis 30.000 Euro erwerben können, um den Elster-Saale-Radweg auf städtischer Flur bis Kleinzschocher durchzubauen. Doch das war so nicht geplant, erklärte die Leiterin des Verkehrs- und Tiefbauamtes, Edeltraut Höfer.
Es stünde so auch nicht im 2012 vom Stadtrat beschlossenen Leipziger Radverkehrsentwicklungsplan 2010 – 2020. Das ist ein 200-Seiten-Papier mit vielen Karten. Einen besonderen Schwerpunkt Radwanderwege findet man dort nicht, nur einen kleinen Menüpunkt zur Einordnung Leipzigs ins übergeordnete Radwegenetz. Das Papier ist typisch für Leipzig: Es verschwendet dutzende Seiten auf die Erklärung der Bedeutung und politische Rolle des Radverkehrs. Aber es hat an keiner Stelle ein logisches System, eine sinnvolle Struktur.
Der Kauf der alten Bahnstrecke steht wirklich nicht drin.
Was aber nicht heißt, dass sich in der Verwaltung und auch in anderen offiziellen Gremien nicht schon seit Jahren mit dem Thema beschäftigt wurde. Im Grünen Ring Leipzig zum Beispiel, der sich nicht nur mit Wasser- und Wanderwegen in und um Leipzig beschäftigt, sondern auch mit dem Radwegenetz.
Heike König, Geschäftsführerin des Grünen Ringes und außerdem Stadträtin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, erklärt zu diesem Kaufverzicht des alten Bahndammes: “Die alte Bahnstrecke zwischen Plagwitz und Lausen ist für einen vergleichsweise geringen finanziellen Aufwand zu kaufen, daher erscheint es mir absolut verantwortungslos, wenn die Stadt die Fehler der vergangenen Jahre, denen sie eigentlich abschwören wollte, wiederholt. Zu oft sind zahlreiche innerstädtische attraktive Flächen in die Hände privater Investoren gefallen und stehen jetzt, wo sie dringend für Wohnungsbau und Bildungs- und Sozialeinrichtungen gebraucht werden, entweder nicht mehr zur Verfügung oder müssen für deutlich mehr Geld zurückgekauft werden.”
Die Geschichte um den Elster-Saale-Radweg hat schon einen Bart: PRO Leipzig e.V., die Städte Lützen und Markranstädt, der Grüne Ring Leipzig sowie auch Teile der Stadtverwaltung bemühten sich seit Mitte der 1990er Jahre, einen Kauf der Strecke zu erreichen und die Nutzung für die Weiterführung des Elster-Saale-Radweges (ESRW) auf oder entlang der alten Bahntrasse zu ermöglichen. Zahlreiche regionale Akteure forderten viele Jahre lang die Wiederbelebung der alten Bahntrasse Plagwitz-Pörsten, die bisher an Leipzigs Grenze endet. 2009 baute die Stadt Markranstädt ein 7,2 km langes Stück mit finanzieller Unterstützung des Grünen Ringes Leipzig und hat die letzte Lücke von 120 Meter auf seiner Gemarkung hin zur Stadt Leipzig im Jahr 2010 geschlossen. Lützen baute ein fehlendes Stück in Höhe Ortslage Meuchen bis Landesgrenze ebenfalls in 2010. Bis zur Stadtgrenze von Leipzig wird der ESRW seit 2010 also vollständig auf der Trasse der Bahnlinie Leipzig/Plagwitz – Pörsten als touristischer Radweg geführt.
Ein Zustandekommen auf Leipziger Seite scheiterte immer an der Uneinigkeit innerhalb der Leipziger Stadtverwaltung, deren Spitze diese attraktive Variante letztlich nicht wollte. Obwohl eine 2004 in Auftrag gegebene Studie die Bahnstrecke als Vorzugsvariante empfiehlt, landete sie in der Schublade, die Stadt bevorzugt die Streckenführung durch Grünau über die Alte Salzstraße. Das ist aus touristischer Sicht komplett unattraktiv, die Strecke ist nicht selbsterklärend und logisch und die Alte Salzstraße ist auch nicht radfahrgerecht ausgebaut.
“Der Verzicht der Stadt Leipzig, den Kauf trotz eines endlich vorliegenden vergleichsweise guten Angebotes der DB auszuschlagen, ist völlig unverständlich, zumal durch die Einordnung als touristische Hauptradroute im SachsenNetzRad auch Fördermittel für den Bau abrufbar wären”, sagt Heike König. “Im Zusammenhang mit der Entwicklung des Plagwitzer Bahnhofsareals wurden hier schon viele Synergien verschenkt. Und selbst wenn die Stadt vor dem Hintergrund der schwierigen Stadtfinanzen eine Realisierung des ESRW an dieser Stelle in den kommenden Jahren verwerfen müsste, wäre der heutige Kauf als Flächenbevorratung von enormer Bedeutung und allemal wirtschaftlich.”
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat daher umgehend einen Antrag eingereicht, der die Verwaltung auffordert, sofort mit der Deutschen Bahn in Kontakt zu treten und den Kauf des alten Bahndammes in die Wege zu leiten. “Die Fehler der Vergangenheit, als Flächenverkauf vor Flächenbevorratung ging, und touristische Entwicklungspotenziale leichtfertig verworfen wurden, dürfen nicht erneut geschehen. Die Chance auf Wiedergutmachung sollte dringend genutzt werden”, betont König.
Und auch beim ADFC Leipzig findet man kein Verständnis für diese Fehlentscheidung. “Die Entscheidung, die Flächen nicht zu erwerben und somit für den Rad- und Fußverkehr nicht zu sichern, ist für den ADFC nicht nachvollziehbar,” äußert Dr. Christoph Waack, Vorsitzender des ADFC Leipzig, sein Unverständnis. Der ADFC hat gerade in Zusammenarbeit mit der Verwaltung den Netzplan für den Radverkehr erarbeitet. Ein Korridor sieht darin auch einen Anschluss an den bereits bestehenden Bahnradweg nach Lützen vor.
Die Führung über die Zschochersche Allee sei zwar für den Alltagsradverkehr hinnehmbar, aber wegen der dort verlegten Großverbundplatten nur wenig attraktiv, insbesondere auch für den Radtourismus auf dem Elster-Saale-Radweg.
“Für die umliegenden Gemeinden muss die Entscheidung wie Hohn und Spott klingen, hat doch die Stadt Leipzig die Nachbargemeinden vor Jahren noch bedrängt, die Bahnanlagen bis nach Lützen zu erwerben. Und nun ‘verschläft’ sie selbst den Anschluss,” kritisiert Dr. Christoph Waack das Nichthandeln der Verwaltung.
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Die Stadt lässt sich mit der Entscheidung auch Fördergelder entgehen. Die Umgestaltung der ehemaligen Bahnanlagen in eine grüne Verbindung für den Rad- und Fußverkehr hätte gute Chancen für eine Förderung mit 90 Prozent gehabt.
“In der Summe würde es günstiger für die Stadt und die Anwohner sowie attraktiver für den Radverkehr werden, wenn die Bahnanlagen erworben und entsprechend hergerichtet werden”, stellt Dr. Christoph Waack fest.
Die 1897 errichtete Eisenbahnstrecke Leipzig-Plagwitz nach Pörsten (Sachsen-Anhalt) wurde im Jahre 1998 stillgelegt und 2000 entwidmet. Damit ging eine fast genau 100-jährige Eisenbahngeschichte mangels Auslastung, vorwiegend im Personenverkehr, zu Ende. Die Strecke selber führt aus der Stadt Leipzig heraus über Lausen, Kulkwitz, Schkölen/Räpitz ins sachsen-anhaltische Meuchen, weiter über die Gustav-Adolf-Stadt Lützen, dann über Röcken bis schließlich nach Rippach/Pörsten. Die gesamte Strecke beläuft sich auf 22 km.
Parallel zum Lausener Weg könnte man auf einem hier ausgebauten Radweg direkt zum Südufer des Kulkwitzer Sees fahren. Vor der Zschocherschen Allee biegt die alte Bahntrasse ab und verläuft hinter den Kleingärten Richtung Lausen, wo sie auf einem ruhigen Gelände abseits der Straßen direkt zum See und zum Anschlussstück des Elster-Saale-Radwegs auf Markranstädter Flur führt.
Mit der jetzigen Variante der Stadt muss sich der Radwanderer immer wieder in Grünau orientieren und stark befahrene Straßen queren.
Es ist ein echtes Husarenstück, das die Leipziger Verwaltungsspitze hier hingelegt hat, die sich immer wieder schwer tut, Radverkehr in seiner Logik zu begreifen und auch die eigenen Ziele ernst zu nehmen. Die heißen zum Beispiel für 2020: Erhöhung des Radwegeanteils im Modal Split von 14,4 auf 20 Prozent. Und dazu gehören – die Bürgerumfragen belegen es immer wieder – sichere Radwege möglichst abseits vom motorisierten Verkehr.
Das Radverkehrsentwicklungskonzept 2010 – 2020:
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/B3F24BBCC5795609C1257A2B0024743A/$FILE/V-ds-1963-text.pdf
Wikipedia zur alten Bahnstrecke Plagwitrz – Pörsten:
http://de.wikipedia.org/wiki/Bahnstrecke_Leipzig-Plagwitz-Pörsten
Der von der Stadt bevorzugte Streckenverlauf:
www.stadtlabor.de/p29.html
Der Antrag der Grünen-Fraktion:
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/D0019EBA1290AEA4C1257CB6003C2406/$FILE/V-a-538.pdf
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