Immer wieder erfreut die Zeitung aller Zeitungen die Leipziger mit solchen Überschriften wie dieser: "Wie weiter im Neuseenland?" So der Titel eines Artikels vom 9. Januar, nachdem in selbiger Zeitung bereits am 30. Dezember die interessierten Bürger Leipzigs aufgefordert wurden, sich per Telefon beim Grünen Ring Leipzig zu erkundigen, auf welche Weise sie ihr Votum für oder gegen Hausboote auf den Leipziger Gewässern abgeben können. "Ein etwas hochschwelliges Procedere, um Bürgerwillen ernsthaft in Entscheidungsprozesse mit einfließen zu lassen", meint Wolfgang Stoiber.

Er ist Vorsitzender des Naturschutz und Kunst Leipziger Auwald e. V. (NuKLA) und hat es sich zu einem wichtigen Anliegen gemacht, dass in den Gewässern des Leipziger Auenwaldes keine Freigabe für noch mehr Motorboote erfolgt.

Ende 2012 wurden 11.231 Unterschriften unter einer von NuKLA initiierten Petition gegen kraftstoffbetriebenen Motorbootverkehr auf den Auwaldgewässern und dem Cospudener See an den Petitionsausschuss des Sächsischen Landtages abgegeben – mit der leisen Hoffnung, dieser geäußerte Bürgerwille könnte eventuell von den Mitgliedern des Sächsischen Landtages bei der damals noch bevorstehenden Neufassung des Sächsischen Wassergesetzes Berücksichtigung finden. Fand sie aber nicht. Der Petitionsausschuss sah keinen Grund zur Abhilfe. Was denn die Aufrufe in der Leipziger Volkszeitung für Stoiber in ein ganz anderes Licht rückt. Denn neu ist der Aufruf ja nicht – nur jetzt wird ein neuer Tenor hineingetragen.

Wolfgang Stoiber zu diesem Igel-und-Hase-Spiel im Leipziger Neuseenland: “Ein Jahr und ein geändertes Sächsisches Wassergesetz später sind die Bürger aufgefordert, sich zu beteiligen: Auf der Grundlage eines im Sommer novellierten Sächsischen Wassergesetzes, das allen ab 2015 geltenden EU-Richtlinien bezogen auf die zukünftig einzuhaltenden Qualitätsstandards für Oberflächengewässer zuwiderläuft und schon gleich mal von Gesetzes wegen die Tagebaurestseen automatisch nach Entlassung aus dem Bergrecht für schiffbar erklärt (also für befahrbar mit jedwedem Wasserfahrzeug, egal wie schnell, wie laut, wie umweltunverträglich). Die Petition mit ihren Unterschriften wurde zuständigkeitshalber vom Petitionsausschuss an die Landesdirektion Sachsen weitergeleitet mit der Bitte (sic!) ‘um Beachtung’ – was auch immer sich hinter dieser Formulierung verbergen mag. Das heißt: die Landesdirektion Sachsen, ausführendes Organ der Landesregierung, die Sachsen zu einem Eldorado für (ansonsten längst ausgemusterte) kraftstoffbetriebene private Motorboote machen und damit den großen tourismuswirtschaftlichen Aufschwung (im Niedriglohnbereich) bringen will, ausgerechnet diese (Regierungs-)Behörde soll also darüber befinden, ob der Floßgraben und der Cosi mit Jetski und Motoryachten befahren werden sollen oder nicht? Das geltende Sächsische Wassergesetz widerspiegelt den politischen Willen zum Raubbau an den neuen (und alten!) Gewässern. Darüber hinaus kommt selbst in der Potentialanalyse zum heiß diskutierten Wassertouristischen Nutzungskonzept für das Leipziger Neuseeland nicht umhin festzustellen, dass das ganze Konzept sich nur dann trägt, wenn es eine motorbootfähige Verbindung zwischen Leipzigs Norden, der Innenstadt und vor allem den südlichen gelegenen See gibt.”

Auf der Basis dieser Tatsachen werde der Bürger nun eingeladen, sich zu beteiligen. “Aber woran, wo das Gesetz doch bereits alles festlegt und eine der Staatsregierung direkt unterstellte Behörde ausführendes Organ ist? Wie will der Grüne Ring, wie will die Stadt Leipzig, wie wollen die betroffenen Kommunen etwas einschränken, das per Gesetz festgelegt ist? Was ist denn dann überhaupt die Intention, wenn vor diesem Hintergrund die BürgerInnen aufgefordert werden, sich zu beteiligen?”, fragt Stoiber.Die Charta zum Leipziger Neuseenland sollte eigentlich schon 2013 diskutiert werden. Online wurde sie zur Diskussion gestellt. Doch so recht kam der Diskussionsprozess aus Sicht der Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland nicht in Gang. Also sollen es drei Workshops richten, die 2014 an verschiedenen Orten im Neuseenland stattfinden, betreut von der Leipziger ZAROF GmbH, die sich mit Bürgerbeteiligungswerkstätten schon auskennt.

Die Auftakt- und Informationsveranstaltung “Charta Leipziger Neuseenland 2030” mit Landrat Dr. Gerhard Gey und Bürgermeister Heiko Rosenthal soll am 6. Februar stattfinden. Nur weiß noch niemand, welchen Ort man dafür anberaumen will.

Wer die 2011 erstmals vorgestellte “Charta” im Entwurf liest, sieht natürlich, dass es darin nicht primär um Hausboote geht, auch wenn die LVZ genau das in die Überschrift packte. Im Text liest man dann, das Leipzigs Umweltbürgermeister im Gespräch wohl sagte, dass “es in letzter Zeit Dutzende Anfragen zum Thema Hausboot sowie zum Wohnen auf und am Wasser gegeben” habe. Was berechtigt ist. Fragen darf ja jeder. Aber das Einordnen macht erst Sinn, wenn sich die Spieler innerhalb des Neuseenlands wirklich auf eine Charta einigen, an die sich auch alle halten. Eine freiwillige Selbstverpflichtung, die – man lese den Charta-Entwurf – auch den Spagat versucht zwischen Auenwaldschutz, sanftem Wassertourismus, Hochwasserschutz und wirtschaftlichen Interessen.

Auch die Autoren des Entwurfs wussten, dass es zu Interessenkonflikten kommen kann. Und zwar auch solchen, die den Frieden im Neuseenland dauerhaft gefährden. Deshalb heißt es unter “Das entspannende Neuseenland” auch: “Oberstes Gebot bleibt dabei immer die Akzeptanz berechtigter Interessen der Anderen und die gegenseitige Rücksichtnahme.”

Was man natürlich bei einigen Projekten im Gewässerverbund als Handlungsmaxime vermisst. Etwa wenn es um das geht, was in der Charta als Förderung von “Sport oder Großveranstaltungen” bezeichnet wird. Der Traum vom “Freizeiteldorado in intakter Natur” ist da an einigen Stellen schon sehr fragwürdig geworden.

Und dass die Akteure aus der Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland nicht ganz unbeteiligt waren am neuen Wassergesetz des Freistaates, lässt ein Satz aus dem Kapitel “Das wirtschaftliche Leipziger Neuseenland” vermuten: “Investitionen an ausgewählten Gewässern zur wirtschaftlichen Belebung der Seenlandschaft sowie die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen werden regional koordiniert und befördert. Auf eine Vereinheitlichung rechtlicher Rahmenbedingungen im gesamten Leipziger Neuseenland wird hingewirkt.” Die einheitlichen rechtlichen Rahmenbedingungen stecken nun in der Schiffbarkeitserklärung für die Bergbaufolgeseen und ihre Verbindungsgewässer.

Die Sorge Stoibers ist also durchaus berechtigt, auch wenn die Diskussion über die Charta jetzt in den öffentlichen Workshops stattfinden soll. Ob dann auch jene Gehör finden, die keine kraftstoffbetriebenen privaten Motorboote wollen, sondern – so Stoiber – eine “ökonomisch sinnvollere muskel- und windbetriebene touristische und Erholungsnutzung”, ist völlig offen. “Die Wahlen des Leipziger Stadtrates und des Sächsischen Landtages stehen bevor: Man darf gespannt sein, ob den sich an ihren schönen Naherholungsgebieten erfreuenden WählerInnen klar ist, WIE groß die Bürgerbeteiligung sein müsste, um eine Entscheidung zu verhindern, die – undemokratischer geht es nicht – bereits gesetzlich verordnet wurde”, sagt er noch.

Der NuKLA e.V.: www.NuKLA.de

Entwurf zur Charta Leipziger Neuseenland: www.charta-leipziger-neuseenland.de

Zum Grünen Ring Leipzig: www.gruenerring-leipzig.de

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