Die angebliche Elterninitiative "Leipzig steht auf" steht offensichtlich programmatisch der Neonazi-Szene nahe. Derzeit mobilisiert sie im Internet für den 3. Februar zu einer Kundgebung "gegen Minderheiten-Politik im Rathaus". Unter einem demokratischen Scheinanstrich richtet sich die Veranstaltung inhaltlich sowohl gegen eine Einrichtung des offenen Strafvollzugs in Reudnitz, die Flüchtlingsnotunterkunft in Schönefeld und die geplante Moschee in Gohlis. Seit 2013 die Lieblingsthemen Leipziger Neonazis, die die Initiative durch bewusste Überhöhungen zu den drängenden Fragen unserer Zeit stilisiert.
Die inhaltliche Nähe zur rechten Szene ist nicht zuletzt durch diese Bündelung der Themen unverkennbar. Die Kundgebung soll ab 19 Uhr an der Ecke Löbauer Straße/Volksgartenstraße stattfinden. Der Aufruf zur Kundgebung in der Nähe der Schönefelder Notunterkunft für Asylbewerber liest sich wie eine Ansammlung der drei großen Themenfelder hiesiger Rechtsradikaler: Gegen Ausländer, gegen den Islam und gegen Menschen, die in der NS-Ideologie nicht zur ethnisch homogenen “Volksgemeinschaft” gehören.
Nicht ganz zufällig hat sich die Initiative eine geplante Strafvollzugseinrichtung in Reudnitz herausgepickt. Die Verfasser des Aufrufs versuchen gezielt, das Bild von frei irrlichternden Verrückten in Leipzig und eine extreme Gefährdung für Kinder zu suggerieren.
Was die Initiative verschweigt: Der offene Strafvollzug soll geeignete Täter resozialisieren, also an ein deliktfreies Leben in der Gesellschaft heranführen. In den Genuss der weitreichenden Lockerungsmaßnahme kommen nicht – wie der Aufruf unterstellt – gefährliche Trieb- oder Gewalttäter, die jederzeit zuschlagen könnten. Diese sitzen nämlich aufgrund ungünstiger Sozialprognosen in geschlossenen Justizvollzugsanstalt oder Einrichtungen des Maßregelvollzugs ein, etwa in speziell ausgestatteten psychiatrischen Krankenhäusern.
Die künftigen Reudnitzer Inhaftierten sitzen häufig das erste Mal hinter Gittern. Sie gehen tagsüber einer bezahlten Arbeit außerhalb des Gefängnisses nach. Die Wochenenden verbringen sie im Kreis der Familie. Wer gegen die strengen Anwesenheitspflichten verstößt oder rückfällig wird, wird postwendend in den geschlossenen Vollzug verlegt.
Gegen Ausländer geht’s hingegen – kaum anders zu erwarten – vor allem gegen die Notunterkunft in der Löbauer Straße 46. Hier hat sich die Initiative bereits einen Namen mit einer Lüge gemacht. Man hätte, so verkündete “Leipzig steht auf”, in einem Gerichtsverfahren eine einstweilige Verfügung gegen die im Rahmen des Unterrichtes stattfindenden Besuche von Grundschülern in der Unterkunft erwirkt.
Das Verwaltungsgericht Leipzig teilte L-IZ.de allerdings mit, dass die einzeln agierende Klägerin die Gerichtskosten des abgebrochenen Prozesses zu zahlen habe. Ein Beschluss, welcher auf einen Rückzug der Klägerin in aussichtsloser juristischer Lage hindeutet.
Nun findet sich auch dieses Thema im Demonstrationsaufruf unter Auflistung aller bekannten Asyl-Unterbringungen in Leipzig wieder. Vorgebliche Kinderschützer demonstrieren also gegen rund 45 Kinder aus Georgien, Syrien und Afghanistan in der Notunterkunft und die jungen Bewohner und Familien der anderen Leipziger Flüchtlingsheime.
Von Seiten der Initiative verschwiegen im Sinne einer Mobilisierung: Von einer Flüchtlingsunterkunft in der Nachbarschaft geht – statistisch betrachtet – nicht mehr Gefahr aus als von einer Kirche. Gewiss häufen sich nach der Eröffnung mancher Einrichtungen kurzzeitig die Straftaten in deren Umfeld. Denn Gewalttaten, die gegen die Unterkünfte oder deren Bewohner gerichtet sind und rechte Propagandadelikte, etwa Hitler-Grüße, fließen in die Kriminalstatistik mit ein.
Asyl ist ein in der Bundesrepublik unverhandelbares Grundrecht. Ziel der Asylunterbringung ist nicht die von der NPD emsig geforderte “Rückführung”, also Abschiebung, aller Flüchtlinge, sondern bei positivem Bescheid, wie zuletzt etwa für rund 25 Prozent der Antragssteller in Deutschland, deren rasche Integration in die Gesellschaft. Darüber hinaus erhalten Menschen aus Bürgerkriegsländern ein sogenanntes Bleiberecht, welches sie zumindest davor bewahren soll, bei kriegerischen Handlungen in der Heimat getötet zu werden. Ein Bereich, in welchem Rechtsradikale besonders gern wildern und die Ausweisungen fordern.
Wie die Integration und die Begegnungen mit den Leipzigern bei einer Unterbringung in peripheren Lagen oder in hermetisch abgeriegelten Häusern möglich sein soll, können Ausländer-Gegner letztlich nie beantworten – ihre Lösungen sind keine.
Als letzten Punkt wendet sich die Demonstration am 3. Februar gegen einen Leipziger Dauerbrenner, welcher sich jedoch letztlich durch Informationen und Gespräche merklich abkühlte. Doch der geplante Moscheebau der Ahmadiyya-Gemeinde in Gohlis darf als erneutes Ziel der Demonstration selbstredend nicht fehlen. Hier, wie auch bereits beim verbrieften Asylrecht in Deutschland, wendet sich der Aufruf letztlich gegen das Grundgesetz und damit auf eine Grundordnung, welcher sich mündige Demokraten, egal ob Atheisten oder Gläubige aller Religionen verpflichtet sehen. Und sei es aus “höherem Egoismus”, denn wo endet die Ausgrenzung, die bei muslimischen Mitbürgern beginnt? Bei den Juden? Bei den Homosexuellen? Bei allen, die anders denken als die, welche die Ausgrenzung fordern?
Die Verfassung, deren Geltungsbereich auch die Leipziger 1990 aus freien Stücken beigetreten sind, gewährt jedem Einwohner das Recht auf freie Religionsausübung. Darunter fällt auch das Errichten religiöser Bauten. So fordern die Verfasser des Aufrufs in Analogie zu früheren rechten Gruppen nicht weniger als die Aushöhlung dieses Grundrechts, wenn sie sich gegen den Bau einer kleinen, privat finanzierten Moschee auf privatem Baugrund engagieren.
Alibihaft vorgetragene, pragmatisch anmutende Einwände gegen den geplanten Standort, dies haben die Debatten der vergangenen Monate gezeigt, laufen dabei sichtbar ins Leere.
Die Intiative “Leipzg steht auf” hat sich selbstredend mit den Moscheebaugegnern von der anonym agierenden Facebook-Gruppe “Gohlis sagt nein” verbündet. Dort posteten in der Vergangenheit, neben NPD-Größen wie der sächsische Landtagsabgeordnete Jürgen Gansel, zunehmend rechte Persönlichkeiten aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Für sie scheint der Moscheebau weit mehr als eine Standortfrage – es geht den Antreibern dieser mit den “Aufstehern” verbündeten Initiative längst um den Kampf gegen den Islam auf deutschem Mutterboden.
Alternative Lösungsvorschläge für alle Problemfelder hat die obskure Elterninitiative, die sich auf L-IZ-Nachfrage wie auch schon die Moscheebaugegner nicht zu möglichen personellen wie strukturellen Verbindungen zur NPD geäußert hat, natürlich nicht parat.
Dass jedes Mittel Recht scheint, um aus der Anonymität heraus und unter einer Simulierung vorgeblichen Mehrheitswillen Sachlichkeit und Demokratieverständnis vorzugaukeln, ist bereits vor Beginn der Demonstration am 3. Februar klar. Ganz offensichtlich versuchen die Organisatoren der Kundgebung, ihre Verstrickungen ins rechtsradikale Milieu hinter einem gutbürgerlichen Anstrich zu verschleiern. Was auch die Wahl des Tages und die bereits bekannt werdenden Wünsche nach Wiederholungen unter Nutzung des Rufes der ehemaligen Montagsdemonstrationen zeigt. Wo damals jedoch von den Leipzigern friedlich gegen eine Diktatur demonstriert wurde, versuchen längst Rechtsradikale den Ruf “Wir sind das Volk” für ihre Aggressionen gegen klar umrissene Gruppen anderer Menschen zu vereinnahmen.
Die wirklich drängenden sozialen, gesellschaftlichen und finanziellen Fragen einer durch die ungebrochene Sparpolitik in Sachsens Landesregierung zunehmend unter Druck geratenen Stadt wie Leipzig spielen bei allen drei “Problemfeldern” der selbsternannten “Montagsdemonstrierer” jedoch keine Rolle. Um die wirklichen Zukunftsfragen und Lösungen werden sich letztlich wohl wieder die bemühen müssen, welche, von ganz rechts außen kommend bis in die Gesellschaftsmitte hinein, gern als “Gutmenschen” abqualifiziert werden.
Wo sich letztlich auch das Feld offenbart, in welchem die genannten Initiativen wie auch die NPD zu agieren versucht: Härte und Unmenschlichkeit gegen die, welche noch schwächer sind als der bröckelnde Mittelstand als vorgebliches Rezept für eine Verbesserung der eigenen Lebensumstände. Eine Feindsuche als Ablassventil für aufgestaute Ängste ohne echten Veränderungs – und Gestaltungswillen. Ablehnung als Programm.
Bei “Leipzig steht auf” wird so auf Gruppen von Mitmenschen gezeigt und direkt oder indirekt deren Vernichtung, Ausgrenzung oder das Versagen von rechtsstaatlichen Grundlagen eingefordert. Damit steht die Elterninitiative ganz auf Linie mit der NPD-Programmatik. Deren vermutete Wesensverwandtschaft mit dem NSDAP-Programm von 1920 ist aktuell Gegenstand eines Parteiverbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht. Ausgang offen – doch wo die Parallelen in der aktuellen Realität liegen könnten, ist zunehmend in Leipzig zu beobachten.
Eine Gegendemonstration der “Gutmenschen” – hier ein sich erneut gemeinsam organisierendes Bündnis aus Schönefeldern und Leipziger Bürgern, Kirchen, aller Parteien ohne die örtliche CDU bislang und “Leipzig nimmt Platz”, wird bereits vorbereitet und soll auf der Löbauer Straße/Volksgartenstraße in Sichtweite der Kundgebung von “Leipzig steht auf” stattfinden. Während diese erst 19 Uhr beginnt, wird die Gegenveranstaltung bereits um 17:30 Uhr starten.
Das Motto der Gegendemonstration ist noch unklar, doch vielleicht sollten die Mahnwachen einen ganz einfachen Namen tragen: Wir sind das Volk.
Eine Leseempfehlung am Schluss
“Große Teile der bürgerlichen Mittelschicht sind dabei, sozial zu verrohen”
Zum Leserbeitrag vom 30. Januar 2014 auf L-IZ.de
Ein Leserbeitrag und eine Antwort der Redaktion zu “Leipzig steht auf” oder Wer ist das Volk? Rings um eine Montags-Demonstration am 3. Februar in Schönefeld
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