Kirchner stellt während der Weiterfahrt als perfekter Reiseführer liebevoll seinen Bezirk Pankow vor. Obwohl städtebaulich "zerfasert", sei Pankow als Wohngegend stark nachgefragt. Jährlich wachse die Bevölkerung um rund 5.000 Menschen. "Wir haben Platz, aber auch Probleme. Aber die Vielfalt macht's, und deswegen begrüßen wir alle herzlich." Auf Litfaßsäulen wirbt Cindy aus Marzahn für die Berliner Verkehrsbetriebe.

Der erste Blick bei der Einfahrt in Heinersdorf fällt auf eine Kleingartenanlage. Die Pächter hätten beim Bau der Moschee die heftigste Gegenwehr geleistet, berichtet Kirchner. “Und da rechts sehen Sie auch schon die Moschee”. Hinter einem Fast Food-Restaurant und einer Autowerkstatt duckt sich die Kuppel der Moschee in zweiter Reihe, ein gutes Stück von der Hauptstraße entfernt. Schon der erste flüchtige Blick im Vorbeifahren relativiert die komplette Diskussion um Beeinträchtigungen des städtebaulichen Bildes in Gohlis.

Das schlichte schmucklose Gebäude der Khadija-Moschee ist dreizehn Meter hoch, der Innendurchmesser der Kuppel beträgt knappe neun Meter – wahrlich kein Protzbau. Die getrennten Gebetsräume für Männer und Frauen von 170 Quadratmetern bieten Platz für jeweils 150 Gläubige. Zur Erinnerung: In Gohlis sollen 100 Ahmadis Platz finden auf einer Grundfläche von 10 mal 17 Metern – “schnuckelig und klein”, wie es Abdullah Uwe Wagishauser, Bundesvorsitzender der Ahmadiyya Muslim Jamaat, in Leipzig treffend formulierte.

Wir ziehen die Schuhe aus und betreten den Gebetsraum der Männer. Auch hier gibt es bis auf einen kuscheligen Teppich und den Schriftzug “Niemand ist anbetungswürdig außer Allah” keinen Schmuck. Die Begegnung beginnt mit einer kurzen Lesung aus dem Koran. Imam Abdul Basit Tariq erklärt in einer kurzen Ansprache die Grundzüge des Glaubens der Ahmadis. Als Reformgemeinde seien sie in allen islamischen Ländern verfolgt, Moscheen würden angezündet, Gläubige ermordet. Reform bedeute: Ahmadis akzeptieren die Gesetze ihres Gastlandes, es soll keine Parallelgesellschaft aufgebaut werden, und auch die Scharia als islamisches Gesetz werde nicht angewendet.
Auf Angriffe und Anfeindungen, wie etwa den Schweinekopf-Anschlag auf dem Leipziger Baugelände, werde die Ahmadiyya Gemeinde immer intellektuell antworten, so der Imam. Er selbst würde auch eine Kirche oder Synagoge beschützen, wenn sie bedroht sei. Und nein, Minarette seien kein Symbol der Herrschaft des Islam über alle anderen Religionen oder gar der Weltherrschaft, sondern einfach äußeres Zeichen eines muslimischen Gotteshauses.

Die Zeit drängt. Es gibt noch kurze Gespräche bei einem schnellen Mittagessen mit Hähnchen, Reis, Kichererbsen und Salat. Ich bleibe etwas irritiert zurück. Es ist alles so rund hier, so konfliktfrei, ohne Ecken und Kanten. Können Menschen durch den Glauben wirklich so sein? Das Kontrastprogramm erwartet unsere Reisegruppe an der nächsten Station.

Nach einem Schweinsgalopp durch den alten Dorfkern von Heinersdorf treffen wir in der Grundschule am Wasserturm die Kontrahenten von damals. Schnell wird deutlich: Die Narben des Konfliktes sind nur übertüncht. Schon wenige Fragen reißen die Wunden wieder auf und die alten Vorwürfe stehen wieder im Raum. In den Ring steigen Marina Vogel, Direktorin der Grundschule, und Gabriela Groth für die Interessengemeinschaft Pankow-Heinersdorfer Bürger IPHAB. Die zeigt sich uneinsichtig rückwärts gewandt und malt eine große Verschwörungstheorie: Die Ahmadis hätten das Moscheegrundstück durch eine politische Absprache mit Rot-Rot zu einem Vorzugspreis erhalten und die Missachtung von Bauvorschriften sei politisch toleriert worden. Die Ahmadiyya Gemeinde habe ihre Website “frisiert”, um Vorwürfe zu entkräften, und vielleicht gehe der Anschlag auf die Kuppel der Moschee ja auf das Konto der Ahmadis selber?
Auf Nachfrage wird Marina Vogel dann noch deutlicher: “Ich halte die Ahmadiyya, genauso wie NPD und Scientology, immer noch ideologisch für gefährlich. Mit den Menschen habe ich kein Problem” – muss dann aber zugeben: “Die kommen ja überwiegend von der Autobahn. Bei mir im Ortskern sieht man kaum Ahmadis.” Die einst in ihrer Sprache extrem aggressive IPHAB hat für Heinersdorf inzwischen ihren Schrecken verloren: Der Verein ist offiziell aufgelöst, man trifft sich noch informell “zu Nachbarschaftshilfe, zum Beispiel im Garten.”

Marina Vogel erinnert mit sichtlicher Bewegung aus persönlicher Sicht an die Moscheedebatte in Heinersdorf. Ihre Bilanz: “Statt uns einander zuzuhören, haben wir polarisiert. Wer Fragen hatte, wurde stigmatisiert. Das hat dem Zusammenleben sehr geschadet.” Wer im großen Leipzig vom kleinen Heinersdorf lernen wolle, solle immer große Räume anmieten, damit alle reinkommen und mitreden können. “Vor allem: Öffnen Sie sich. Aufgeregtheit ist ein schlechter Ratgeber.”

Letzte Gesprächspartnerin des Tages soll im Rathaus Pankow Ruth Misselwitz, Pfarrerin der Kirchengemeinde Alt-Pankow sein. Doch dazu kommt es nicht.

Einen Tag nach der Veranstaltung erhalte ich in Leipzig unaufgefordert eine E-Mail von Frau Groth. Sie schickt mir unter anderem eine persönliche Linksammlung zu Ahmadiyya und einen Artikel des SPIEGEL zu einem Ehrenmord-Prozess in Oldenburg 2012. Sie schreibt dazu: “Zwischen den mündlichen Aussagen in Interviews, auch bei Podiumsdiskussionen, und den schriftlichen Aussagen der Ahmadiyya (früher auch auf ihren Internetseiten) sowie ihrem Handeln liegen Welten. Für Rückfragen stehe ich Ihnen gern zur Verfügung, aber eigentlich habe ich das Thema für mich abgeschlossen, da es politisch gewollt zu sein scheint.”

Der Geist der IPHAB ist noch immer in ihrem Kopf. Danke, ich habe keine Rückfragen.

Zum 2. Teil vom 3. Dezember 2013 auf L-IZ.de

Informationsfahrt der Stadt Leipzig zur Khadija-Moschee in Berlin-Heinersdorf (Teil 3): “Es geht um gute Nachbarschaft und nicht um Religion”

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