Seit ein paar Jahren gehört das Wort "Barrierefreiheit" zum Alltagsgebrauch in Leipzigs Politik. Es steht auch in etlichen baugesetzlichen Passagen. Es ist Pflicht. Aber es ist nicht selbstverständlich. Und weil es auch im Denken von Planern und Bauverantwortlichen nicht selbstverständlich vorkommt, gibt es in der gerade im August eröffneten "Verteilerebene" am Hauptbahnhof keine Barrierefreiheit.
Das schlechte Gewissen ist unüberhörbar. So recht weiß augenscheinlich auch in der Leipziger Stadtverwaltung niemand, wer da getrödelt und geschlafen hat oder einfach, als das Malheur irgendwann bemerkt wurde, gesagt hat: “Ist doch egal, merkt doch eh keiner”. Oder er hat noch ein bisschen geblättert und geschaut, wo die Verantwortungsgrenze der Stadt ist, die hauptverantwortlich für den Bau der Verteilerebene war. Wo die Grenze ist, hört ja die Verantwortung auf irgendwie, da geht es dann eben hinunter in den privatrechtlichen Bereich der Promenaden Hauptbahnhof. Sind ja nur neun Stufen.
Außerdem hat man doch Fahrstühle gebaut, mit denen man hinunter auf den Bahnsteig der S-Bahn-Station Hauptbahnhof fahren kann, da läuft oder fährt man dann eben 200 Meter und fährt dann mit dem Fahrstuhl wieder hoch auf die Hauptbahnhofebene.
Und wenn die Leute schon behindert sind, können sie ja auch ebenerdig die Ampel über die Haltestelleninsel der LVB nutzen. Ist zwar ein einziges Chaos mit sich kreuzenden Fußgängerströmen, ein- und ausfahrenden Straßenbahnen und Fahrzeugflüssen – aber doch definitorisch barrierefrei. Wer sich das Gewühl am Hauptbahnhof anschaut, ahnt so ein wenig, wie fußgänger- und behindertenunfreundlich Verkehrsplaner in Leipzig ticken – und wie wenig sie zur Korrektur fähig sind. Was sich ja bekanntlich beim Thema Radweg vorm Hauptbahnhof fortsetzt.
Und man ahnt auch, wie sehr eine ganze Reihe von Leuten – auch etliche nichtgehbehinderte darunter – darauf gefreut haben, dass mit der “Verteilerebene” endlich eine hindernisfreie Lösung für das Problem geschaffen wird.
Die simple Erkenntnis aus dem August 2013: Die Stadt Leipzig als Bauherr hat das Thema gründlich versiebt und verpennt. Und bewiesen, dass Barrierefreiheit noch immer ein Fremdwort ist in den städtischen Planungsetagen. Die 2006 noch geplanten Rolltreppen auf der Stufe, die jetzt mit simplen neun Stufen überwunden werden müssen, hat man eingespart. Aber völlig verpasst, die eingesparten Rolltreppen durch eine barrierefreie Alternative zu ersetzen. Die natürlich jetzt, da alles “fertig” ist, teurer und aufwändiger wird. Auch das ein Punkt, an dem nicht nur CDU-Stadtrat Konrad Riedel zu recht fragen darf: Wer hatte da Tomaten auf den Augen?Nicht nur er sah, dass da ein paar Planer drauflos gebaut hatten, als ginge es um ein neues Rathaus von Schilda. Ebenfalls noch im August reichte der Stadtrat der Linksfraktion Siegfried Schlegel einen Antrag ein: “Herstellung der vollen Barrierefreiheit im Fußgängertunnel unter dem Hauptbahnhofsvorplatz”. Er hat dann schon bewusst das Wort “volle” hingeschrieben, damit städtische Instanzen nicht wieder so tun können, als hätten sie doch alles für die gesetzlich geforderte Barrierefreiheit getan. Dafür schon. Aber die Einsicht sollte so langsam sein: Das reicht nicht. Die volle Barrierefreiheit sollte der Normalzustand sein.
Und für jede derart auffällige Abweichung sollte es wirklich eine gute Erklärung geben. Keine Ausrede.
Dass die finanziell klamme Stadt Leipzig jetzt in der Zwickmühle steckt – keine Frage. Aber nicht nur Siegfried Schlegel wird die Stellungnahme des Dezernats Stadtentwicklung und Bau, die am 26. November formuliert wurde, mit Unbehagen lesen. Denn auf seinen Antrag, die Barrierefreiheit nachträglich herzustellen auf der “Verteilerebene”, formuliert das Planungsdezernat eine Ablehnung. Begründung: “Laut Antrag sind die baulichen Verbesserungen durch die Stadt Leipzig zu planen, zu finanzieren und zu bauen. Dafür stehen keine finanziellen Mittel zur Verfügung.”
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Wer den Satz genau liest, merkt: Es ist nur eine halbe Ablehnung. Denn die umstrittene Treppe und damit der nicht existente barrierefreie Übergang liegen natürlich genau auf der Grenze – auf der Schnittstelle des von der Stadt Leipzig zu verantwortenden Teils, der justament an der Treppe endet, und dem “privaten” Teil, der schon zu den Promenaden Hauptbahnhof gehört. Es steckt also im Satz eine Hoffnung: dass der Promenaden-Betreiber ECE mithilft, die Misere zu beheben.
So formuliert es die Baubürgermeisterin denn auch im zweiten Teil der Antwort an Siegfried Schlegel. Sie formuliert einen Alternativvorschlag, der da lautet: “Es wird mittels Beschilderung auf die Situation hingewiesen. Darüber hinaus setzt die Stadt die begonnenen Gespräche mit Partnern DB AG und der Betreiberin der Bahnhofspromenaden unter Einbeziehung des Behindertenbeirates fort, um Lösungen zu finden und Möglichkeiten zu deren Umsetzung festzulegen.”
Das heißt: Die Ablehnung ist keine endgültige. Nur aus eigener Kraft kann die Stadt aktuell nicht handeln, auch wenn Linke und CDU eine schnelle Lösung fordern. Schilder sollen die Passanten zumindest auf die Misere aufmerksam machen. Es wird weiter eine Lösung gesucht mit ECE und DB AG.
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