Mitte Dezember begann eine neue Diskussion um den Leipziger Auenwald. Das Amt für Stadtgrün und Gewässer hatte gemeldet: "Pflege des Leipziger Stadtwalds: Ökologischer Umbau geht weiter". In der "Burgaue", im "Leutzscher Holz", im "Plaußiger Wäldchen", im "Connewitzer Holz" und im Waldgebiet "Lauer" waren Holzeinschlagsarbeiten gestartet. Postwendend gab es von Andreas Liste, Vorsitzender des AHA, eine öffentliche Kritik.
Die wieder ihre Kritik fand. Der eine oder andere kommentiere gleich auf der L-IZ, andere wandten sich in Mails an die Netzwerke, die es jenseits der öffentlichen Wahrnehmung schon seit Jahren gibt, wo man sich kennt, austauscht oder miteinander grollt, weil man verschiedener Meinung ist. Das ist eigentlich normal – die Aufgaben der Stadt, den Stadtwald zu bewahren und qualitätvoll zu erhalten, überschneiden sich mit den oft ein wenig anders gelagerten Ansichten der diversen Umweltvereine (die durchaus auch verschiedene Ziele verfolgen), mit denen der wissenschaftlichen Akteure und denen der Politik. Einiges davon verdienstvoll und seit Jahren mit jeder Menge Arbeit unterfüttert.
Arbeit, die für viele Akteure auch immer wieder frustrierend war. Die Wahrnehmung des Auwaldes auf Verwaltungs- und Politik-Ebene ähnelt Ebbe und Flut. Mal scheint er mitten im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen und alle klopfen sich auf die Schulter, einig darin, dass dieses Kleinod bewahrt und geschützt werden muss. Dann vergeht kaum ein Jahr, und alles ist vergessen und gänzlich andere Akteure haben auf einmal wieder das Heft des Handelns in der Hand – mal die Talsperrenverwaltung des Landes, die Deiche verstärkt, wo keine gebraucht werden, oder gleich mal unter dem Motto “Gefahr im Verzug” 40 Hektar Auwald fällt, mal ist es ein neues touristisches Projekt, das ausgerechnet den sensiblen Floßgraben mit Verkehr belegt.
Jeder Vorgang für sich ein deutliches Zeichen dafür, dass eine Gesamtkonzeption zum Erhalt des Auenwaldes fehlt. Sie ist ohne ein Konzept für die Gewässer im Auengebiet nicht denkbar. Doch schon zwischen verschiedenen Ämtern herrschen zum Thema völlig unterschiedliche Ansichten. Das Amt für Stadtgrün und Gewässer ringt um jede kleine Maßnahme, wie der Stadtwald auch in seinem Auwaldcharakter bewahrt werden kann, ist auch zu recht stolz auf das Forschungs- und Revitalisierungsprojekt “Lebendige Luppe”, hat aber kein Einspruchsrecht, wenn die Landestalsperrenverwaltung neue Deiche, Auslasswerke oder Baustraßen bauen will oder den “Tornadoerlass” dafür nutzt, einen Baumeinschlag im Auwald zu starten.
Denn die Genehmigungen dafür muss das Amt für Umweltschutz geben. Und hat sie auch immer gegeben.
Es sind also zwei Ämter verantwortlich für den Auenwald, die völlig konträre Politik machen.
Da ist dann auch Stadtförster Andreas Sickert nicht zu beneiden, der den Auenwald irgendwie doch bewahren will. Dazu hat er den Auftrag. Und die Forstmaßnahmen zur Umgestaltung einiger Flächen zu Femellöchern und anderer zu Mittelwald gehören dazu. Sie sind sozusagen der künstliche Versuch, einen wertvollen Baumbestand zu bewahren (oder wieder herzustellen), der durch das Wuchern auenwalduntypischer Gehölze – wie des Ahorns – bedroht ist.
“Bedroht” natürlich nur aus der Sicht der Bewahrung des Auenwaldes. Ansonsten ist es ein ganz natürlicher Vorgang: Wenn sich die elementaren Rahmenbedingungen für einen Wald ändern, dann passt er sich an. Im Leipziger Auenwald heißt das schlicht: Wenn die jährlichen Überflutungen ausbleiben, die vor allem das Wachstum wasserresistenter Pflanzenarten förderten, dann erobern schnellwachsende Baumarten das Terrain, die trockenere Böden bevorzugen. Der Auwald ist dann kein typischer Auwald mehr.
Genau das ist seit 80/90 Jahren der Fall, seit in groß angelegten Eindeichungsmaßnahmen praktisch der komplette Leipziger Auenwald von diesen jährlichen Überschwemmungen abgeschnitten wurde. Seitdem verändert sich der Waldbestand sichtlich. Aus dem “Forsteinrichtungswerk” der Stadt zitiert: “Aufgrund fehlender Hochwasserereignisse im Auenwald ist eine sehr starke Ausbreitungstendenz von Berg- und Spitzahorn im Unterstand zu beobachten.” In weiten Teilen ist von der einstigen lichten Auwaldkulisse nichts mehr zu sehen. Das “Forsteinrichtungswerk der Stadt Leipzig” versucht dem gegenzusteuern. Darauf baut die Arbeit des Stadtförsters auf. Rund um die alten, für den Auwald so typischen Eichen werden wieder Lichtungen frei geschlagen, die das Licht in den Wald lassen – die Eiche ist ein Baum, der Licht braucht.
Das betrifft auch die Eichenneupflanzungen.
Und an anderer Stelle wird nun mit forstwirtschaftlichen Eingriffen versucht, den Charakter der einstigen Mittelwaldbewirtschaftung wieder herzustellen. Auch sie bringt “mehr Licht” in den Wald. Erschreckt waren einige Freunde des Leipziger Auenwaldes über das Ausmaß der Ausholzungen und die zerfahrenen Wege und Waldböden. Die Stadt hatte diese Fällaktionen zwar extra um ein Jahr verschoben, weil die Böden im letzten Winter zu aufgeweicht waren. Aber aufgeweicht waren sie auch in diesem Dezember.
Es gibt zumindest, wie sich in der Diskussion liest, einen gewissen Konsens darüber, dass der Stadtförster keine anderen Möglichkeiten hat, als auf diesem künstlichen Wege den Baumbestand im Stadtwald zu steuern und eine gewisse Artenvielfalt anzustreben. Und sichtbar ist auch, dass er dabei notgedrungen in Zeitspannen von 50 und 100 Jahren vorausdenken muss.
Denn das eigentliche Problem wird auch durch die jetzigen “ökologischen Waldumbaumaßnahmen” nur wieder berührt, aber nicht gelöst: die Verbindung des Auenwaldes mit den Fließgewässern. Ohne regelmäßige Überflutungen kann sich kein auenwaldtypisches ökologisches Gleichgewicht herstellen. Der Förster kämpft dann immer weiter mit künstlichen Mitteln gegen einen Prozess der Waldveränderung an, den es bei regelmäßigen Überflutungen nicht gäbe.
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Es ist tatsächlich die Frage nach der Nachhaltigkeit. Nicht nur in Sachen Hochwasserschutz, wo auch der Leipziger OBM gern mitredet, ohne dass es für die Gewässer 1. und 2. Ordnung schon ein integriertes Gesamtkonzept gibt. Und Nachhaltigkeit heißt auch: Der Auenwald würde sich im Lauf der Zeit eigenständig regenerieren, wenn wieder regelmäßig “Wasser im Wald” wäre. Die schnellwachsenden Gehölze, die besonders auf trockenen Böden gut gedeihen, würden absterben, die typischen Auenwaldpflanzen würden wieder dominieren. Die auenwaldtypische Artenvielfalt würde sich ebenso “automatisch” wieder einstellen.
So aber wird für einen an vielen Stellen überflüssigen Hochwasserschutz eine Menge (Steuer-)Geld verbaut – und “hinterm Deich” muss gleichzeitig eine Menge Geld ausgegeben werden, um den Auwald künstlich zu erhalten. Das ist Schilda pur.
Und so lange nicht einmal die Leipziger Stadtverwaltung ein einheitliches Auenwaldkonzept hat, werden sich auch all diejenigen hinter den Kulissen zerfetzen, die eigentlich am selben Strang ziehen. Es ist wie immer: der Dritte lacht sich ins Fäustchen.
Zumindest zum Auwaldkonzept soll es 2014 einen neuen Trippelschritt geben, nachdem das bislang gültige “Forsteinrichtungswerk” der Stadt im Dezember 2012 eigentlich ausgelaufen ist. Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal (Linke) will im Lauf des Jahres ein neues Waldkonzept vorlegen. Da sind eine Menge Leute gespannt, was drin steht.
Forsteinrichtungswerk der Stadt Leipzig:
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp4/kais02.nsf/docid/7D2AEA1846269BD2C125707E0042D0B9/$FILE/IV-rb-380-text.pdf
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