Dr. Roman Götze (38) ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht, welcher bereits buddhistische Tempelbauten betreute und die Sachlage rings um die Moschee aus juristischer Sicht beschreiben kann. Denn der Gohliser befasst sich täglich mit baurechtlichen Fragestellungen, ist Fachautor und Lehrbeauftragter an der Universität Leipzig und von Leipzig aus bundesweit tätig. Seit über 12 Jahren lebt er selbst in dem Stadtteil, in welchem die Ahmadiyya-Gemeinde ihre Moschee errichten möchte. L-IZ sprach mit ihm über das Moscheeprojekt und bat um eine fachliche Stellungnahme zu den immer wiederkehrenden (bau-)rechtlichen Einwänden.
Herr Götze, wie bewerten Sie als spezialisierter Anwalt im Bau- und Planungsrecht die derzeitigen juristischen Situation rings um den geplanten Moscheebau an der Georg-Schumann / Ecke Bleichertstraße?
Die baurechtliche Lage ist klar. Da es für das Baugrundstück keinen Bebauungsplan gibt, richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Moschee nach § 34 Baugesetzbuch (BauGB). Und das bedeutet, dass es entscheidend darauf ankommt, ob das Vorhaben aus dem Rahmen der Umgebungsbebauung fällt oder sich – anders gewendet – “einfügt”. Die nähere Umgebung ist nach Art eines allgemeinen Wohngebiets, so dass Anlagen für kirchliche Zwecke dort regelmäßig zulässig sind. Auch vom Maß der Bebauung gibt es zahlreiche Vorbilder in der näheren Umgebung.
Die Zier-Minarette sind mit 12 m Höhe vorgesehen, die Kuppel der Moschee liegt bei 10,50 m. Schon das benachbarte Haus Georg-Schumann-Straße 29 liegt bei einer deutlich höheren Firsthöhe und das benachbarte Objekt der Lipsia Erfurter Straße 6-12 (5 Geschosse plus Dach) dürfte sogar einen noch höheren Bezugspunkt setzen. Ersichtlich löst die von der Kubatur eher klein zu nennende Moschee auch keine sogenannten bodenrechtlichen Spannungen aus. Auf gestalterische Fragen kommt es in diesem Zusammenhang bauplanungsrechtlich nicht an. Unter diesen Umständen hat die Gemeinde bei gesicherter Erschließung sogar einen rechtlich durchaus “robusten” Bauanspruch. Denn: Das Baurecht wird in Deutschland nicht verliehen. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Baufreiheit speist sich aus dem Eigentumsgrundrecht, da kommt es noch nicht einmal entscheidend auf die Religionsfreiheit an.
Was sagen Sie zu dem Einwand, der Standort sei für eine Moschee städtebaulich nicht geeignet? Muss sich die Ahmadiyya-Gemeinde – wie viele Bürger fordern – auf einen anderen Standort verweisen lassen?
Der Standort ist baurechtlich nicht zu beanstanden, er ist integriert, gut erschlossen und – von der Umgebungsbebauung her betrachtet – nahezu konfliktfrei. Einen völlig konfliktfreien Standort für ein Bauvorhaben wird man in innerstädtischen Quartieren ohnehin nicht finden. Es ist Augenwischerei, solches zu fordern. Dies beruht auf der etwas naiv anmutenden Illusion, woanders – an der Peripherie – seien die Bedingungen besser, die Nachbarschaft konfliktärmer usw. Hier kommt meine Ausgangsbemerkung wieder ins Spiel: Aus der Baufreiheit folgt, dass sich ein Bauvorhaben grundsätzlich keiner Alternativenprüfung stellen muss und eben auch keiner ästhetischen Bewertung unterhalb der Schwelle der krassen Verunstaltung. Ist es baurechtlich zulässig, muss die Genehmigung am gewählten Standort erteilt werden. Diese Spielregeln gelten für einen Aldi-Markt genauso wie für eine Moschee, einen Tempel, eine Kirche, eine Synagoge oder ein Einfamilienhaus.
Nun ist die Moschee aber kein Einfamilienhaus. Können Sie uns allgemein zur Rechtslage bei Sakralbauten in Deutschland etwas berichten? Gibt es hier besondere Bewertungsmaßstäbe z.B. bei hervorstechenden Eigenschaften wie eben Türmen etc.?
Sakralbauten sind regelmäßig “Solitäre”, sie entziehen sich typischerweise einer schematischen baurechtlichen Betrachtung. Hinzu kommt, dass Sakralbauten regelmäßig gerade auf Wahrnehmbarkeit hin konzipiert sind. Der baurechtliche Maßstab des § 34 BauGB ist ausreichend “elastisch”, er zwingt nicht zu Uniformität oder gar introvertierter Bauweise, sondern ermöglicht sogar eine maßvolle Überschreitung des Rahmens der Umgebung, etwa hinsichtlich der Höhe. Darauf kommt es hier im konkreten Fall allerdings – wie gesagt – nicht an. Die Moschee bleibt – selbst unter Einbeziehung der Zierminarette – baurechtlich deutlich unterhalb der Extrema des Umgebungsrahmens.
Problematisch kann die Höhe eines Objekts – etwa eines Kirchturms – baurechtlich jenseits des Bauplanungsrechts aber dann werden, wenn die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen nicht mehr darstellbar sind oder – etwa durch Kirchenglocken oder Gebetsrufe – immissionsschutzrechtliche Grenzen der Zumutbarkeit überschritten würden. Beides wird nur in Ausnahmesituationen jemals der Fall sein; im konkreten Fall ist ersteres nicht zu erwarten und die Minarette sind nur Zierde, bleiben immissionsschutzrechtlich also indifferent.
Wie werden die folgenden baurechtlichen Schritte seitens des Bauantragsstellers Ahmadiyya-Gemeinde und der Stadt Leipzig nach Ihrer Einschätzung aussehen müssen?
Ich kenne den aktuellen Verfahrensstand nicht im Detail. Sehr wahrscheinlich wird die Bauherrin zu gegebener Zeit – nach Erteilung des Bauvorbescheides – einen Bauantrag bei der Stadt Leipzig stellen. In diesem Baugenehmigungsverfahren werden dann noch die verbleibenden baurechtlichen Randfragen geprüft, die nicht schon Gegenstand des Bauvorbescheides waren. Also je nach Verfahrensart geht es dann z.B. um bauordnungsspezifische Aspekte wie Statik aber auch Stellplatzfragen.
Auch baugestalterische Aspekte können – müssen aber nicht – im Gestaltungsforum erörtert werden. Die Baugesetze sehen dies aber nicht zwingend vor. Die grundsätzliche bauplanungsrechtliche Zulässigkeit ist durch den Bauvorbescheid, soweit er mit positivem Inhalt ergeht, rechtlich “abgeräumt”.
Herr Götze, Ihre Kanzlei hat gerade aktuell ein sakrales Bauvorhaben – den Bau eines buddhistischen Tempels – begleitet. Welche Erfahrungen haben Sie in diesem Zusammenhang gemacht?
Auch im Fall der Buddhistischen Gemeinde – ich möchte offenlegen, dass wir diese anwaltlich vertreten – hat die Leipziger Stadtverwaltung besonnen gehandelt und eine Baugenehmigung ausgereicht. Auch dieses Projekt steht – leider – noch “im Streit”. Und das, obwohl – wie dies auch jetzt der Ahmadiyya-Gemeinde verschiedentlich angesonnen wird – der Tempelstandort im Nordosten Leipzigs an der Peripherie gewählt worden ist. Aber das sogenannte “NIMBY-Problem” (Anm. d. Red: Not in my backyard) begegnet uns auch dort: Ein Industriebetrieb fürchtet – aus meiner Sicht allerdings grundlos – um seinen “Besitzstand”, argwöhnt verstärkte Rücksichtnahmepflichten aufgrund der künftigen Existenz des Tempels. Die Wahrheit ist: in den dicht besiedelten Großstädten ist immer schon “jemand” da, der die neuen Nachbarn skeptisch bis kritisch wahrnimmt und nicht selten rechtliche Hebel ansetzt, das Vorhaben zu verhindern oder zu verzögern.
In dem konkreten Fall des buddhistischen Tempels ist es so, dass das gegen den Tempel klagende Unternehmen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Solidarität der Gesellschaft gerne in Anspruch genommen hat. Jetzt richtet es freilich vornehmlich protektionistisch motivierte Angriffe gegen das Tempelprojekt und damit gegen eine in Leipzig wirkende Minderheit. Dies befremdet.
Sakralbauten sind immer auch ein emotionales Thema. Inwieweit können Sie als in Leipzig tätiger Baurechtler die Sorgen, Fragen und Hinweise aus der Bevölkerung nachvollziehen?
Ich persönlich kann die Sorgen der Anwohner nicht nachvollziehen. Wir erleben nicht selten sehr nachvollziehbare Nachbarproteste, etwa wenn ein Vorhaben überdimensioniert ist, erdrückende Wirkung hat oder auf andere Weise krass den baulichen Rahmen sprengt. Hier geht es – soweit ich sehe – eher um diffuse Sorgen, Vorurteile und ein eher konservierendes Meinungsklima, das Veränderungen tendenziell als Malus versteht. Wir haben vor einigen Jahren eine evangelische Kirche anwaltlich dabei unterstützt, in einer ehemaligen Kaufhalle ein Gemeindezentrum zu etablieren. Der dagegen aufkommende Widerstand der Anwohner ließ sich auf die Formel bringen, man wolle keine Kirche, sondern wieder eine Kaufhalle.
Und an nennenswerten – breit aufgestellten – Widerstand der Gohliser gegen das “Stadteilzentrum” (Kaufland) kann ich mich auch nicht erinnern, obwohl dessen Baukörper von seinen Dimensionen her den Rahmen der umgebenden kleinteiligen Bebauung geradezu sprengte und seine immissionsschutzrechtlichen, einzelhandelsstrukturellen und bauästhetischen Auswirkungen auf die Nachbarschaft und den Stadtteil ungleich durchschlagender waren. Die bisher vorgetragenen baurechtlichen Gegenthesen gegen das Moscheeprojekt sind sämtlich nicht überzeugend – zutreffend insoweit der Zwischenruf der Leipziger Jungen Union – sondern beruhen auf Unkenntnis, Halbwissen oder schlicht sachfremden Motiven, die in einem rechtsstaatlichen Diskurs nichts zu suchen haben.
Auch wenn es unpopulär ist, muss man auch darauf hinweisen, dass die Zulassung von Einzelbauvorhaben auch nicht der Öffentlichkeitsbeteiligung oder gar dem Mehrheitswillen der Bürger unterliegt. Die Leipziger Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau hat völlig recht, wenn sie darauf hinweist, dass die bisherige Information der Öffentlichkeit aus rechtlicher Sicht überobligatorisch und frühzeitig erfolgte. Unabhängig davon, dass ich dies auch nicht für wünschenswert hielte, sehe ich auch keinen rechtmäßigen Weg, das Vorhaben zu verhindern. Auch diese Aussage von Frau Dubrau teile ich uneingeschränkt.
Haben wir aus Ihrer Sicht vergessen, etwas zu fragen?
Gestatten Sie mir abschließend noch eine persönliche Anmerkung: Leipzig war – und ist – für Weltoffenheit, Toleranz und einen besonnenen Umgang mit neuen Herausforderungen bekannt. Eine wie auch immer motivierte “Angsthaltung” passt nicht zu unserer Stadt. Andererseits: Es sagt viel über den Zustand eines Gemeinwesens, wenn nicht die Angst um das tägliche Brot, das Überleben und die Meinungsfreiheit die Menschen bewegen muss, sondern eine 10 x 17 m große Moschee. Viele Nationen würden uns darum sicher beneiden.
Vielen Dank für das Gespräch.
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