Es blieb erstaunlich friedlich beim Bürgerforum zu den geplanten neun Straßenbahnvarianten in Probstheida am Donnerstag, 17. Oktober, in der Aula der Humboldtschule. Die 270 Gäste - und die meisten davon waren wirklich aus Probstheida angereist - lauschten sehr aufmerksam der Vorstellung der Trassenpläne und der kurzen Diskussionsrunde mit Vertretern von Stadt, LVB, VCD, Herzklinikum und Stadtbezirksbeirat.

Immerhin stand auch eine Frage zu klären, die in der Einladung zum Bürgerforum noch als gesetzt galt: “Langfristig braucht der Leipziger Südosten dazu eine Anbindung an die Straßenbahn.”

Aber schon das “langfristig” wurde in der Diskussionsrunde recht schnell hinterfragt. Zwar wolle man nur eine künftige Straßenbahntrasse im neu aufzustellenden Bebauungsplan für Probstheida einplanen und damit freihalten. Gebaut werde wohl eher zum Ende der Planungsperiode hin, also gegen 2030. Aber spätestens als Martin Jonas, Geschäftsführer des Herzklinikum Leipzig, zu Wort kam, wurde eigentlich klar, dass dieser Versuch einer “Vertagung” des Problems nicht funktionieren kann. Es sind ja nicht die Probstheidaer, die eine Straßenbahn brauchen oder zu brauchen glauben. Probstheida ist ein typischer Leipziger Ortsteil in Randlage – mit hohem Anteil an Eigenheimen und überdurchschnittlicher Pkw-Quote.

Theoretisch erschließt die Buslinie 76, die von der Prager Straße zum Herzklinikum fährt, 1.500 Anwohner. Dahinter steckt sogar ein Stadtratsbeschluss. Doch rein praktisch scheint das so nicht zu funktionieren. Die Nutzerquote für den ÖPNV liegt mit 5 Prozent deutlich unter dem Leipziger Wert von 20 Prozent. Dabei ist die Straßenbahnlinie 15 noch recht flott unterwegs und binnen 16 Minuten am Hauptbahnhof (zumindest nach Fahrplan). Aber in Probstheida selbst fängt das Dilemma an. Das Herzklinikum ist – wie der Ortsteil selbst – nur über die Buslinie 76 an die Haltestelle Probstheida angebunden.

Dieser Bus verkehrt wochentags im 20-Minuten-Takt zum Herzklinikum und braucht für die Fahrt durch die Franzosenallee, die Feldstraße und die Russenstraße bis zum Herzklinikum nur 6 Minuten. Trotzdem ist der Bus augenscheinlich nur zum Schichtwechsel im Klinikum voll besetzt. Sonst fährt er fast leer hin und zurück, kommt nach Zählung der LVB auf ganze 600 Fahrgäste am Tag.

Zum Vergleich: Mit 11.000 Personen, die täglich das Herzklinikum aufsuchen, rechnet die Rhön-Klinikum AG selbst. Was logischerweise heißt: Die meisten Mitarbeiter, Patienten und Besucher des Herzklinikum fahren mit dem Pkw vor und bringen selbst die mittlerweile opulent ausgebauten Parkplätze zum Überfließen. 1.100 Pkw-Stellplätze hat das Klinikum schon geschaffen. “Wir brauchen eigentlich das Doppelte”, sagt Martin Jonas. Und kündigt schon einmal an, dass demnächst Parkraumbewirtschaftung eingeführt wird. Was das Problem nicht löst, sondern nur in die umliegenden Wohngebiete verlagert.Eines aber wurde beim Bürgerforum mehr als deutlich: Probstheida braucht nicht irgendwann in 10, 15 Jahren eine Straßenbahn. Das Problem ist ein ganz anders: Das Herzklinikum hat ein gewaltiges Parkplatzproblem und würde das gern mit einer direkten Straßenbahnanbindung lösen.

Auch das wurde deutlich: ÖPNV funktioniert tatsächlich nur, wenn die Fahrgäste möglichst direkt ans Ziel kommen und wenn die Fahrt nicht zu lange dauert. In 16 Minuten ist man mit der Linie 15 heute zwar in Probstheida. Aber wenn einem die Linie 76 vor der Nase weggefahren ist, braucht man 35 Minuten bis zum Herzklinikum. Eine Leipzigerin, die mit ihrer Mutter seit zwölf Jahren aus dem Leipziger Westen ins Herzklinikum fährt, schilderte die Fahrt als unzumutbare Tortur.

ÖPNV, so Matthias Reichmuth vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) sei eben erst dann attraktiv und gegen den motorisierten Individualverkehr konkurrenzfähig, wenn er ohne Umsteigen ans Ziel führe. Was für eine Straßenbahntrasse zum Herzklinikum spräche. Doch geht es dann wirklich schneller? – Selbst die kürzeste Trasse (ausgerechnet durch den Freundschaftspark an der Etzoldtschen Sandgrube) würde 18 Minuten Fahrzeit vom Hauptbahnhof ergeben, 24 Minuten die längste Trasse durch die Franzosenallee.

Schnell stellte sich aber auch heraus, dass alle Trassen von Stötteritz aus (Verlängerung Linie 4) und alle Trassen der Varianten B1 (gleich über die Russenstraße), B2 (über die Nieritzstraße), B6 (durch den Freundschaftspark) das eigentlich für die ÖPNV-Erschließung vorgesehene Wohngebiet in Probstheida (Sonnenpark) nicht mehr tangieren. Das würde zwangsläufig dazu führen, dass die Buslinie 76 weiter fahren müsste.Aber ausgerechnet diese Varianten stoßen auf die größte Ablehnung. Die Varianten der Linie 4 auch deshalb, weil sie erst recht eine lange Fahrzeit ergeben. Allein vom Hauptbahnhof bis zur Endhaltestelle Stötteritz braucht die Straßenbahn nach Fahrplan 20 Minuten.

Und auf wirklichen Beifall kam die “kurze” Variante durch den Freundschaftspark auch nicht. Nicht nur ein wichtiger Landschaftspark wird dabei beschnitten, auch eine Kleingartensparte mit 60 Pächtern würde durchfahren. Dass eine Fahrt der Straßenbahn durch die Russenstraße nur Planer-Utopie ist, sieht jeder, der die Straße einmal befährt: Hier passt beim besten Willen keine funktionierende Straßenbahntrasse mehr hinein. Was auch für die sowieso schon stark befahrene Nieritzstraße gilt. Die schlichte Wahrheit ist: Leipzigs Planer haben hier in den letzten 20 Jahren eine Sackgassen-Situation erzeugt.

Auch im Südteil von Probstheida, wo man im B-Plan eine Straßenbahntrasse schlicht “vergessen” hat (obwohl das Herzklinikum schon stand). Auch die Franzosenallee ist nicht wirklich für eine Straßenbahntrasse ausgelegt.

Einfaches Zwischenfazit: Um die Verkehrsprobleme des Herzklinikums nachträglich zu lösen, müsste tief in die Bestandsrechte der Probstheidaer eingegriffen werden.

Möglicher Vorteil wäre natürlich auch: Sie hätten die Straßenbahn direkt vor der Haustür. Das bedeutet nicht nur Lärm, sondern eben auch ein einfaches Einsteigen. Ronald Juhrs, technischer Geschäftsführer der LVB, beschreibt den Effekt für die Linie 16: “Seit wir die Strecke zur Neuen Messe gebaut haben, entsteht dort ein Wohngebiet nach dem anderen.” Die neuen Bewohner ziehen also auch deswegen dorthin, weil sie mit der Straßenbahn direkte Anbindung an die Stadt haben (von der Georg-Herwegh-Straße bis zum Hauptbahnhof z.B. 18 Minuten). Ein Effekt, der aber nur funktioniert, wenn die Anbindung direkt ist.

Dasselbe Thema übrigens auch fürs Klinikum: Das Städtische Klinikum St. Georg, das ebenfalls an die Linie 16 direkt angeschlossen ist, hat auch keine solchen Parkplatzprobleme wie das Herzklinikum. Was eben auch wieder heißt: Das Herzklinikum ist am falschen Standort errichtet worden. Das rächt sich nun fast 20 Jahre später.

Bleibt die Frage: Und warum funktioniert die Buslinie 76 nicht als echte Entlastung? – Ronald Juhrs betonte: “Wir fahren dort bedarfsgerecht.” Heißt aber auch: Man fährt nur die ermittelte Nachfrage ab. Was dann zu diesen nutzerunfreundlichen 20- und 30-Minuten-Takten führt. Und zu der Frage: Wenn das Problem am Herzklinikum schon so akut ist – kann man da überhaupt noch 10, 15 Jahre warten bis zu einer Lösung? – Nicht wirklich.

Die schlichte Wahrheit ist: Eine Lösung muss jetzt gefunden werden. Aber wie kann sie aussehen? Sehr ernsthafte Gedanken darüber hat sich schon der Stadtbezirksbeirat Südost gemacht. Zu seinen – und weiteren – Alternativvorschlägen für das Verkehrsproblem in Probstheida morgen mehr an dieser Stelle.

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