Es ist wieder da, das nun fast schon legendäre Hochhaus am Goerdelerring. 1992 schwebte es schon als Vision über der Stadt, 1994 wieder. 2011 tauchte es wieder auf, damals in einem Gestaltungswettbewerb, in dem der Entwurf von Prof. Helge Bofinger besonders auffiel. Dann war wieder zwei Jahre Ruhe. Im Mai 2013 ging die Firma Haberent mit dem Projekt wieder an die Öffentlichkeit. Und Siegfried Schlegel von der Linksfraktion ist glücklich.

“Investor und Planer brauchen einen langen Atem für das Hochhaus am Goerdelerring, dem fehlenden Zacken der Leipziger Stadtkrone”, jubelte er am Freitag, 16. August. Über die Bildwahl und ihre mögliche tiefere Bedeutung sagen wir hier mal nichts.

Das mit der Zeitachse stimmt schon. Die Idee, den Leipziger Ring mit lauter Hochhäusern ringsum als Landmarken zu bestücken stammt aus dem Jahr 1926, dem ersten Amtsjahr von Stadtbaurat Hubert Ritter, der nicht nur den Generalbebauungsplan aus dem Jahr 1929 verantwortete, sondern eben auch die Idee der Ringcity mit einem Kranz von Hochhäusern als Dominanten. Die der wilden Diskussion der frühen 1920er Jahre erst mal ein Ende setzte.

Ist es das, was den Stadtrat der Linksfraktion Siegfried Schlegel so begeistert, der seit 1990 im Stadtrat sitzt und damit eines der Urgesteine ist? Er habe das “ambitionierte Projekt schon seit Beginn der 1990-er Jahre nicht aus den Augen verloren”, betont er.

“Wohl wissend um den Hochhausstandort schon seit den 20-er Jahren mit einem Messeturm, einem Bürohochhaus aus den 60-er und seit den 90-er Jahren des vergangenen Jahrhundert ein Hochhaus mit Büro- oder Hotelnutzung mit rund 100 Metern. Als Teilnehmer am Hochhauskolloquium 1992, als Jurymitglied 1994 beim Ideen- und Realisierungswettbewerb einer Bank und als Mitglied im Gestaltungsbeirat, weiß er, dass immer wieder die Richtigkeit des Standortes und die Machbarkeit festgestellt wurde, aber ebenso wissend, dass es dafür einen potenten Investor mit langem Atem sowie guter Architekten und Planer bedarf”, betont er.

Zurück zu Hubert Ritter, der beim Stichwort “Hochhaus” in anderen Dimensionen dachte als die später so himmelstürmenden sozialistischen Baukunstkollektive. Seine Vision waren 10- bis 12-stöckige Hochhäuser. Das erste war damals das 51 Meter hohe Krochhaus in der Goethestraße, 1928 fertiggestellt und 1929 in Betrieb genommen. Das zweite war das 1929 fertiggestellte 13- geschossige Europahaus mit 56 Meter Höhe. Höher plante Ritter damals den Hochhauskranz nicht. Das taten dann erst die Himmelsstürmer in DDR-Zeiten: Das Hochhaus Wintergartenstraße bekam 109 Meter, das Universitätshochhaus, das heutige City-Hochhaus 142 Meter.

In diese Dimensionen plant auch Haberent mit seinem 100 Meter hohen 27-Geschosser nach dem Entwurf von Prof. Helge Bofinger – mit vier Tiefgaragen mit 456 Stellplätzen.
“Unstrittig ist für ein solches Projekt an diesem Standort ein Architektenwettbewerb, auch wenn der aktuelle Entwurf von Prof. Helge Bofinger denkbare Ansätze liefert. Offensichtlich gibt es schon klare Vorstellungen zu Grundrissen, Gebäudestrukturen und zu den angedachten Nutzungen”, sagt Siegfried Schlegel. “Da Prof. Bofinger schon 1994 beim Wettbewerb einen Entwurf lieferte, besitzt er auch gute Standortkenntnisse. Offensichtlich hat auch er das Projekt Hochhaus Goerdelerring in Leipzig immer wieder inspiriert.”

Der kleine, aber nicht unwesentliche Unterschied zu Hubert Ritters Plänen von 1926: Seinerzeit war der Hochhausneubau an der Nordwestecke des Rings nicht direkt am Fleischerplatz geplant, sondern auf dem Schulplatz, da, wo auch damals die II. Höhere Bürgerschule stand, in dessen Gebäude sich heute das Naturschutzmuseum befindet. Die geplante Dominante (die auch schon als Messehotel gedacht war) stand also nördlich des Ranstädter Steinweges, nicht wie jetzt geplant südlich.

Aber es kann an der Spitze Ranstädter Steinweg/Goerdelerring auch nicht gebaut werden, wenn nicht geklärt ist, was mit dem dort verlaufenden Pleißemühlgraben geschieht. Unterirdisch fließt er hinter Hauptfeuerwache und IHK-Gebäude in Richtung Schulplatz, wo er auf den Elstermühlgraben trifft. Das Hochhaus würde genau auf dem Fließgewässer stehen, das laut den diffusen Hochwasserkonzeptionen der Stadt Leipzig irgendwann in den nächsten Jahren auch freigelegt werden soll.

Siegfried Schlegel: “Ohnehin ist eine Entscheidung über den exakten Verlauf des Pleißemühlgrabens westlich des Goerdelerrings überfällig. Bei der Freilegung des Pleißemühlgrabens sollte wie andernorts ebenfalls ein für alle erlebbarer Gewässerabschnitt entstehen”, betont der Linke-Stadtrat. “Mit dem Bau eines solchen Hochhauses würde weithin sichtbar eine markante Landmarke in der Silhouette der Stadt und zugleich der letzte Zacken von Leipzigs Stadtkrone entstehen.”

Den “Zacken in Leipzigs Stadtkrone” hat er dann wieder von Haberent, das die in den 1920er Jahren geplante “Messe-Stadtkrone” zitiert. Ein Hochhaus-Projekt, das seinerzeit auf heftigen Widerstand in der Bürgerschaft traf. Der Aufstellungsbeschluss von 2011 zitiert den Vorgang: “Um Leipzig nach dem Ende der 1. Weltkrieges zu einem unangefochtenen Mittelpunkt des Welthandels zu machen, kam es zu Beginn der zwanziger Jahre im Sinne der Suche nach einer Stadtkrone zu einer ganzen Serie gigantischer Hochhausprojekte. Keines gelangte zur Ausführung. – Unter all den unausgeführten utopischen Messeprojekten war der Entwurf von Emanuel Haimovici, Richard Tschammer und Arno Caroli zu einem 30-geschossigen Turm mit einem Durchmesser von 60 m und einer Höhe von 126 m am weitesten entwickelt. Der Entwurf aus dem Jahr 1920 sah etwa 1.500 Messeräume in den Ausstellungsetagen vor.”

Wie wenig das, was jetzt am Goerdelerring geplant ist, mit den Ring-Plänen von 1926 zu tun hat, bestätigt Haberent selbst: “Der Standort komplettiert die bestehenden Hochpunkte am Wallring: das Wintergartenhochhaus, das Universitätshochhaus und den Rathausturm.” Bis auf den Rathausturm sind das die Visionen der Stadtarchitektur aus den 1960er Jahren, der Ulbricht-Ära und seinen “sozialistischen” Visionen eines Stadtumbaus.

Einzige Grundlage für die Pläne ist bislang der Beschluss der Ratsversammlung der Stadt Leipzig am 19. Januar 2011 zur Aufstellung eines Bebauungsplanes für das Gebiet. Ein Beschluss, der übrigens auch deutlich machte, warum 1926 niemand an dieser Stelle ein Hochhaus plante: Damals standen auf dem Gelände noch sieben Gebäude. Teilweise ging der Baugrund bei der Aufweitung des Ranstädter Steinweges verloren.

Und jetzt noch aus dem Aufstellungsbeschluss von 2011 zitiert: “Das Erfordernis für die Aufstellung des Bebauungsplanes ergibt sich daraus, dass innerhalb des bislang bestehenden bauplanungsrechtlichen Rahmens ein Hochhaus der beabsichtigten Höhe (ca. 100 m) nicht zulässig wäre. Das Bauleitplanverfahren ermöglicht die gerechte Abwägung der hier zu berücksichtigenden öffentlichen und privaten Belange.”

Grundlage dafür, dass an dieser Stelle trotzdem ein Hochhaus gebaut werden könnte, ist ein Kolloquium, zu dem die damalige Leipziger Stadtverwaltung am 9. und 12. Oktober 1992 eingeladen hatte. Thema: “Hochhäuser in Leipzig”. Man hatte Stadtplaner, Architekten, Politiker und Investoren eingeladen und war der Frage nachgegangen, “ob, wo und in welcher Form in Leipzig Hochhäuser städtebaulich und funktionell vertretbar sind.”

Solche Kolloquien und ihre Ergebnisse sind ja dann eine Fundgrube für alle, die 20 Jahre später ihre Pläne auf den Tisch legen: Ist doch längst entschieden. Was wollt ihr nur?

Und so heißt es im Aufstellungsbeschluss 2011 auch: “Im Protokoll ist festgehalten, dass Hochhäuser Ausdruck materieller und ideeller Qualitäten sind. Leipzig versteht sich als Großstadt, aber aus Sicht der Flächennutzung sind aufgrund der hohen Potentiale Hochhäuser als Element der Verdichtung nicht unbedingt erforderlich. ‘Dennoch ist der Einsatz von Höhendominanten ein städtebauliches Mittel, auf das nicht verzichtet werden sollte. … Sorgfältig eingeordnet können Hochhäuser städtebaulich bereichernd wirken, Stadt und Stadtstruktur markieren und neue Inhalte/Funktionen verkörpern.’ – Ziel ist, Hochhäuser dort zu platzieren, wo ein Gewinn für die Stadtgestalt erzielt wird. Der grundsätzliche Respekt vor der historischen Traufhöhe wird damit nicht in Frage gestellt.”

Der Nachsatz ist am schönsten: “Der grundsätzliche Respekt vor der historischen Traufhöhe wird damit nicht in Frage gestellt.” Auch so kann man formulieren, dass einem die städtebauliche Konsequenz eines Hubert Ritter ziemlich egal ist. Im Keim steckt hier der seit über 20 Jahren schwelende Zwist zwischen den Verfechtern einer Moderne, die auf gewachsene Strukturen keine Rücksicht mehr nimmt (zuletzt ausgetragen im Streit um “Blechbüchse” und Höfe am Brühl), und jener Vision, die noch Niels Gormsen in seiner Zeit als Baudezernent formulierte: Die Rückgewinnung der alten Raumkanten und Stadtraumqualitäten, die heute eine der Besonderheiten sind, die gerade Touristen immer wieder nennen, wenn sie nach dem Grund gefragt werden, warum es sie nach Leipzig zieht.

Und wer den Aufstellungsbeschluss von 2011 dann weiter durchblättert, stößt auf den eigentlichen Ursprung des Hochbauprojekts an der Spitze Ranstädter Steinweg/Goerdelerring: den Perspektivplan von 1970/1971. “Am Friedrich-Engels-Platz (Goerdelerring) war das Hochhaus der Industrie mit 22 Geschossen und 1.630 Arbeitsplätzen geplant. Das Gebäude aus Stahlbeton und Glas sollte dem Promenadenring an diesem markanten Knick- und Kreuzungspunkt ein besonderes Gepräge verleihen.”

Das ist der eigentliche Plan, an den das Kolloquium von 1992 und der Gestaltungswettbewerb von 1994 anknüpften. Auch damals übrigens ohne Rücksichtnahme auf den Pleißemühlgraben.

Der Aufstellungsbeschluss von 2011:
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/DC262FF818DCDE65C1257822003CC75D/$FILE/V-ds-1032-anlage-4.pdf

Die Pläne von Haberent:
www.haberent.de/index.php/uebersicht.html?act=object&task=showME&id=109

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