Es gibt da einen Satz im Interview der LVZ mit Axel Bobbe, "Herr über die Wasseranlagen im Direktionsbezirk Leipzig", am 13. Juni, der blieb - wie so oft - einfach unhinterfragt stehen: "Hier hatten wir 2011 ein 'Übungshochwasser'. Wenn wir die Deiche nördlich von Leipzig seitdem nicht instand gesetzt hätten, wäre viel Schlimmes passiert. Doch diesmal hat kein Deich gewackelt."
Rund 15 Millionen Euro hat die Landestalsperrenverwaltung (LTV) hier seit dem “Übungshochwasser” verbaut. Teilweise brusthohe Mauern wurden gebaut – mit integrierter Spundwand. Was die Mauern schützen, kann jeder bei einer Deichfahrt über Lützschena hinaus bestaunen: Auewald, Wiesen, und unter den Bäumen die Arme der Alten Luppe.
Man bekommt Bauchschmerzen, wenn man daran bedenkt, dass die sächsische SPD sich die Landestalsperrenverwaltung als künftige zentral verantwortliche Behörde für den Hochwasserschutz in Sachsen vorstellen kann. Dann wird sich Hochwasserschutz nur noch auf Deiche und Mauern beschränken. Schon jetzt funktionieren die Absprachen zwischen Kommunen und LTV nur rudimentär. Auch in Leipzig.
Schon seit 2006 wurden die Fließgebiete der Alten Luppe intensiv hydraulisch, gewässerökologisch und naturschutzfachlich untersucht mit Blick auf die Machbarkeit einer durchgängigen Fließgewässerwiederherstellung. Übrigens auch vor dem Hintergrund des Leipziger Hochwasserschutzkonzeptes, das auch die südliche und nördliche Burgaue, wo die Alte Luppe verläuft, als Überflutungsgebiet im Hochwasserfall vorsieht. Aber der Flutung steht eine Ertüchtigung dieser Gebiete als Polder entgegen. Das Winterhochwasser 2011 zeigte es für die südliche Burgaue – das Wasser floss zwar schnell ab, aber einige der vor 80 Jahren abgeschnittenen Altgewässer waren nicht mehr durchlassfähig.
Um die Burgauen für Hochwassersituationen nutzen zu können, müssen die alten Fließgewässer wieder durchlässig gemacht werden. Die Voruntersuchungen im südlichen der beiden Auwaldgebiete wurden 2009 abgeschlossen. Im September 2011 kam das Projekt “Lebendige Luppe” in die Dienstberatung des OBM. Denn während die LTV einfach drauflos bauen kann, wenn sie glaubt, irgendwo “Gefahr im Verzug” zu sehen, braucht eine Stadt wie Leipzig immer Fördergelder. In diesem Fall 5 Millionen Euro vom Bund. Der Freistaat gibt 150.000 Euro dazu. Im Frühjahr 2012 war die große Fördergeldscheckübergabe. Der NABU ist mit im Boot.
“Damit können – ausgehend von der Ausmündung des Fließgewässers aus dem Gewässerknoten Leipzig (Kleine Luppe) bis zur Landesgrenze ca. 15,5 km und in Verlängerung über das Luppewildbett in Sachsen-Anhalt – dann bis 40 km Gewässerlauf revitalisiert werden”, heißt es in der damaligen Vorlage. “Die Revitalisierung der Fließgewässer ist ein komplexes Vorhaben des Grünen Ringes Leipzig, das in mehreren Bauabschnitten umgesetzt werden kann und soll. Ein wesentlicher Aspekt zur Umsetzung des Vorhabens ist seine im Rahmen der Vorplanung festgestellte prinzipielle Eignung zur nachhaltigen ökologischen Aufwertung des nordwestlichen Leipziger Auwaldes. Zielstellung des Projekts ist es, einer – in Folge der zwischen 1934 und 1937 vollzogenen Regulierungsmaßnahmen – zunehmenden Austrocknung und faunistisch-floristischen Verarmung der Leipziger Luppe-Aue durch gezielte Maßnahmen entgegenzuwirken, d. h. die auentypischen Wasserverhältnisse und Biotopstrukturen zu fördern.”
Das geht nur mit Wasser. Verlandete bzw. verödete Wasserläufe sollen wieder hergestellt werden. “Neben den Einzelgewässern wird in stärkerem Maße ein zusätzlicher Schwerpunkt auf die Schaffung des landschaftstypischen ‘netzartigen’ Gesamtgefüges aus zahlreichen, miteinander verbundenen Fließen gelegt.”Man hat zwar die nun im Juni so freudig aus der Königsposition gescholtenen Naturschützer mit im Boot. Aber die denken schon viel länger und wesentlich intensiver über Hochwasserschutz nach als Leipzigs OBM oder die LTV.
Die Folgen der ersten Öffnung das Nahleauslassbauwerkes im Januar 2011, als der nördliche Leipziger Auwald zwischen Burgaue und Kleinliebenau geflutet wurde, hat man sehr wohl ausgewertet. Und man darf staunen, wer da alles dabei war: “Um Erkenntnisse über die Ausbreitungswege des Wassers, die Hauptfließstrecken und Überflutungsbereiche sowie über die Verweildauer des Wassers zu bekommen, wurde vom Amt für Stadtgrün und Gewässer der Stadt Leipzig und der LTV, Betrieb Elbbaue, Mulde und untere Weiße Elster eine begleitende Dokumentation beauftragt.”
Die LTV weiß also sehr genau, dass die Stadt Leipzig bestrebt ist, Teile des Auewaldes wieder als natürliche Überflutungsfläche zurückzugewinnen. Im östlichen Teil der gefluteten Fläche klappte das 2011 schon ganz gut, im westlichen nicht, da stand das Wasser auch noch nach 10 Tagen in großen Flächen. Das schadet zwar dem Auwald nichts, ist aber für den Hochwasserfall nicht so gut. Abfließen muss das Wasser schon.
Fazit damals: “Im westlichen Teil des Auwaldes sind die Abflussverhältnisse damit deutlich schlechter als in der Burgaue. Ab dem Pfingstanger sind die natürlichen Abflussbahnen, die historischen Flussläufe von Alter Luppe (Luppe-Binnendelta) durch den künstlichen Lauf der Neuen Luppe durchtrennt bzw. umgeleitet (Zschampert). Bei Hochwasser sind die Siele der Neuen Luppe geschlossen, so dass kein Abfluss in den Hauptvorfluter möglich ist. Es wurde festgestellt, dass die Abflussverhältnisse im westlichen Teil des Auwaldes nachhaltig gestört sind. Eine auentypische Durchströmung ist durch Rückstau erheblich beeinträchtigt.”
Oder noch knapper: die technischen Deichverbauungen, auf die die LTV so stolz ist, verhindern im Hochwasserfall ein gutes Funktionieren der Burgaue als Polder. Die eingedeichte Neue Luppe sperrt das Wasser ab.Klare Aussage der Stadt – und auch ebenso beschlossen: “Diese hydraulischen Beeinträchtigungen im westlichen Teil des Auwaldes könnten durch die Wiederherstellung eines durchgängigen Fließgewässers unabhängig von der Neuen Luppe deutlich gemindert werden. Ein solches Fließgewässer südlich der Neuen Luppe unter Nutzung von Luppe-Altläufen und des Zschampert-Altlaufes mit Einbindung in das Luppewildbett könnte dann im Hochwasserfall als Hauptabflussbahn dienen und wesentlich zu einer verbesserten Ableitung des Einstaus infolge Hochwasser aus dem nördlichen Leipziger Auwald beitragen sowie u. U. die Einstauhöhe in einzelnen Teilbereichen reduzieren. Dies würde die Hochwassergefahr für die betroffenen Siedlungen mindern.”
Hätte man ja bei all den forschen Worten zum Juni-Hochwasser 2013 mal nachlesen können. Das Projekt “Lebendige Luppe” ist ja im Gang und soll bis 2017 in mehreren Bauabschnitten umgesetzt werden.
Gleichzeitig gilt das Projekt als landesweite Sammelkompensations- oder Ökokontomaßnahme. “Diese Bewertung ist eine zwingende Voraussetzung sowohl für die Planung als auch für die zukünftig beabsichtigte teilweise Finanzierung weiterer Bauabschnitte im Rahmen von Kompensationsmaßnahmen”, heißt es in der Vorlage des Umweltdezernats. “Hierfür müssen als Grundlage die Biotoptypen im Bestand erfasst und für die Planung fachlich abgestimmt definiert werden.”
Man schlägt also eine Menge Fliegen mit einer Klappe. Und kann ein wertvolles Stück Auwald retten: “Die Initiative zur Verbesserung des Wasserdargebots in der Luppeaue begründet sich im Wesentlichen dadurch, den stetig fortschreitenden Prozess der Austrocknung nicht nur aufzuhalten, sondern langfristig eine großflächige Wiederanreicherung herbeizuführen. Hierbei wirken die baulichen Maßnahmen zur Restituierung ehemaliger Wasserläufe als unabdingbare Voraussetzung, um ganzjährig eine quantitativ und qualitativ verbesserte Wasserversorgung der Luppenaue sicher zu stellen.”
Und eine klare Ansage zu möglichen Alternativen: “Aufgrund der aktuellen Gewässersituation der Luppeaue, die durch den seit ca. 75 Jahren bestehenden Flutkanal der ‘Neuen Luppe’ mit seiner stark entwässernden Wirkung einen tiefen landschaftlichen Einschnitt erfuhr, sind nach umfassender Prüfung aktuell realistische und finanzierbare Alternativen, die zu einer dauerhaft verbesserten Wasserversorgung des Landschaftsraums mit entsprechender Wasserqualität führen, nicht umsetzbar.”
Der Auwald braucht also dringend wieder intakte Fließgewässer. Aber wo soll das Wasser herkommen? – Dazu gab es in den Überlegungen zum Hochwasserschutz auch 2004 schon Überlegungen. Sowohl für die südliche Luppenaue als auch für die nördliche waren Varianten mit gesteuerter Flutung als auch mit Deichrückverlegung im Gespräch. Doch in beiden Fällen legte “man” sich auf die Deicherneuerung fest, trieb im nördlichen Luppedeich sogar noch Spundwände dort ins Erdreich, wo der Deich auf dem Altarm der Luppe steht. Wobei sich bei einem Rückbau der Deiche sogar die Möglichkeit andeutete, dass das Ganze sogar deutlich preiswerter gewesen wäre.Aber in ihrem Beschluss von 2012 formulierte es die Leipziger Stadtverwaltung ganz vorsichtig: “Weitere tangierende Aktivitäten in Verantwortung der LTV, wie z. B. die Schlitzung von Deichen der Neuen Luppe oder andere großflächige Flutungsmöglichkeiten in der Burgaue sowie die Sohlanhebung der Neuen Luppe sind ergänzend weiter zu verfolgen, um neben der verbesserten dauerhaften Wasserversorgung insbesondere auch auentypische, dynamische Prozesse wieder zu beleben und eine weitere Eintiefung der Neuen Luppe zu verhindern.”
Heißt im Klartext: Damit das Ganze ohne zusätzlichen Aufwand, ganz natürlich funktioniert, müsste die LTV ihre schönen neuen Deiche an wichtigen Stellen wieder öffnen – nur dann kann das Wasser in die Burgauen fließen. Und auch wieder heraus.
Ebenso vorsichtig im Amtsdeutsch formuliert: “Im Zuge der Reaktivierung vorhandener bzw. der Herstellung neuer Gewässerläufe sind zahlreiche Durchlässe, Brücken und Regelbauwerke zu errichten.”
Was dann erst einmal den südlichen Polder umfasst.
Die geplanten Bauabschnitte in der Übersicht:
1. Bauabschnitt: Gewässerentwicklung von Ausmündung Kleine Luppe in Altlindenau bis zur Mündung Burgauenbach. Der Abschnitt ist etwa 4 Kilometer lang und reicht bis in den Bereich westlich vom Nahlewehr.
2. Bauabschnitt: Renaturierung Bauerngraben bis Waldspitze, etwa 1,9 km. Das ist der Bereich, der das Wasser aus dem Nahlewehr direkt aufnehmen und ableiten würde.
3. Bauabschnitt: Wiederherstellung Heuwegluppe von Waldspitze bis Mündung der Alten Luppe in die Neue Luppe – die es heute noch nicht gibt. Dieser Abschnitt der Alten Luppen müsste wiederhergestellt werden. Das Wasser käme über den Burgauenbach. Insgesamt sind das 4,9 km.
Als 4. Bauabschnitt ist in diesem Projekt noch die Revitalisierung des ehemaligen Zschampertbetts von der Mündung in die Alte Luppe bis zum Luppewildbett hinter Kleinliebenau geplant – auch das alles südlich der Neuen Luppe, 4,2 km.
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Ähnliches aber müsste auch nördlich der Neuen Luppe passieren, wenn sie als Polder funktionieren soll. Hier ist die teure Abdeichung sogar geradezu Geldverschwendung, denn hinter diesem Deich liegt wirklich nichts als Auwald, winden sich alte Luppearme. Bei Überflutung würde das Wasser weiter westlich direkt wieder in die Weiße Elster fließen, die diesen Polder auf seiner Nordseite durchfließt.
Was hier “Schlimmes” passiert wäre, wenn das Wasser über den Deich gekommen wäre, wird auch Axel Bobbe nicht sagen können. Fast 11 Millionen Euro wurden hier als Sperrwand hingesetzt. Verständlich ist nur der Deichbau zwischen Stahmeln und Lützschena, der 4 Millionen Euro gekostet hat. Hier sind immerhin etliche Kleingartenanlagen und der Campingplatz Auensee “hinterm Deich”.
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