"Der deutsche Arbeitsmarkt zeigt sich alles in allem in einer guten Verfassung. Er entwickelt sich trotz des schwierigen konjunkturellen Umfelds robust", versuchte am Donnerstag, 27. Juni, der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-J. Weise, mal wieder blumig zu fassen, was seine Behörde eigentlich so tut und misst und verwaltet. Er hat ja lauter blaue Flecken derzeit.
Seit der “Spiegel” über den Prüfbericht des Bundesrechnungshofes (BRH) zum Thema “Steuerung der Zielerreichung” und insbesondere den frisierten Vermittlungszahlen der Jobcenter berichtete. Weise gab zwar zu, dass das System Fehlanreize böte. Sagte aber auch standfest: “Wir arbeiten für Menschen, nicht für Zahlen. Die Kritik am Steuerungssystem der BA ist nicht neu. Der Vorstand der BA steht zu diesem System, denn es ist die einzige Möglichkeit, unseren gesetzlichen und sozialen Auftrag ebenso wie die Geschäftspolitik abzubilden. Zahlen bilden nur unsere Arbeit ab und sind nicht Selbstzweck.”
Es ist schon erstaunlich, wie oft sich die Bundesagentur in letzter Zeit der Kritik stellen muss. Man kann es tapfer nennen. Denn die eigentlich Verantwortlichen Schweigen. Man vergisst es ja immer wieder: Die Arbeitsweise der Arbeitsagentur und der Jobcenter haben sie nicht selbst definiert, die wurde politisch vorgegeben. Und die ganzen seltsamen Zielvorgaben stammen allesamt aus dem Bundesarbeitsministerium. Das Ergebnis sind nicht nur Zahlen, die nicht mal eine Ahnung von dem geben, was auf dem “Arbeitsmarkt” (der natürlich kein Markt ist) tatsächlich geschieht. Das Ergebnis sind auch die rigiden Vereinbarungen zwischen den Jobcentern und den Städten, in denen es genau um das geht, was Frank J. Weise abstreitet: Es geht nur um Zahlen, schon lange nicht mehr um Menschen. Es geht vor allem um eingesparte Gelder, damit sich diverse politisch Verantwortliche hinstellen können und Einsparungen verkünden können, die eben nicht auf erfolgreicher Vermittlung beruhen, sondern auf erfolgreicher Nötigung. Fordern statt Fördern ist die Devise. Wer die Forderungen, egal wie sinnlos sie sind, nicht erfüllt, wird sanktioniert.
Das ist kein funktionierendes Vermittlungssystem.
Und so sagt es natürlich auch nicht wirklich viel aus, wenn die Leipziger Arbeitsagentur für den Juni 2013 meldet, dass die Zahl der als arbeitslos Gezählten in den zurückliegenden vier Wochen um 991 gesunken ist, dass es nun in Leipzig 1.175 Arbeitslose weniger gibt als vor einem Jahr und die Arbeitslosenquote auf 10,5 Prozent gesunken ist – vor einem Jahr waren es noch 11,2 Prozent.
Diesmal durfte die Geschäftsführerin Operativ der Agentur für Arbeit Leipzig, Nadia Arndt, das dazugehörende Statement formulieren: “In den letzten vier Wochen sank die Zahl der Arbeitslosen weiter. Damit setzte sich die erwartete saisonale Tendenz fort. Das ist eine erfreuliche Entwicklung.”
Und der Kommentar aus dem Jobcenter, das auch weiterhin mit über 78 Prozent die meisten der Leipziger Arbeitslosen verwaltet: “Die positive Arbeitsmarktentwicklung setzt sich fort und auch die Menschen, die vom Jobcenter betreut werden, profitieren davon”, meint Dr. Simone Simon, Geschäftsführerin des Jobcenters Leipzig. “Im Vergleich zum Juni des Vorjahres sind heute mehr als 1.500 arbeitslose Leipziger weniger auf die Unterstützung des Jobcenters angewiesen. Mit Blick auf die Statistik zu den Bedarfsgemeinschaften in Leipzig wird ebenfalls deutlich, dass die Zahl der Menschen, die auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind, rückläufig ist. Im Vergleich zum Vorjahr haben wir über 550 Bedarfsgemeinschaften weniger in unserer Betreuung. Dennoch wissen wir, dass viel zu tun bleibt, denn die Arbeitslosigkeit in Leipzig ist weiterhin zu hoch.”
Der Appell könnte ja an irgendeine wie auch immer geartete Wirtschaftspolitik in Leipzig oder Sachsen gerichtet sein. Aber die gibt es ja leider nicht. Sie müsste sich ja mit solchen Fragen herumschlagen: Wie schafft man eigentlich wirklich tragende Wirtschaftstrukturen? Könnte da die öffentliche Hand eine Rolle spielen? Und wenn ja, wie?
Nur ist die Arbeitsagentur – die es sein könnte – dafür leider kein Partner. Sie ist 2005 zu einem Controlling-Instrument umgebaut worden. Und das hat Frank J. Weise am 23. Juni in seinem Statement auch noch einmal bestätigt. Auch wenn er es aus seiner Perspektive als gelernter Controller vielleicht anders sieht. “Das Führen über Ziele und die Steuerung in der BA sind erfolgreich, anerkannt und haben sich bewährt. Das bestätigt der Bundesrechnungshof in seinem Prüfbericht. Ohne diese Steuerung wären die unbestreitbaren Erfolge der BA in den vergangenen Jahren nicht möglich gewesen. Dazu gehören zwei Millionen arbeitslose Menschen weniger, die Verringerung der Zahl der Langzeitarbeitslosen um 40 Prozent und Rücklagen in Milliardenhöhe, die geholfen haben, die Wirtschaftskrise 2009 zu überwinden”, sagte er. Womit er sich schon binnen weniger Sätze natürlich widersprach: Es geht bei dieser “Steuerung” nur um Zahlen und Zielerreichungen. So heißt das dann auch in den diversen Vereinbarungen der Jobcenter mit den Trägerkommunen.
Und es steckt der falsche Glaube in der Aussage, sinkende oder steigende Arbeitslosen- und Bedürftigenzahlen seien Ergebnis der Vermittlungsarbeit der Jobcenter und der Arbeitsagenturen. Das sind sie aber bestenfalls zum Teil. Nämlich da, wo diese tatsächlich als Arbeitsvermittler funktionieren.
Ob der wirkliche Arbeitsmarkt außerhalb dieser Behörden tatsächlich genug Arbeitsplätze und in welcher Qualität er sie wann und für wen bereitstellt, dass kann der Apparat, der nicht mehr Amt genannt sein will, weder beeinflussen noch “steuern”. Vom Idealfall, den die Kommission um Peter Hartz seinerzeit vor nunmehr elf Jahren formuliert hat, sind die Betreuer in den Agenturen und Jobcentern auch nur Betreuer – kennen ihre Klienten, treffen sich regelmäßig mit ihnen zum Gespräch, bringen sie in Qualifizierungen, die ihre Vermittlungschancen erhöhen und halten sie vor allem über alle für sie in Frage kommenden eingehenden Stellenangebote am Laufen.
Letzteres aber scheint – wie der Bundesrechnungshof rügte – eben nur für einen Teil der Kundschaft zu passieren. Was die monatlichen Statistiken so nicht ausweisen.
Die Gutvermittelbaren schönen die Statistik.
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Insgesamt waren 28.713 Männer und Frauen im Agenturbezirk Leipzig arbeitslos gemeldet. 6.203 davon im Rechtskreis des SGB III und 22.510 im Rechtskreis SGB II.
Die Zahl der arbeitslosen Arbeitslosengeld II-Empfänger ist im Monat Juni auf 22.510 Personen gefallen. Das sind 775 Personen weniger als im Vormonat (23.285) und 1.551 weniger als noch vor einem Jahr (24.061).
Der Rückgang der Arbeitslosigkeit zeige sich über alle Personengruppen hinweg, stellt das Jobcenter fest. Die Zahl der langzeitarbeitslosen Männer und Frauen liegt aktuell bei 8.294 Personen. Das sind 301 weniger als im Vormonat und 1.778 weniger als im Vorjahr. Die Zahl der arbeitslosen Personen über 50 Jahre ist mit aktuell 6.430 im Vergleich zum Vormonat um 295 gefallen und im Vergleich zum Vorjahresmonat um 277 gesunken. Das Jobcenter Leipzig betreut aktuell 2.047 Jugendliche unter 25 Jahren. Das sind 6 Jugendliche weniger als im Vormonat und 131 Jugendliche weniger als im Juni 2012. Die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen liegt bei 1.193. Das sind 37 weniger als im Vormonat und 49 weniger als vor einem Jahr. Die Zahl der arbeitslosen Ausländer in Betreuung des Jobcenters liegt bei 2.427. Das sind 131 weniger als im Vormonat und 16 weniger als im Vorjahresmonat.
Dass eine Frühjahrsbelebung alle Betroffenengruppen ein bisschen erreicht, ist eigentlich selbstverständlich. Aber wie so oft in den Vormonaten und Vorjahren, schafft es nur ein kleiner Teil dann auch aus dem “ALG II” heraus, weil auch von den Saisonarbeitsplätzen viele eher in die Kategorie Niedriglohn fallen. Vielleicht ändert sich das ja mit den um Porsche und BMW entstehenden Arbeitsplätzen mittelfristig wieder. Man wünscht es ja. Aber es ist eben auch nur ein einziges Standbein, auf dem Leipzig seine Hoffnungen aufgebaut hat.
Die Zahl der Leistungsempfänger nach dem SGB II im Jobcenter Leipzig ist im Juni nur um 112 auf 73.089 Personen gefallen. Im Vormonat waren es noch 73.201, im Juni 2012 waren es 74.115. Die Männer und Frauen wurden in 43.901 Bedarfsgemeinschaften (Vormonat: 44.083, Vorjahresmonat: 44.460) betreut. Unterstützendes Sozialgeld ist an 18.199 Personen (Vormonat: 18.076, Vorjahresmonat: 18.018) zur Auszahlung gekommen. Diese hier genannten “Personen” sind in der Regel Kinder und Jugendliche unter 15 Jahre. Deren Zahl ist, wie man sieht, sogar gestiegen. Der Leipziger Arbeitsmarkt ist leider noch längst nicht so familienfreundlich, wie er sein müsste.
Was bleibt noch? – Die Problemzone “Übergang”: der sogenannte Ausbildungsmarkt. – Bis Ende Juni hatten sich 2.275 Bewerberinnen und Bewerber für eine Ausbildungsstelle bei der Arbeitsagentur und dem Jobcenter gemeldet. Das waren 162 oder 6,6 Prozent weniger als im vergangenen Jahr zu diesem Zeitpunkt. Demgegenüber standen 2.027, davon 1.994 betriebliche, Ausbildungsstellen zur Verfügung. Das waren bei allen Ausbildungsstellen 11,9 Prozent und bei den betrieblichen Ausbildungsstellen 7,6 Prozent weniger als vor einem Jahr.
Das empfiehlt dann die Bundesagentur für Arbeit die Internetseiten:
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